Dein jüngster Hinweis, Ingo, auf meinen Bezug zu Karen Barad (erstmals 2015) zeigt auf meine zwiespältige Einstellung zu ihr. Wie ich schon zuletzt erwähnte, habe ich mich nun wiederum mit ihrem Hauptwerk „meeting the universe halfway“ beschäftigt und zudem aktuelle Publikationen (Interviews etc.) durchgesehen. Es bleibt bei meinem Zwiespalt: Einerseits großes Einvernehmen mit ihren Aussagen zu Verschränkung, dessen Prinzip sie auf die naturwissenschaftliche Praxis projiziert und damit die Verschränkung von Ontologie und Epistemologie (eben auch als interdisziplinäres Forschen der bislang getrennten Wissenschaftszweige) fordert. So liegt es nahe, dass sie mit ihrem „Agential Realism“ eine Gegenposition zu rein konstruktivistischen wie relativistischen Modellen einnehmen will, die sie grundsätzlich ablehnt (wie ich zutiefst ebenso); Vielmehr lebenspraktischen (brückenschlagenden) Bezug haben für mich ihre Darlegungen der ontologischen und erkenntnistheoretischen Implikationen von Niels Bohrs Quantenexperimenten.
Irritierend wirken auf mich ihre für meine Begriffe bisweilen radikalen Hinwendungen zu einem Feminismus (in Anlehnung an Donna Haraways „Queerness“), mitsamt einem (offensichtlich bewusst gewählten) äußeren Erscheinungsbild, die meinem idealistischem Frauenbild entgegenstehen.
Es wäre töricht, auch nur ein einziges Argument dem allzu sehr berechtigten Anliegen resp. Anspruch, die bislang vorherrschenden patriarchalischen Paradigmen zu überwinden, entgegen zu stellen; dennoch erscheinen mir manche Methoden und Ausdrucksformen des radikalen Feminismus nicht weniger abstoßend, als es die weltweit immer noch vorherrschenden patriarchalen Strukturen sind.
„Wovor haben iranische Mullahs Angst?“ war eine in der faz gestellte Frage, mit der hoffnungsvollen Antwort: „vor wütenden Mädchen“. Damit ist einiges zu diesem Thema gesagt und wer wollte diesen „wütenden Mädchen“ nicht den (durchschlagenden) Erfolg ihrer höchst mutigen Aktionen wünschen; ein Anfang ist gemacht.
Mit Barad kann man nur hoffen, dass vor allem auch die technisch-wissenschaftlichen Innovationen genutzt werden, um einen Paradigmenwechsel im genannten Sinne herbeizuführen.
Bester Gruß! - Karl
Zeitenwende. Mit diesem Wort wurde als Antwort auf den Ukraine-Überfall
sogleich und tatsächlich ein epochaler Wechsel in der geopolitischen
Beziehung zu einem Regime proklamiert, dem man sich über die letzten
Jahrzehnte vertrauensvoll, aber doch (wie es nun offenkundig wurde) naiv
angenähert hatte. Nahezu ungläubig, aber auch mit gewisser Zustimmung
folgte man den wohlgesetzten Worten, mit denen eine für dieses Land
nicht mehr vorstellbare militärische Aufrüstung zu dessen Schutz
angekündigt wurden.
Beide eingetretene Situationen, Putins Aggression und Drohung mit
Atomwaffen wie auch die verkündete Zeitenwende erschienen mir wie ein
Albtraum, aus dem man möglichst schnell erwachen will. Doch er endet
nicht und nach Wochen dieses Horrors wird spätestens klar, dass Putins
Traum von einem Großrussland, den er sich mit Hitlers Blitzkrieg-Methode
erfüllen wollte, ebenso nicht enden will und niemals seinem Wunsch gemäß
enden kann.
Ein anderer Traum jedoch wird für ihn ergötzlich enden, nämlich der
Eintrag in die Geschichtsbücher mit einem Platz neben genau jenem,
dessen Geist er zu bekämpfen vorgibt. Brüder im Geiste, posthum -
versteht sich, hingegen lebende Brüder in seiner Nachbarschaft
abgeschlachtet werden.
Das ist meine Sicht auf diese Dinge und ich liege insoweit falsch, als
ich (dem gescholtenen Westen zugehörig) aus Sicht des großen Führers der
stolzen russischen Nation nicht in der Lage sein soll, dessen Anliegen
zu verstehen.
So bleibt mir nur im Einklang mit Ingos zuletzt beschriebener
Gefühlslage, diese erdrückend-lähmende Stimmungslage zu überwinden, die
es mir unmöglich machte, dieses unglaublich schreckliche Geschehen
gedanklich zu verarbeiten, geschweige denn darüber zu schreiben.
Letzteres erübrigt sich ohnehin, denn es wird ja alles dazu Erdenkliche
bereits geschrieben, jede Spekulation, jede Gewalttat publiziert;
unglücklich nur, dass es jenen, die darüber informiert sein sollten,
gewaltsam vorenthalten wird.
Doch auch hier gilt (wie für das China-Virus). „die Sonne bringt es an
den Tag“.
Waldemars Furor gegen Ideologien kommt mir in den Sinn. Das Ideal, als
Urbild aller Ideologien, hat wieder seine große Zeit. Und es war die
Zeit, über die ich eigentlich hier schreiben wollte. Doch es fanden sich
(wie gesagt) weder Gedanken, noch Worte, so bleibt nur die Musik - sie
heilt wie die Zeit alle Wunden. So hörte auch ich (in Anlehnung an Ingos
erwähnten traurigen Song "Morning Dew“ von Bonnie Dobson) immer wieder
„Brothers in Arms“; Mark Knopflers Lied, das mir in Joan Baez‘
Interpretation zutiefst nahe kommt und ich dabei nicht verstehen kann,
warum dieses Bekenntnis „We're fools to make war - On our brothers in
arms“ sich immer noch nicht in die Herzen der Menschen eingebrannt hat.
Tröstlich dabei mag sein: Kein menschliches Tun und Erleben hat Bestand.
Vorübergehend sind Unglück wie auch das Glück, letzteres als ein Moment
des Kairos, den es beizeiten zu erfassen und zu schätzen gilt, verweilt
er doch jeweils ungleich kürzer wie jener der Trauer.
Nichts ist für die Ewigkeit, dennoch bleibt die Ungewissheit bezüglich
der Frage von Ewiger Wiederkehr: Geboren werden und sterben, abbrechen
und aufbauen, weinen und lachen, verlieren und finden, schweigen und
reden, lieben und hassen. Man muss nicht biblische Zitate bemühen, um
diese Tatsache für sich persönlich zu erkennen. Dennoch vermittelt es
Trost wie auch Optimismus zu sehen, was zu allen Zeiten bisher gegolten
hat: die Zeit heilt alle Wunden.
Aber was ist Zeit, was ist ihr Wesen, wie wird sie zum Heiler?
Nun wie gesagt, darüber wollte ich hier im Forum schreiben, das
allerdings unter einem gänzlich „anderen Stern“, derzeit stehen die
Sterne schlecht und man möchte Astrologen fragen, wann sich diese
Unglückskonstellation wieder auflöst. Womöglich erhält man darauf
ähnlich verschiedene Antworten, wie auf die Frage nach dem Wesen der
Zeit, die gleichwohl besser an Astronomen und Kosmologen gerichtet ist.
Stellt man sich diese Frage zunächst selbst, könnte es passieren, dass
man tatsächlich der diesbezüglichen Schilderung des Kirchenvaters
Augustin beipflichten muss, wonach er sicher zu wissen glaubt, was Zeit
sei, jedoch dieses Wissen nicht zu erklären vermag, wenn er danach
gefragt wird.
Dieser so oft zitierte Passus aus Augustins Bekenntnissen zeigt m.E.
deutlich, dass Zeit hinsichtlich ihrer subjektiven Wahrnehmung als eine
Einheit empfunden und somit als fundamentale Größe angenommen wird. Bei
objektiver, insbesondere naturwissenschaftlicher Betrachtung jedoch
zeigt sich, dass Zeit keine elementare, wenngleich jedoch eine
bedeutende Größe ist. Bedeutsam vor allem hinsichtlich dem Phänomen der
Raumzeit.
Damit komme ich zu Waldemars Anregung: „hier mal ein script "raum+zeit"
zum stöbern ...
http://www.mathphys.uni-freiburg.de/physik/filk/public_html/Skripte/Texte/R…
Ich habe es (hunderte Seiten) kursiv durchgesehen und mir dabei
gewünscht, zu meinen Studienzeiten eine derart fundierte
Zusammenstellung zum Thema Raumzeit in dieser Form verfügbar gehabt zu
haben. Daher sollte ich mich wirklich fragen, warum ich hier über Zeit
resp. Raumzeit schreiben will, wo doch zu diesem Thema (neben o.a.
Schrift) bisher abertausende Abhandlungen verfasst, Erklärungen und
Definitionen postuliert wurden und diverse Theorien entwickelt sind.
Womöglich ist es aber diese nahezu unübersehbare Vielfalt, die zwar
immer wieder Anreiz ist, sich mit diesbezüglich unterschiedlichsten
Denkansätzen zu beschäftigen, jedoch durch die Fülle verschiedenster
Denkansätze dem Wunsch nach einer im gewissen Sinn hinreichend
abgeschlossenen und damit befriedigenden Erklärung des Phänomens Zeit
entgegensteht.
Über Zeit zu schreiben könnte demnach dadurch motiviert sein, zunächst
sich selbst noch einmal klar zu werden über diesen Begriff in seiner
ganzen Ambivalenz, um vor allem die im Alltagsdenken und damit auch in
den eigenen Denkmustern diesbezüglich verankerten Vorstellungen zu
hinterfragen und ggf. zu korrigieren. Diese Korrektur gelingt
vornehmlich im Dialog resp. in der Diskussion.
Im einfachsten - der Lebenspraxis sicherlich sehr nahe kommendem - Fall,
könnte man sich auf Einsteins Antwort auf die Frage an ihn, was denn
Zeit sei einigen: „Zeit ist, was ich auf der Uhr ablese“.
Nun denn – wer wollte dem Genie widersprechen!?
Beste Grüße! - Karl
Nun kommt hier – in Anlehnung an Gödels Unvollständigkeitstheorem und seinem Gottesbeweis - einiges zusammen und ich möchte versuchen, dieses verbindend, darauf einzugehen:
Wenn Ingo von einem Nihilisten schreibt. liegt es nahe, ihm dieses Charakteristikum zuzuschreiben, gibt er sich hier doch - und sieht sich sicher auch selbst - als kritischer Geist gegenüber Ideologien insbes. natürlich vs. Religion und damit auch jeglicher Gottesvorstellung. Nihilismus an sich geht jedoch weit über die ihm zueigene Negation von Religion hinaus, bezieht sich auf alle Gesellschaftsmuster in positivistischer Attitüde, die ich in dieser Weite eher bei Waldemar, als bei Ingo sehe. Gleichwohl kann er sich nicht einer Spitze enthalten, wonach er Gödel als „christlichen Axiomatizist“ bezeichnet und diesen damit tendenziös klassifiziert und im gleichen Schwung auch Gläubige, wonach - mit Bezug auf Gödels „besessener Arbeit zum Beweis der Kontinuumshypothese“- , diese das Aktual-Unendliche als geradezu „göttlich“ annehmen. Warum auch nicht, könnte man hier fragen und so sollte es nicht wundern, wenn Ratfrag dieses als „werturteilsgeleitete Spekulation“ sieht, dem ich nur zustimmen kann, ebenso natürlich seinem Hinweis, wonach die Kontinuumshypothese nicht mit den Mitteln üblicher Axiomatik der Mengenlehre (ZF resp. ZFC) bewiesen werden kann.
Meine Frage bei all dieser Thematik ist, was hat es mit diesem Gott auf sich, dass sich darauf bezogen immer wieder auf's Neue Diskussionen, Dispute, Kriege um dieses Phänomen entfachen. Warum will man partout dessen Existenz beweisen, warum geschieht in dessen Namen Heil und Unheil in dieser Welt?
Eine Muslima hat es seinerzeit so ausgedrückt: Im Namen des Allah (Gott) geschieht Unheil, das in seinem Bewusstsein nie geschehen würde (sinngemäß). Damit ist alles gesagt! In der Bewusstwerdung und nicht im Namen eines Gottes würde menschliches Denken und Handeln gänzlich anders ausfallen.
Damit kommt Josephs Einwand ins Spiel, dass er sich weder als Vertreter des Wissens, noch des Glaubens sieht und sich vornehmlich dem Hypostasieren (einer Gottesvorstellung) widersetzt. In letzterem liegt genau das Problem der Religion(en) insbes. der christlichen, insoweit sie das Bilderverbot des Dekalogs missachten.
Diese Vergegenständlichung ist zwar verständlich, da sie sich historisch nahezu zwingend entwickelt hat, sie müsste mit heutigem Wissen aus Natur- und Geisteswissenschaft jedoch ein Ende finden. Im Unvermögen der Theologie, sich von ursprünglich animistischen Welt- und Gottesvorstellungen zu trennen, liegt der eigentliche Grund der von ihr betrauerten Kirchenflucht. Der Mehrheit junger Menschen kann man nicht mehr mit der Metaphorik biblischer Sprache kommen und Kindern könnte man ebenso ein anderes Narrativ (welches Modewort!) anbieten, mit dem man ihnen ins junge Herz legt, dass sie nicht nur Kinder ihrer Eltern, sondern auch „Geistes-Kinder“ (damit im christlichen Sinne Gotteskinder) sind und dieses ein Leben lang bleiben (sofern sie sich dieses nur immer wieder vergegenwärtigen).
Doch nochmal zu Beweisen, resp. zur Beweispflicht. Zu letzterer gibt es schlicht keine Abrede, dort, wo es im wahrsten Wortsinne etwas zu beweisen gilt, sei es in der Wissenschaft, im Gesellschaftsleben oder aber auch im ganz persönlichen Umfeld. Doch auch hier bleibt die Frage: lässt sich, kann oder muss man ALLES beweisen?
Mit Gödels Unvollständigkeitstheorem kam auch dessen Gottesbeweis in die Diskussion, wobei ich in Abrede stellte, dass es diesen überhaupt geben kann. Es waren ja bekanntlich die Jubelschreie von Gottesgläubigen nicht zu überhören, als Forschende der FU Berlin sowie TU Wien die Gültigkeit von Gödels diesbezüglicher Argumentationskette computergestützt nachweisen konnten.
So würde ich nochmal darauf eingehen wollen und seine Beweisskizze hier anführen (nach Dana Scott):
Annahme 1: Entweder eine Eigenschaft oder ihre Negation ist positiv.
Annahme 2: Eine Eigenschaft, die notwendigerweise durch eine positive Eigenschaft impliziert wird, ist positiv.
Theorem 1: Positive Eigenschaften kommen möglicherweise einer existenten Entität zu.
Definition 1: Eine gottähnliche Entität besitzt alle positiven Eigenschaften.
Annahme 3: Die Eigenschaft, gottähnlich zu sein, ist positiv.
Schlussfolgerung: Möglicherweise existiert Gott.
Annahme 4: Positive Eigenschaften sind notwendigerweise positiv.
Definition 2: Eine Eigenschaft ist Essenz einer Entität, falls sie der Entität zukommt und notwendigerweise alle Eigenschaften der Entität impliziert.
Theorem 2: Gottähnlich zu sein ist eine Essenz von jeder gottähnlichen Entität.
Definition 3: Eine Entität existiert genau dann notwendigerweise, wenn all ihre Essenzen notwendigerweise in einer existenten Entität realisiert sind.
Annahme 5: Notwendigerweise zu existieren ist eine positive Eigenschaft.
Theorem 3: Gott existiert notwendigerweise.
Für meine Begriffe wird mit diesem „mathematisierten“ Gottesbeweis die Existenz Gottes nicht nachgewiesen, denn es handelt sich um eine ontologische, an die die philosophische Tradition anknüpfende Beweisführung. Es handelt sich bei dieser logischen Argumentation, die auf empirischen Grundannahmen (als Axiome) aufgebaut ist und daraus die Existenz Gottes ableitet, um einen Beweis, der lediglich auf abstrakte Begriffe und damit auf deren (wiederum) zu beweisende Stichhaltigkeit reduziert ist.
So bleibe ich dabei: Ein Gott kann nicht bewiesen, sondern ausschließlich nur geglaubt (oder auch gespürt) werden. Und überdies: würde es einen stichhaltigen Beweis für die Existenz (eines) Gottes geben, würde die Menschheit ein grundsätzlich anderes Leben führen und alle wie auch immer gearteten Spekulationen oder erbärmlichen Kalküle (Pascalsche Wette) würden aus diesem Jammertal verschwinden. Aber auch dieses Jammertal würde verschwinden und das ist ganz offensichtlich nicht in (eines) Gottes Sinn!
So ist naheliegend, dass auf Beweise fixierte Nihilisten grundsätzlich keinen Zugang zu irgendeiner – wie auch immer gearteten - Gottesvorstellung haben können. Das wusste auch der gläubige Wassili Basarow, als er seinem Sohn den Beweis eines Satzes abverlangte. Und Turgenew wusste es allemal; es lohnt sich, ihn zu lesen und wenn man mit „Erste Liebe“ anfängt, hat man einen sehr guten Anfang zu dem es nie zu spät ist – Schule hin oder her, will sagen: ob dort heute noch die Klassiker der Literatur „durchgekaut“ werden, wird ein Blick in die Lehrpläne zeigen. Vielleicht ist ja doch eine hier in philweb teilnehmende Person, die das beantworten kann.
Bester Gruß! - Karl
PS: Für Joseph noch: Wir hatten hier auch über Zeit geschrieben, was ist Zeit überhaupt – das ist längst noch nicht erschöpfend geklärt. Eines ist für mich jedoch geklärt: Deine Texte auf „Weltordnung“ zu lesen benötigt Zeit, diese zu verinnerlichen, verlangt noch viel mehr Zeit; wer sie aufbringt, wird Deine Argumentation hier um einiges besser verinnerlichen können. Wer sie nicht aufbringt, für den gilt: „this talk is not for you“. Dein Hinweis auf den Wikip-Eintrag zur Linguistischen Wende jedenfalls zeigt auf, wie sehr Sprache an sich das Denken des Menschen prägt und natürlich vice versa. Dennoch bleibt mein Bezug zur Sprachkritik sehr kärglich.
wh: ich ahnte schon lange, dass von dir epochales in physikalisch-medizinisch-mathematischer hinsicht zu erwarten ist,
worauf auch deine "oftigen" bisher noch unfertigen verknüpfungsversuche zwischen quantenwelten, hirnwelten, und götterwelten hindeuten, denn was schlicht noch-unbekannt ist, wird durch addition von unbekanntem-und-unwahrscheinlichen = bekannt (oder wenigstens "anzunehmen-bekannt")
Über diesen Passus habe nochmal nachgedacht. Abgesehen von dieser sublim, nahezu schon verächtlich angelegten Kritik, von mir Epochales zu „physikalisch-medizinisch-mathematischer“ Thematik erwartet zu haben, stellt sich damit die Frage, über welche Themen wir in diesem Forum ansonsten diskutieren sollten. Etwa die Standardfrage der Trivialphilosophie, was denn der Sinn des Lebens sei? Dafür gibt es beliebig andere Foren, wo man sich darüber die Köpfe heiß streitet. Oder sollten wir Philosophiegeschichte diskutieren und das bei Deiner Ablehnung althergebrachter Auctoritatas, wie Du es ausdrücktest.
Hier im Forum wollten wir auch nicht nur mehr oder weniger „sinnbefreit“ herumschwafeln, sondern uns einem offenen Themenkreis zuwenden, der aus vornehmlich philosophischer Sicht betrachtet gemeinsam erörtert wird.
Gemeinsam heißt hier: Eine Handvoll aktiver List-Teilnehmende tauschen ihre Weltsichten aus und das in durchaus sehr divergent angelegter Eigenart. Letzteres ist wünschenswert, wird aber zum Problem, wenn sich Weltbilder diametral entgegenstehen und dadurch Diskussionen ideologisiert und damit letztlich blockiert werden.
Ich glaube sagen zu können, dass keiner von uns Aktiven hier den Anspruch resp. das Vermögen hat, „Epochales“ hinsichtlich des benannten naturwissenschaftlichen Themenfelds beizutragen; Einsteins sind eher ein Jahrhundertphänomen.
Mein persönliches Suchen nach „Brücken“ zwischen Natur- und Geisteswissenschaft bindet selbstredend zwei Wissensbereiche, die in Summe Grundlage für ein erneuertes philosophisches Denken (wie es Ingo hier angeregt hat) stehen kann.
Meine persönlichen Bemühungen, diese Brücken zunächst für meine Gedankenwelt zu konstruieren - und es sind ja notwendigerweise zunächst Konstrukte, genauer „Hirnkonstrukte“ - fließen doch unweigerlich in Gespräche, Diskussionen und daher auch hier in meine Philweb-Beiträge ein. Welch hinreichend mit dieser Thematik befasste Person, frage ich mich, könnte ernsthaft davon ausgehen, dass damit letztgültige Annahmen, Postulate etc. vorgelegt werden können. Wäre das zu dieser Zeit möglich, hätten aktuell Forschende längst die TOE (Theory of Everything) vorgestellt und den finalen Nobelpreis erhalten. Allein schon das noch offene Problem der Verbindung von QM mit Gravitation (Quantengravitation) zeigt, wie unvollständig die bislang bekannten Theorien noch sind.
Ich bin sicher, Du Waldemar, liest nichts in der Tiefe von Penrose, Susskind, Smolin, t`Hoft, Verlinde, Tegmark, D.Deutsch, Hossenfelder und vielen mehr, aber auch grenzwissenschaftlich etwa Capra, Wilber, Laszlo.
Glaubst Du am Ende, ich würde mir mein aktuelles Wissen zu MINT und darüber hinausführende Themen aus den Fingern saugen und daher nur unfertiges Zeug hier posten? Ingo gibt immer wieder auch Hinweise auf aktuelle wissenschaftliche Literatur, die eigene Denkmuster bereichern, festigen oder auch korrigieren. Ich würde diese Forschenden hier gerne diskutieren und eben nach Brücken zu Geisteswissenschaften suchen, sowie gewisse Themen auch ohne Scheu vor Grenzwissenschaften betrachten. Das kann jedoch nicht gelingen, wenn schon beim ersten Anschein eines metaphysischen Bezugs Diskussionen blockiert werden.
Metaphysik scheint hier ein Reizthema zu sein, dabei ist es unabweisbar Teil der Philosophie. Metaphysik ist nicht gleich GOTT! - wo es hier schon darum geht, den Gottes-Begriff möglichst zu meiden, um eben dieses leidige Thema zu vermeiden. Eigentlich schade, denn hier gibt es ja fundamentale Defizite in der Theologie, wie von mir oft angeführt.
Die Grundfrage der Philosophie ist eben nicht die Trivialfrage nach dem Sinn des Lebens, sondern „warum ist etwas und vielmehr nicht nichts“. Das Etwas der physikalischen Lebenswelt ist mittlerweile hinreichend erforscht und erklärt, bei weitem jedoch nicht die Frage des WARUM und WOZU. Man muss diese Frage natürlich nicht stellen und wird sie nicht stellen, wenn man Materialist ist und sich mit den vorliegenden Erklärungen zum pur physio-chemischen Aufbau von Leben und Welt zufrieden gibt.
Ich jedenfalls gebe mich nicht damit zufrieden und wenn das einige andere Teilnehmende hier auch nicht sind, können wir weiter in diesem Forum diskutieren, ansonsten bin ich hier dann raus.
KJ
Reminder: Applications are open till 15th February for the Lugano Summer
School *Reality +*!
In June 2023, together with Magdalena Balcerak Jackson, David Chalmers
and Nathan Wildman, we will discuss the philosophical import of *Augmented
and Virtual Reality* and how such emerging technologies impact debates in
metaphysics, epistemology, philosophy of perception and philosophy of mind.
During the summer school, there will be morning and afternoon sessions,
social activities, as well as an experience in virtual reality.
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Magdalena Balcerak Jackson
David Chalmers
Nathan Wildman
Hosted by: the Institute of Philosophy (ISFI) at *Università della Svizzera
italiana* (USI), Lugano, Switzerland.
Dates: *from* *June 9 to June 13, 2023*.
Deadline for applications: *February 15, 2023*.
Participants: the Summer School is open to both graduate students and early
career researchers.
For any queries, do not hesitate to contact the organizers at
reality.summerschool(a)usi.ch
Ich fragte zuletzt hier, ob es überhaupt Vollkommenheit im Sinne objektiver Gültigkeit geben kann und denke, dass dies einer rhetorischen Frage gleichkommt. Interessant ist Deine Ansicht, Waldemar, dass das Unvollkommene ja geradewegs das Vollkommene sei.
Nun war das eigentliche von mir angeschnittene Thema Unvollständigkeit, dieses in Anlehnung an Gödels Unvollständigkeitstheoreme, auf die Ratfrag zum diesjährigen Gödelpreis hingewiesen hat. Mein Ansatz, dieses genuin mathematisch angelegte Thema der Logik auf die bedeutsame Frage nach Vollkommenheit im Sinne von idealisierter Vollendung umzulenken, entspringt meiner Neigung, solche Fragen unter philosophischem Aspekt zu betrachten.
Landläufig spricht man etwa von vollendeter Schönheit eines Kunstgegenstandes, einer absolut gelungenen Architektur oder aber auch von vollendet körperlicher Schönheit, gleichermaßen von Menschen oder Tieren auch von Pflanzen; Eine Rose sei nur von einiger Entfernung in ihrer Schönheit zu sehen, meinte Goethe, andernfalls man bei zu naher Betrachtung nur die von Läusen zerfressenen Blätter und Blüten zu Gesicht bekäme.
Zu große Nähe scheint dem ästhetischen Eindruck zu schaden, schadet sie generell der Empfindung von Vollkommenheit, deckt sie am Ende auf, dass es diese gar nicht gibt resp. geben kann? Wird damit deutlich, dass Vollkommenheit letztlich Unvollkommenheit ist, wie Waldemar das sieht?
Wenn das zutrifft, erhebt sich die Frage, warum im Sprachgebrauch dann zwei unterschiedliche Begriffe eingeführt wurden.Ich denke, hier wird deutlich, wie unpräzise (umgangs-)sprachliche Ausdrucksformen sind und damit die sprachliche Kommunikation bisweilen erheblich beeinträchtigt. Doch das sollte meine Frage nicht relativieren, ob es Vollkommenheit (nicht nur dieser Lebenswelt) überhaupt geben kann; es kann sie nicht geben, ansonsten dieser Lebensraum absolut optimiert wäre. Es wäre keine einzige „Stellschraube“ mehr zu verändern und damit wäre das System Erde tot – in alle Ewigkeit!
Gott ist demnach tot! Als solchermaßen optimierte Wesenheit gibt es an dieser nichts mehr zu verändern - in alle Ewigkeit nicht: "Herrscher des Himmels und der Erde, der du bist in Ewigkeit“. Nietzsche hatte Unrecht; nicht wir, sondern Gott hat sich selbst getötet. Es bleibt die Frage: wann ist etwas wirklich tot? Wer sie nicht beantworten kann oder will, sollte der Unvollständigkeit, dem Unvollkommenen huldigen- Vivat imperfectionem!
Bester Gruß in die Runde! - Karl
„Gerade Linien sind gottlos“ (Hundertwasser). Ziemlich verwegen, dieser Anspruch an das Ungerade und dennoch verweist er auf die Ästhetik des Unvollkommenen oder eher auf diesen unerklärlichen Reiz, den fragmentarisch - als unvollständig - dargestellte Formen ausüben. Sie lassen Raum für subjektive Ergänzung durch den Betrachtenden. Dieser Anreiz liegt wohl auch der Dissonanz in der Musik, dem Ungleichen in Gemälden zugrunde. Es ist womöglich der Grenzbereich zwischen Unvollkommenkeit und Vollkommenheit, der infolge einer jeweils unvermeidlich subjektiven Wahrnehmung einer Gegenständlichkeit fließend sein muss. Kann es überhaupt Vollkommenheit im Sinne objektiver Gültigkeit geben?
Wir hatten hier vor einiger Zeit Michelangelos Deckengemälde (Figuren aus dem ersten Buch Mose zur Schöpfungsgeschichte) von der Erschaffung Adams thematisiert. Während ich darin die geniale Metaphorik der Menschwerdung sehe (als biologisch wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis dem Übergang vom Primaten zum Homo Sapiens vermittels Punktmutation als Voraussetzung zur Vermehrung von Stammzellen durch das Gen ARHGAP11B, was zur entscheidenden Vergrößerung des menschlichen Gehirns führte), hatte Waldemar mit einiger Ironie die Unvollkommenheit dieses Fresko kritisiert. Zwei Menschen schauen auf eine Sache (Joseph!) und kommen zu völlig unterschiedlicher Wertung, quasi als Inbegriff von Unvollständigkeit resp. Inkonsistenz oder auch schlichtweg Widersprüchlichkeit im Sinne der zuletzt hier erwähnten Goedelschen Theoreme.
Goedels Theoreme als Grundsätze von allgemeiner Geltung zeigen quasi rekursiv den Grund auf, warum keine Theorie die Prämisse(n) ihrer Gültigkeit ausdrücklich enthalten resp. formal vollkommen darstellen und begründen können; vornehmlich deshalb, da innerhalb jeder vorgelegten Theorie Fragen aufgeworfen werden können, die in deren gegebenem Erfahrungskontext nicht zu beantworten sind.Das gilt nicht nur für wissenschaftliche Theorien, sondern offensichtlich auch für sonstige (insbes. metaphysische resp. mythologische) Annahmen.
Als( weihnachtlich aktuelles) Beispiel die Annahme göttlicher Unsterblichkeit bei konkomitierender Botschaft von der Geburt des Gottessohns und dem Narrativ, dass dieser als Unsterblicher in irdisches Leben eintritt, um - wie alle hier Sterblichen - dieses dennoch unweigerlich zu verlieren. Ohne theologisch konstruierten Kontext bleibt diese Erzählung unvollständig, sie bleibt schlicht offen.
Eine nachweihnachtliche Geschichte also, die zum Nachdenken anregen könnte.
Bester Gruß in die Runde! - Karl
Ein kurzer Ausfall des Listservers ist wieder behoben. Nur sehr selten haben wir eine technische „Auszeit“ bei philweb und das verdanken wir einer perfekten Betreuung der Serverlandschaft durch das EDV-Team der philosophischen Fakultät univie.
Jetzt können wir unsere eigene Auszeit (Beiträge hier) auch wieder beenden und munter drauflos schreiben. Themen gäb‘s ja genug😊
Bester Gruß in die Runde! - Karl
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