Am 16.12.2022 um 21:28 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Was mich an dieser ganzen Debatte extrem stört, ist die Doppelzüngigkeit der Protagonisten! Nicht mehr – nicht weniger. Wenn ich als Großstädter schlichtweg kein Auto benötige, zudem es eh keinen Parkplatz dafür gibt, kann ich mich gut über Mitbürger aufregen, die abends wie morgens an meiner Stadtwohnung vorbei mit dem Auto zur Arbeit bzw. zur Erledigung sonstiger Termine fahren. Solange der ÖPNV nicht für eine wesentlich höhere Auslastung ausgebaut sein wird, ist nicht mit einer Veränderung dieser misslichen Verhältnisse zu rechnen. Und so weiter und so fort … Das naiv schmollende Ankleben auf Fahrbahnen bringt hier keine Abhilfe; man könnte auch sagen, ideologische Träumereien führen nicht weiter, sondern das Erstellen von tragfähigen Konzepten. Letzteres ist Aufgabe von interdisziplinär aufgestellten Expertenteams, die es mittlerweile längst in den Baureferaten der meisten Städte gibt. Doch es bleibt dabei: das von mir benannte Beispiel der nicht spontan umsteuerbaren Ozeandampfer trägt auch hier im kommunalen Bereich. Es sind nicht nur reaktionäre Unionswähler, die dann Protest erheben, wenn in ihrem Stadtviertel massive Umbaumaßnahmen geplant und umgesetzt werden. Da ist viel Heuchelei dabei, ob Du das hören willst oder nicht. Hier konnte man das deutlich am Beispiel des Brenner-Nordzulaufs sehen. Güter auf die Schiene ja, natürlich – aber nicht an unserem Or, nicht an meinem Grundstück vorbei!



Moin Karl, 

was Du beim Anprangern der angeblichen Doppelzüngigkeit und Heuchelei vergisst, ist, dass die Krisensituation, in die uns das fossile Imperium gebracht hat, mit niederträchtigem Vorsatz und rücksichtslosem Eigennutz herbeigeführt wurde — und weiter befeuert wird. Wie viele grausame Kriege wurden nicht schon darum geführt und wie viele überflüssige Verbrennungsmotoren für Autos und Transportfahrzeuge produziert. Die profitgierige und umweltzerstörerische Kompanei zwischen Auto- und Ölindustrie begann 1908 mit der Massenproduktion des Ford-Modells T. Darauf hatte ich wiederholt hingewiesen, aber immer und immer und immer wieder werden die gegenwärtigen Verhältnisse dargestellt, als ob es sich um Naturnotwendigkeiten handelte. Die Misere ist menschengemacht und wenn schon damals der elektrifizierte Schienenverkehr konsequent ausgebaut worden wäre, gäbe es heute nichts zu jammern über die absurden Pendlerprobleme und Staus auf den Straßen. In autofreie Städte muss nicht gependelt werden, da sich in ihnen leben lässt und hinreichend ausgebauter Schienenverkehr ist nicht auf Autobahnen angewiesen. Eine an Menschen und nicht an Autos angepasste Stadt- und Siedlungspolitik wäre schon vor hundert Jahren möglich gewesen. 

Warum sollte ich gegen Paechs Lehre einer vernünftigen Wachstumsökonomie sein? Ich hatte hier doch geschrieben, dass meine Diplomarbeit zum Thema der Technikfolgeabschätzung angelegt war und darin war damals schon Recycling ein zentraler Bestandteil dieser Arbeit. Es geht also um sinnvollen (nicht nur) technologischen Kreislauf, anstatt eines aberwitzigen Wachstums. Auch hier trittst Du offene Türen bei mir ein!


Ich hatte nach Deinen Unterstellungen den Klima-Klebenden gegenüber den Eindruck gewonnen, dass es Dir mehr um die persönliche Diskreditierung als um die Sache gehe. Ähnlich schienst Du mir auch Neubauers Großmutter gegenüber hinsichtlich ihrer PV-Anlage auf dem Dach bereits vor 30 Jahren reserviert zu sein, anstatt Freude darüber zu zeigen, dass es wohlhabende Menschen gibt, die ihr Geld sinnvoll einsetzen und nicht bloß verprassen oder vermehren.   

Aus Deiner Sicht mag es Unterstellung sein und für einige Fälle wird das auch zutreffen. Ist man ehrlich gegen sich selbst, wird man nicht wenige Fälle von Heuchelei und Doppelmoral auf diesem Gebiet erlebt haben und bei genauem Hinsehen täglich erkennen. Damit meine ich nicht vornehmlich die Kleber, sondern die von mir erwähnten SUV-Grünlinge. Was die Klebeaktionen angelangt, bleibe ich dabei: es handelt sich um Aktionen, die mehr Unmut als Zustimmung befördern und damit erachte ich sie als sinnlos bzw, kontraproduktiv. Damit habe ich hier keinen dieser Aktivisten persönlich diskreditiert, sondern äußere meine Meinung genau auf jener gesetzlichen Grundlage, auf die sich diese Protestaktionen stützen.


Na ja, ich freue mich jedenfalls darüber, dass es Menschen gibt, die sich noch für eine bessere Zukunft für alle einsetzen,- ohne gleich persönliche Motive zu unterstellen. Und Proteste sind natürlich nicht immer legal, wichtig ist nur, dass sie friedfertig bleiben. Über die konkreten Formen lässt sich stets streiten, aber um überhaupt in dem ganzen sonstigen Medienschwachsinn aufzufallen, sind halt störende und ununorthodoxe Aktionen nötig. 

IT