Moin Ingo,
so sehr wir in Fragen gesellschaftspolitischer Themen auseinander driften, so erstaunlich
die bisweilen aufscheinende Kongruenz in der Sicht auf naturwissenschaftliche
Zusammenhänge; wenngleich diese Sichten aus definitiv unterschiedlicher Perspektive darauf
gerichtet sind. Während ich immer auch von der metaphysischen (wenn nicht sogar religiös
geprägten) Sichtweise her Naturwissenschaft reflektiere, fehlt Dir dieser Zugang total. Wo
ist das Problem dabei? Es sollte keines geben, denn letztlich kommt es auf das Zielbild an
und dieses ist m.E. aus mehreren Sichtwinkeln auszumachen.
it: „Ja eben, warum dann so häufig die qualitativ beschränkte Sicht auf die Welten ohne
Verweis auf nachvollziehbare Homologien? Dem philosophischen Streben nach dem
kritisch-reflektierten Zusammendenken mehrerer ernst zu nehmender Theorien scheint mir
nach den Forschenden aus der Physik (… de Broglie, Madelung, Wheeler/Feynman, Bohm, Bell,
Nelson, Cramer, H.P. und D. Dürr, Kastner, Barad) neben Lorenzen natürlich gleichsam als
Gegenpol auch Gabriel geeignet mit seinen „Sinnfeldern“. Sein Buch „Sinn und Existenz“ von
2016 habe ich bisher aber nur überflogen.“
Wenn Du hier Markus Gabriel und seine „Sinnfelder“ ins Spiel bringst, führt das geradewegs
zurück auf meinen hier schon oft beschriebenen Bezug auf Informationsfelder.
Information, dieser Begriff hat Dich – soweit von mir hier beschrieben – stets irritiert
und zu deutlicher Ablehnung provoziert. Wir sprechen hier aber nicht von Information als
kommunikationstechnisches Verfahren im Shannon'schen Sinne, sondern als Träger von
Bedeutungsinhalt. Im Kontext von Philosophie etwa Bedeutungsinhalt einer Aussage und wenn
etwas Bedeutung hat, dann hat es einen Sinn, der einen spezifisch semantischen Bezug
aufweist. Natürlich ist Information in diesem Zusammenhang nicht der Bedeutung vorgängig,
sie ist schlicht nur Träger. Was anderes als ein Informationsträger könnte die de Broglie
Welle sein, die als Führungswelle den Verlauf eines (Sinn-)Feldes bestimmt. Bevor man
jedoch von Sinnfeldern spricht, resp. wie diese Felder Gegenständlichkeit zur Erscheinung
bringen, ist die Frage zu klären, was denn einer Führungswelle Information sprich
Bedeutungsinhalt aufprägt bzw. einprägt. Man denkt an Aristoteles „Stoff und Bedeutung“,
hier schon unter der Begrifflichkeit von „Matter and Meaning“ (Barad) beschrieben.
Gabriel gekennzeichnet die Regeln, nach welchen Sinnfelder (als gegenständliche
Erscheinungsform) definiert werden, als Sinn und setzt sich damit von der herkömmlichen
Beschreibung von Gegenstandsbereichen ab. Das erscheint mir als durchaus sinnvoller
Denkansatz, denn er löst sich damit von einer vagen Sinnzuschreibung in metaphysischen
Kategorien ab. Das entspricht einer durch und durch realistischen Ontologie zu der man in
dieser Terminologie einen lebenspraktischen Bezug ohne (diesbezüglich unnötige
metaphysische Mutmassungen) herstellen kann.
Natürlich wird dabei die eigentliche Intention Gabriels deutlich, indem er sich mit dieser
positivistischen Ontologie von einer monistisch geprägten Metaphysik absetzen will. Das
steht im Gegensatz zu C.F.v. Weizsäckers Bild vom Einen als einem quasi totalitären Welt-
resp. Gottesbild. Ich denke, dass sich dieser Gegensatz bei tieferem Nachdenken über diese
Zusammenhänge auflöst. Warum sollte das „EINE“ kein Sinnfeld resp. Informationsfeld sein?
Für Dich sogleich Provokation denke ich, wie eben für alle Atheisten, sobald etwas auch
nur irgendwie nach Göttlichem aufscheint. Denkt man an Bonhoeffer und seinen Ausspruch:
„Den Gott, den es gibt, den gibt es nicht“, so sollte klar werden, dass Menschen sich
besser an das erste Gebot des Dekalogs halten sollten. Damit also schnell wieder hin zu
Naturwissenschaft und weg von verkappter Ontotheologie (wie das Gabriel so nennt) und
nichts anderes bedeutet, als eine Verbindung von Metaphysik mit einer Ontologie, in Art
einer Bedeutungs- resp. Sinndefinition. Letzteres würde uns hier (wie es sich all die
Jahre hier gezeigt hat) nicht weiterbringen, wohin auch?
Gabriels Standardthema „Warum es die Welt nicht gibt“ verneint die Annahme der Welt als
ein Ganzes, da sie (an die Philosophie Kants angelehnt) schlichtweg kein Gegenstand der
Erkenntnis, vielmehr nur ein möglicher Erfahrungsraum sei, quasi ein Sinnfeld möglicher
Erfahrung darstellt.
Mein Verhältnis zu Gabriel ist von Anfang an gespalten, einerseits, weil er mir als ein
„loose talking Youngster“ vorkam, andererseits er mir mit seinem Denkansatz von
Sinnfeldern Hoffnung gab, ideologiebehaftete Weltsichten zu überkommen. Natürlich
widerstrebt mir seine radikale Abwendung von jeglicher Mythologie, alleine schon deshalb,
weil auch er – wie alle vor ihm - nicht im Stande sein wird, das Geheimnis eines
Göttlichen, oder eben die Mythologie des EINEN zu begreifen und damit auch nicht diese
Hintergründe zu beschreiben. Die plumpe Aussage seines positivistischen Realismus, wonach
es kein die Welt Umfassendes, keinen Gott, kein Grundprinzip etc. gibt, ist für mich
nichts anderes, als eine (natürlich) zulässige These, nicht mehr – nicht weniger.
Hossenfelder hat hierzu eine klare Aussage, die in etwa der des Waldemar entspricht: Es
kann Gott geben oder eben auch nicht – Punkt! Ersterer hat den konjunktiven, letztere den
disjunktiven Ansatz.
So bleibt mein gespaltenes Verhältnis zu seiner „Sinnfeldontologie“, die als solches nicht
mit einer an Modallogik aufsetzenden Metaphysik vereinbar ist. Metaphysik befasst sich für
mich nach wie vor mit den Phänomenen hinter der Physik und entzieht sich eigentlich jedem
sprachlichen Zugang. Im Kern kann man Metaphysik nur (an)denken und erspüren, damit
allenfalls in Bildern und Lyrik darstellbar.
Die damit in Verbindung stehende Metaphysik möglicher Welten (Himmel und Höllen, Nirvana,
ewige Jagdgründe etc..) scheint der naturwissenschaftlich angelegten Theorie der vielen
Welten (Everett) nahe zu stehen. Gabriel spricht diesbezüglich von unendlich vielen
Sinnfeldern und ich denke, was anderes als eben derartige Sinnfelder sollten „viele
Welten“ sein, die aber abstrakte und eben keine konkret existierenden Universen sind.
Das uns tragende, konkrete Universum, unsere Lebenswelt entspricht im Sinne des
Aristoteles einer Welt, auf der wir uns aktual befinden und dieses im Umfeld von
unzähligen davon kausal abgetrennten anderen (möglichen) Welten.
Trotz aller angenommenen Plausibilität derartiger Denkmodelle bleibt das Thema spekulativ
und bietet Raum für beliebige Interpretationen; seien sie aus der Mikroebene der QM oder
aus klassischen Denkmodellen her abgeleitet.
Interessant im Zusammenhang dieses Threads „Zufall und Notwendigkeit“ sind Gabriels
Aussagen zum „Leitsinn“ des Sinnfeldes einer Gegenständlichkeit, bzw. deren
Anordnungsregel. Der Leitsinn ist das Strukturprinzip als Verbindungsglied zwischen
Gegenstand und Sinnfeld, in dem dieser erscheinen kann. Hier kommt Notwendigkeit und
Kontingenz ins Spiel, wonach Eigenschaften als dem Sinnfeld innewohnende Relationen
zwischen real existierenden Gegenständen zu sehen sind; Eigenschaften, die gemäß
Notwendigkeit eben genau so oder - durch Kontingenz modal variiert - auch anders sein
können. Für mich ist bei diesem Denkmodell die Vorstellung einer feldimmanenten Relation
zwischen Gegenständlichkeiten das entscheidende Faktum und ist – trotz aller vehementen
Absage Gabriels an Metaphysik – eben genau mit dieser (im weiteren Sinne) verknüpft bzw.
durch diese ausgedrückt. Denn was anderes als der Begriff von Verschränkung könnte zur
Erklärung benannter feldimmanenter Verbindung disparater Sinnfelder, in denen
Gegenständlichkeit aufscheint, dienen? Wenn man (wie ich) Verschränkung jedoch als konkret
quantenmechanisches Phänomen annimmt, entledigt man sich geflissentlich jeglicher
Metaphysik.
Bester Gruß! - Karl