„Gerade Linien sind gottlos“ (Hundertwasser). Ziemlich verwegen, dieser Anspruch an das Ungerade und dennoch verweist er auf die Ästhetik des Unvollkommenen oder eher auf diesen unerklärlichen Reiz, den fragmentarisch - als unvollständig - dargestellte Formen ausüben. Sie lassen Raum für subjektive Ergänzung durch den Betrachtenden. Dieser Anreiz liegt wohl auch der Dissonanz in der Musik, dem Ungleichen in Gemälden zugrunde. Es ist womöglich der Grenzbereich zwischen Unvollkommenkeit und Vollkommenheit, der infolge einer jeweils unvermeidlich subjektiven Wahrnehmung einer Gegenständlichkeit fließend sein muss. Kann es überhaupt Vollkommenheit im Sinne objektiver Gültigkeit geben?
Wir hatten hier vor einiger Zeit Michelangelos Deckengemälde (Figuren aus dem ersten Buch Mose zur Schöpfungsgeschichte) von der Erschaffung Adams thematisiert. Während ich darin die geniale Metaphorik der Menschwerdung sehe (als biologisch wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis dem Übergang vom Primaten zum Homo Sapiens vermittels Punktmutation als Voraussetzung zur Vermehrung von Stammzellen durch das Gen ARHGAP11B, was zur entscheidenden Vergrößerung des menschlichen Gehirns führte), hatte Waldemar mit einiger Ironie die Unvollkommenheit dieses Fresko kritisiert. Zwei Menschen schauen auf eine Sache (Joseph!) und kommen zu völlig unterschiedlicher Wertung, quasi als Inbegriff von Unvollständigkeit resp. Inkonsistenz oder auch schlichtweg Widersprüchlichkeit im Sinne der zuletzt hier erwähnten Goedelschen Theoreme.
Goedels Theoreme als Grundsätze von allgemeiner Geltung zeigen quasi rekursiv den Grund auf, warum keine Theorie die Prämisse(n) ihrer Gültigkeit ausdrücklich enthalten resp. formal vollkommen darstellen und begründen können; vornehmlich deshalb, da innerhalb jeder vorgelegten Theorie Fragen aufgeworfen werden können, die in deren gegebenem Erfahrungskontext nicht zu beantworten sind.Das gilt nicht nur für wissenschaftliche Theorien, sondern offensichtlich auch für sonstige (insbes. metaphysische resp. mythologische) Annahmen.
Als( weihnachtlich aktuelles) Beispiel die Annahme göttlicher Unsterblichkeit bei konkomitierender Botschaft von der Geburt des Gottessohns und dem Narrativ, dass dieser als Unsterblicher in irdisches Leben eintritt, um - wie alle hier Sterblichen - dieses dennoch unweigerlich zu verlieren. Ohne theologisch konstruierten Kontext bleibt diese Erzählung unvollständig, sie bleibt schlicht offen.
Eine nachweihnachtliche Geschichte also, die zum Nachdenken anregen könnte.
Bester Gruß in die Runde! - Karl
Ratfrag bringt hier mit dem Hinweis auf den diesjährig zu vergebenden Gödel-Preis das Thema Unvollständigkeit auf und es scheint mir sehr angebracht, generell darüber nachzudenken; dieses ohne akribischen Bezug auf die mathematischen Beweise der Gödelschen Unvollständigkeitstheoreme, sondern eher allgemein bezogen auf unsere Lebenswelt, wie diese sich uns als Öko- aber auch als Gesellschaftssystem darstellt.
Geht man von der Definition des ersten Gödelschen Satzes aus, wonach „jedes hinreichend mächtige, rekursiv aufzählbare formale System entweder widersprüchlich oder unvollständig“ ist, erhebt sich im Kontext der Aufgaben-Beschreibung zum diesjährigen Gödel-Preis (siehe da) die Frage nach der Unterscheidbarkeit von Mikro- und Makrosystemen.
Dabei gehe ich davon aus, dass es keiner Unterscheidung zwischen Mikro- und Makrowelt als zwei Systeme bedarf, da Mikrosysteme Konstituenten von Makrosystemen darstellen (sic parvis magna). Es geht m.E. also eher um Skalierung entweder auf Mikro- oder Makrowelt. Und während sich in ersterer ein Quantensystem im Zustand der Superposition (Kohärenz) befindet ist es gemäß Heisenbergscher Unschärfe und im Sinne von Schrödingers Katze widersprüchlich aber keinesfalls unvollständig, sondern birgt potentielle Vollständigkeit.
Erst nach (in klassisch physikalischem Umfeld unvermeidlicher) Dekohärenz ergibt sich nach der Gesetzmäßigkeit des „Quanten-Darwinismus“ die gleichermaßen unabdingbare Unvollständigkeit.
Gegen dieses Naturprinzip komme alle Idealismen dieser Welt nicht an. Aus gutem Grunde: Denn würde alle Dekohärenz in Vollständigkeit resp. in absolute Optimierung münden, wäre diese Lebenswelt per se eine tote und somit keine Welt.
Bester Gruß in die Runde mit den besten Wünschen für ein gutes, friedvolles und vor allem gesundes Neues Jahr!
Karl
Ratfrag bringt hier mit dem Hinweis auf den diesjährig zu vergebenden Gödel-Preis das Thema Unvollständigkeit auf und es scheint mir sehr angebracht, generell darüber nachzudenken; dieses ohne akribischen Bezug auf die mathematischen Beweise der Gödelschen Unvollständigkeitstheoreme, sondern eher allgemein bezogen auf unsere Lebenswelt, wie diese sich uns als Öko- aber auch als Gesellschaftssystem darstellt.
Geht man von der Definition des ersten Gödelschen Satzes aus, wonach „jedes hinreichend mächtige, rekursiv aufzählbare formale System entweder widersprüchlich oder unvollständig“ ist, erhebt sich im Kontext der Aufgaben-Beschreibung zum diesjährigen Gödel-Preis (siehe da) die Frage nach der Unterscheidbarkeit von Mikro- und Makrosystemen.
Dabei gehe ich davon aus, dass es keiner Unterscheidung zwischen Mikro- und Makrowelt als zwei Systeme bedarf, da Mikrosysteme Konstituenten von Mikrosystemen darstellen (sic parvis magna). Es geht m.E. also eher um Skalierung entweder auf Mikro- oder Makrowelt. Und während sich in ersterer ein Quantensystem im Zustand der Superposition (Kohärenz) befindet ist es gemäß Heisenbergscher Unschärfe und im Sinne von Schrödingers Katze widersprüchlich aber keinesfalls unvollständig, sondern birgt potentielle Vollständigkeit.
Erst nach (in klassisch physikalischem Umfeld unvermeidlicher) Dekohärenz ergibt sich nach der Gesetzmäßigkeit des „Quanten-Darwinismus“ die gleichermaßen unabdingbare Unvollständigkeit.
Gegen dieses Naturprinzip komme alle Idealismen dieser Welt nicht an. Aus gutem Grunde: Denn würde alle Dekohärenz in Vollständigkeit resp. in absolute Optimierung münden, wäre diese Lebenswelt per se eine tote und somit keine Welt.
Bester Gruß in die Runde mit den besten Wünschen für ein gutes, friedvolles und vor allem gesundes Neues Jahr!
Karl
Liebe Liste,
es gibt im Jahre 2023 wiedermal einen Kurt Gödel-Preis des
Kurt-Gödel-Freundeskreises Berlin. Diesmal geht es um das Thema
"Spielt Unvollständigkeit in Gödels Sinn eine Rolle für das Verhältnis
von Mikro- und Makrophysik, und wenn ja, welche Konsequenzen hätte
dies?"
Zu finden unter folgenden Link: https://kurtgoedel.de
Vielleicht interessiert es ja den ein oder anderen.
Sonst wünsche ich Frohe Weihnacht und einen guten Rutsch,
Der, wie immer, Ratlose.
It: "ja, beide Richtungen der Einflussnahme und ihre Überlagerungen kommen vor; aber warum werden die Androhungen von Eingriffen der Unternehmen in die Wirtschaft nicht als „Nötigungen“ eingestuft? Und warum dürfen immer wieder die Lobbyisten des fossilen Imperiums die Regeln zum Klimaschutz vorgeben? Selbstredend teile ich Neubauers Empörung darüber, wie sie sie bspw. auf dem Grünen-Parteitag ihren Mitstreitenden vortrug:
„Was ich nicht verstehe, ist, dass man in entscheidenden Stellen immer und immer und immer wieder die Falschen die Regeln machen lässt. Vor 30 Jahren, vor 30 Jahren hat meine Großmutter eine Solaranlage auf ihrem Dach installiert, da lag was in der Luft, Energiewende von unten — ihr kennt das alles. 30 Jahre später, Anfang der 2020er wurde in Sachsen ein einziges Windrad aufgestellt und Deutschlands Energiesicherheit lag in den Händen eines kriegstreibenden Autokraten. Was ist die Botschaft aus diesen 30 Jahren? Solange fossile Kräfte und fossile Konzerne die Regeln für die Energiewende machen, wird es keine Energiewende geben, die den Namen verdient.“ "
Was ich nicht verstehe ist, warum nun Rot-Grün, solchermaßen an den Hebeln der Macht seiend, eben diese früher von den „Falschen“ gemachten Regeln nicht sogleich ändert. Und Neubauers Großmutter zählte wohl schon vor 30 Jahren zu den Großverdienern, eine Kleinigkeit also, sich eine PVA auf's Dach installieren zu lassen. Ich habe die erste PVA vor ca. 20 Jahren zu horrenden Kosten auf unser Hausdach installieren lassen und das eben nicht wegen der damit einzusparenden Stromkosten, sondern exakt als Zeichen für private Initiative zum Umweltschutz. Du trittst bei mir offene Türen ein!
Jetzt reden wir von Bürgern, die es sich offenbar leisten können, in mehr umweltgerechtes Wohnen etc. zu investieren. Von diesem Niveau aus kann man leicht fordern, doch derartige Investitionen können vom Löwenanteil dieser Gesellschaft schlichtweg nicht geleistet werden. Zu leisten sind jedoch viele kleine Schritte in Richtung Umweltschutz, was es konkret zu bewerben gilt (etwa in Anlehnung an die von mir erwähnten TV-Spots zum 7. Sinn, diesmal eben beispielgebend für umweltgerechtes Verhalten). Damit wäre definitiv mehr gewonnen, als mit diesen Klebeaktionen, mit denen man den Großteil der Bevölkerung eher gegen die Sache des Umweltschutzes aufbringt als sie dafür zu gewinnen.
Was mich an dieser ganzen Debatte extrem stört, ist die Doppelzüngigkeit der Protagonisten! Nicht mehr – nicht weniger. Wenn ich als Großstädter schlichtweg kein Auto benötige, zudem es eh keinen Parkplatz dafür gibt, kann ich mich gut über Mitbürger aufregen, die abends wie morgens an meiner Stadtwohnung vorbei mit dem Auto zur Arbeit bzw. zur Erledigung sonstiger Termine fahren. Solange der ÖPNV nicht für eine wesentlich höhere Auslastung ausgebaut sein wird, ist nicht mit einer Veränderung dieser misslichen Verhältnisse zu rechnen. Und so weiter und so fort … Das naiv schmollende Ankleben auf Fahrbahnen bringt hier keine Abhilfe; man könnte auch sagen, ideologische Träumereien führen nicht weiter, sondern das Erstellen von tragfähigen Konzepten. Letzteres ist Aufgabe von interdisziplinär aufgestellten Expertenteams, die es mittlerweile längst in den Baureferaten der meisten Städte gibt. Doch es bleibt dabei: das von mir benannte Beispiel der nicht spontan umsteuerbaren Ozeandampfer trägt auch hier im kommunalen Bereich. Es sind nicht nur reaktionäre Unionswähler, die dann Protest erheben, wenn in ihrem Stadtviertel massive Umbaumaßnahmen geplant und umgesetzt werden. Da ist viel Heuchelei dabei, ob Du das hören willst oder nicht. Hier konnte man das deutlich am Beispiel des Brenner-Nordzulaufs sehen. Güter auf die Schiene ja, natürlich – aber nicht an unserem Or, nicht an meinem Grundstück vorbei!
Erstaunlich für mich bleibt, wie Du auf die Idee kommen kannst, ich würde einem ungehemmten Wachstum von Wirtschaft und sonstigen gesellschaftlichen Strukturen das Wort reden. Ich habe lediglich Aversionen gegen einen realitätsfremden Idealismus. So würde ich Dich gerne fragen, ob Du derzeit fröstelnd, am Ende gar frierend in Haus oder Wohnung sitzt oder doch eine Heizung betreibst. Könnte es sein, dass diese Heizenergie auf fossiler Energie basiert? Was würde Dir dazu einfallen, wenn sog. Klimaaktivisten es bewirken würden, diese Energiequelle sofort abzustellen? Stop Fossile - at once!!
Du hast wohl Geld genug, um Dich in ein wohl gewärmtes Hotel einzumieten, nicht aber Menschen, die in Hamburgs „wrong site of the City“ wohnen.
Warum sollte ich gegen Paechs Lehre einer vernünftigen Wachstumsökonomie sein? Ich hatte hier doch geschrieben, dass meine Diplomarbeit zum Thema der Technikfolgeabschätzung angelegt war und darin war damals schon Recycling ein zentraler Bestandteil dieser Arbeit. Es geht also um sinnvollen (nicht nur) technologischen Kreislauf, anstatt eines aberwitzigen Wachstums. Auch hier trittst Du offene Türen bei mir ein!
Ich schieb zuletzt: Deutschland ist schlichtweg Industrieland und demnach auf eine funktionierende, darauf ausgerichtete Wirtschaft angewiesen. Das vergessen diese Klebetypen gerne; wobei es mir auch scheint, sie kämen allesamt aus gut situierten Verhältnissen, ein Jammern auf fragwürdigem Niveau! Könnte es sein, dass sie den Verlust dieser Privilegien fürchten, wenn das schöne Wohlfahrts-Deutschland durch klimatische Veränderung einigen Luxus verlieren würde.
It: "Diese Unterstellungen sind unter Deinem Niveau und wohl Deines generellen Unmuts geschuldet."
Aus Deiner Sicht mag es Unterstellung sein und für einige Fälle wird das auch zutreffen. Ist man ehrlich gegen sich selbst, wird man nicht wenige Fälle von Heuchelei und Doppelmoral auf diesem Gebiet erlebt haben und bei genauem Hinsehen täglich erkennen. Damit meine ich nicht vornehmlich die Kleber, sondern die von mir erwähnten SUV-Grünlinge. Was die Klebeaktionen angelangt, bleibe ich dabei: es handelt sich um Aktionen, die mehr Unmut als Zustimmung befördern und damit erachte ich sie als sinnlos bzw, kontraproduktiv. Damit habe ich hier keinen dieser Aktivisten persönlich diskreditiert, sondern äußere meine Meinung genau auf jener gesetzlichen Grundlage, auf die sich diese Protestaktionen stützen.
Bester Gruß! - Karl
Applications are now open for the Lugano Summer School *Reality +*!
In June 2023, together with Magdalena Balcerak Jackson, David Chalmers
and Nathan
Wildman, we will discuss the philosophical import of *Augmented and Virtual
Reality* and how such emerging technologies impact debates in metaphysics,
epistemology, philosophy of perception and philosophy of mind. During the
summer school, there will be morning and afternoon sessions, social
activities, as well as an experience in virtual reality.
More information and a provisional schedule are available at
https://www.usi.ch/en/reality
*Instructors:*
Magdalena Balcerak Jackson
David Chalmers
Nathan Wildman
Hosted by: the Institute of Philosophy (ISFI) at *Università della Svizzera
italiana* (USI), Lugano, Switzerland.
Dates: *from* *June 9 to June 13, 2023*.
Deadline for applications: *February 15, 2023*.
Participants: the Summer School is open to both graduate students and early
career researchers.
For any queries, do not hesitate to contact the organizers at
reality.summerschool(a)usi.ch
Moin Ingo,
so sehr wir in Fragen gesellschaftspolitischer Themen auseinander driften, so erstaunlich die bisweilen aufscheinende Kongruenz in der Sicht auf naturwissenschaftliche Zusammenhänge; wenngleich diese Sichten aus definitiv unterschiedlicher Perspektive darauf gerichtet sind. Während ich immer auch von der metaphysischen (wenn nicht sogar religiös geprägten) Sichtweise her Naturwissenschaft reflektiere, fehlt Dir dieser Zugang total. Wo ist das Problem dabei? Es sollte keines geben, denn letztlich kommt es auf das Zielbild an und dieses ist m.E. aus mehreren Sichtwinkeln auszumachen.
it: „Ja eben, warum dann so häufig die qualitativ beschränkte Sicht auf die Welten ohne Verweis auf nachvollziehbare Homologien? Dem philosophischen Streben nach dem kritisch-reflektierten Zusammendenken mehrerer ernst zu nehmender Theorien scheint mir nach den Forschenden aus der Physik (… de Broglie, Madelung, Wheeler/Feynman, Bohm, Bell, Nelson, Cramer, H.P. und D. Dürr, Kastner, Barad) neben Lorenzen natürlich gleichsam als Gegenpol auch Gabriel geeignet mit seinen „Sinnfeldern“. Sein Buch „Sinn und Existenz“ von 2016 habe ich bisher aber nur überflogen.“
Wenn Du hier Markus Gabriel und seine „Sinnfelder“ ins Spiel bringst, führt das geradewegs zurück auf meinen hier schon oft beschriebenen Bezug auf Informationsfelder.
Information, dieser Begriff hat Dich – soweit von mir hier beschrieben – stets irritiert und zu deutlicher Ablehnung provoziert. Wir sprechen hier aber nicht von Information als kommunikationstechnisches Verfahren im Shannon'schen Sinne, sondern als Träger von Bedeutungsinhalt. Im Kontext von Philosophie etwa Bedeutungsinhalt einer Aussage und wenn etwas Bedeutung hat, dann hat es einen Sinn, der einen spezifisch semantischen Bezug aufweist. Natürlich ist Information in diesem Zusammenhang nicht der Bedeutung vorgängig, sie ist schlicht nur Träger. Was anderes als ein Informationsträger könnte die de Broglie Welle sein, die als Führungswelle den Verlauf eines (Sinn-)Feldes bestimmt. Bevor man jedoch von Sinnfeldern spricht, resp. wie diese Felder Gegenständlichkeit zur Erscheinung bringen, ist die Frage zu klären, was denn einer Führungswelle Information sprich Bedeutungsinhalt aufprägt bzw. einprägt. Man denkt an Aristoteles „Stoff und Bedeutung“, hier schon unter der Begrifflichkeit von „Matter and Meaning“ (Barad) beschrieben.
Gabriel gekennzeichnet die Regeln, nach welchen Sinnfelder (als gegenständliche Erscheinungsform) definiert werden, als Sinn und setzt sich damit von der herkömmlichen Beschreibung von Gegenstandsbereichen ab. Das erscheint mir als durchaus sinnvoller Denkansatz, denn er löst sich damit von einer vagen Sinnzuschreibung in metaphysischen Kategorien ab. Das entspricht einer durch und durch realistischen Ontologie zu der man in dieser Terminologie einen lebenspraktischen Bezug ohne (diesbezüglich unnötige metaphysische Mutmassungen) herstellen kann.
Natürlich wird dabei die eigentliche Intention Gabriels deutlich, indem er sich mit dieser positivistischen Ontologie von einer monistisch geprägten Metaphysik absetzen will. Das steht im Gegensatz zu C.F.v. Weizsäckers Bild vom Einen als einem quasi totalitären Welt- resp. Gottesbild. Ich denke, dass sich dieser Gegensatz bei tieferem Nachdenken über diese Zusammenhänge auflöst. Warum sollte das „EINE“ kein Sinnfeld resp. Informationsfeld sein? Für Dich sogleich Provokation denke ich, wie eben für alle Atheisten, sobald etwas auch nur irgendwie nach Göttlichem aufscheint. Denkt man an Bonhoeffer und seinen Ausspruch: „Den Gott, den es gibt, den gibt es nicht“, so sollte klar werden, dass Menschen sich besser an das erste Gebot des Dekalogs halten sollten. Damit also schnell wieder hin zu Naturwissenschaft und weg von verkappter Ontotheologie (wie das Gabriel so nennt) und nichts anderes bedeutet, als eine Verbindung von Metaphysik mit einer Ontologie, in Art einer Bedeutungs- resp. Sinndefinition. Letzteres würde uns hier (wie es sich all die Jahre hier gezeigt hat) nicht weiterbringen, wohin auch?
Gabriels Standardthema „Warum es die Welt nicht gibt“ verneint die Annahme der Welt als ein Ganzes, da sie (an die Philosophie Kants angelehnt) schlichtweg kein Gegenstand der Erkenntnis, vielmehr nur ein möglicher Erfahrungsraum sei, quasi ein Sinnfeld möglicher Erfahrung darstellt.
Mein Verhältnis zu Gabriel ist von Anfang an gespalten, einerseits, weil er mir als ein „loose talking Youngster“ vorkam, andererseits er mir mit seinem Denkansatz von Sinnfeldern Hoffnung gab, ideologiebehaftete Weltsichten zu überkommen. Natürlich widerstrebt mir seine radikale Abwendung von jeglicher Mythologie, alleine schon deshalb, weil auch er – wie alle vor ihm - nicht im Stande sein wird, das Geheimnis eines Göttlichen, oder eben die Mythologie des EINEN zu begreifen und damit auch nicht diese Hintergründe zu beschreiben. Die plumpe Aussage seines positivistischen Realismus, wonach es kein die Welt Umfassendes, keinen Gott, kein Grundprinzip etc. gibt, ist für mich nichts anderes, als eine (natürlich) zulässige These, nicht mehr – nicht weniger. Hossenfelder hat hierzu eine klare Aussage, die in etwa der des Waldemar entspricht: Es kann Gott geben oder eben auch nicht – Punkt! Ersterer hat den konjunktiven, letztere den disjunktiven Ansatz.
So bleibt mein gespaltenes Verhältnis zu seiner „Sinnfeldontologie“, die als solches nicht mit einer an Modallogik aufsetzenden Metaphysik vereinbar ist. Metaphysik befasst sich für mich nach wie vor mit den Phänomenen hinter der Physik und entzieht sich eigentlich jedem sprachlichen Zugang. Im Kern kann man Metaphysik nur (an)denken und erspüren, damit allenfalls in Bildern und Lyrik darstellbar.
Die damit in Verbindung stehende Metaphysik möglicher Welten (Himmel und Höllen, Nirvana, ewige Jagdgründe etc..) scheint der naturwissenschaftlich angelegten Theorie der vielen Welten (Everett) nahe zu stehen. Gabriel spricht diesbezüglich von unendlich vielen Sinnfeldern und ich denke, was anderes als eben derartige Sinnfelder sollten „viele Welten“ sein, die aber abstrakte und eben keine konkret existierenden Universen sind.
Das uns tragende, konkrete Universum, unsere Lebenswelt entspricht im Sinne des Aristoteles einer Welt, auf der wir uns aktual befinden und dieses im Umfeld von unzähligen davon kausal abgetrennten anderen (möglichen) Welten.
Trotz aller angenommenen Plausibilität derartiger Denkmodelle bleibt das Thema spekulativ und bietet Raum für beliebige Interpretationen; seien sie aus der Mikroebene der QM oder aus klassischen Denkmodellen her abgeleitet.
Interessant im Zusammenhang dieses Threads „Zufall und Notwendigkeit“ sind Gabriels Aussagen zum „Leitsinn“ des Sinnfeldes einer Gegenständlichkeit, bzw. deren Anordnungsregel. Der Leitsinn ist das Strukturprinzip als Verbindungsglied zwischen Gegenstand und Sinnfeld, in dem dieser erscheinen kann. Hier kommt Notwendigkeit und Kontingenz ins Spiel, wonach Eigenschaften als dem Sinnfeld innewohnende Relationen zwischen real existierenden Gegenständen zu sehen sind; Eigenschaften, die gemäß Notwendigkeit eben genau so oder - durch Kontingenz modal variiert - auch anders sein können. Für mich ist bei diesem Denkmodell die Vorstellung einer feldimmanenten Relation zwischen Gegenständlichkeiten das entscheidende Faktum und ist – trotz aller vehementen Absage Gabriels an Metaphysik – eben genau mit dieser (im weiteren Sinne) verknüpft bzw. durch diese ausgedrückt. Denn was anderes als der Begriff von Verschränkung könnte zur Erklärung benannter feldimmanenter Verbindung disparater Sinnfelder, in denen Gegenständlichkeit aufscheint, dienen? Wenn man (wie ich) Verschränkung jedoch als konkret quantenmechanisches Phänomen annimmt, entledigt man sich geflissentlich jeglicher Metaphysik.
Bester Gruß! - Karl
Grade haben wir hier in philweb eine Odyssee hinter uns gebracht, wo Gedanken, subjektive Denkmuster in allerlei „Worte-Wust“ verpackt, wie auch in nüchterner Darlegung dieses Forum fluten. Ich denke, allemal besser, als eine Mailing-List, die scheintot ihr virtuelles Dasein auf dem Server der ehrwürdigen Uni Wien (phil. Fakultät) fristen würde.
An dieser Stelle soll einmal mehr der herzlichste Dank an das EDV-Team dieser Fakultät dafür gerichtet sein, dass wir dort „gehostet“ und bestens technisch betreut werden!
Joseph meinte zuletzt, in philweb würde eine unerschütterliche Hochachtung vor der Wissenschaft zum Ausdruck gebracht werden und verweist auf einen diesbezüglich von ihm abgefassten Text auf seiner Website. Ich habe diesen soeben gelesen und wurde dabei mit Wehmut an Peter Jaenecke erinnert, dessen Aufsatz über Wissensbausteine Joseph per Link verfügbar macht.
In welchem Verhältnis steht Wissen zu Wissenschaft? Man kann sagen, dass Wissen erst durch Wissenschaft erzeugt wird. Ingo hat das in einem Beitrag zuletzt gut zusammengefasst: Es sind bisweilen Zufälle (eher im Sinne des Zufallens oder Zusammenfallens von Ideen oder bereits existenten Wissensbausteinen, wie Peter Jaenecke diese beschrieb).
Wo wäre die Menschheit heute ohne die Denker der Antike und Neuzeit, ohne empirisch Forschende, ohne Theoretiker der Physik und generell der Naturwissenschaften?
Um es mit Waldemar zu sagen: Menschliches Denken wäre noch zutiefst in animistische Vorstellungen verstrickt, praktisch ausgedrückt: Menschen würden noch an den Gott des Donners glauben und allen sonstigen Göttern ihren Tribut zollen; vergebliche Liebesmüh – damals wie heute.
„Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, wie wahr erweist sich doch diese Volksweisheit. Sich selbst helfen heißt Wissenschaft betreiben, so also: ein Hoch auf die Wissenschaft!
Bester Gruß in die Runde! - Karl