Zur Hinterfragbarkeit von Diskussionsregeln: Meiner Meinung nach sollen sie dazu dienen,
Diskussionen in geordnete Bahnen zu lenken und z.B. jeden zu Wort kommen zu lassen. Diesen
Zweck können sie erreichen oder verfehlen. Sie können z.B. als Herrschaftsinstrument so
gestaltet sein, dass die Möglichkeit freier Rede nur noch vorgetäuscht wird. Oder sie
können auch einfach nur ohne böse Absicht unzweckmäßig sein. Wenn man das nicht möchte,
müssen die Diskussionsregeln also hinterfragt werden dürfen.
Aber heißt das, daß wir keine Regel ohne vorherige Problematisierung anwenden dürfen? Und
uns erst über die Regeln der Regeldiskussion verständigen müssen? Etc. etc.
Dass wir keine handlungsleitende Regel ohne regelverständnisleitende Metaregel verstehen?
Dass wir von Gründen nur reden dürfen, wenn wir bei jedem Grund die Frage nach *seinem*
Grund nicht nur grundsätzlich zulassen, wenn auch im Einzelfall begründet zurückweisen -
sondern sie prinzipiell stellen?
Dann könnten wir weder mit Regeln, noch mit Gründen etwas anfangen.
Können wir aber.
Ich vermute, darin zeigt sich, daß wir nicht bei Null anfangen und uns unser Leben nur
teilweise selbst ausdenken.
Claus
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at> Datum: 10.11.17 17:12 (GMT+01:00) An: philweb
<Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: [Philweb] Regeln der Argumentation
[Philweb]
Hallo liebe Lesern,
wiedermal wende ich mich in Pseudo-Briefform an euch. Wir alle hier haben
ja irgendwann in irgendeinen Zusammenhang das *richtige* Argumentieren
gelernt. Diese Fähigkeit mag vielleicht in der Normalbevölkerung nicht
stark ausgeprägt sein (meine Einschätzung), aber sollte unter Philosophen
und eifrigen Lesern solcher Texte stark verbreitet sein.
Zu diesen Regeln des Argumentieren gehört unter anderem:
- Man soll es vermeiden, widersprüchliche Aussagen gleichzeitig zu
behaupten.
- Man soll zur Sache argumentieren. Es reicht nicht, z. B. nachzuweisen,
dass Einstein wahnnsinnig schlau ist, um ihn alles zu glauben. Einsteins
Behauptungen müssen selbst gründlich geprüft werden und wenn sie sich
bewahrheiten, so folgen wir Einstein.
- Man soll nicht so tun, als würde eine Prämisse A die Behauptung B
rechtfertigen, wenn B überhaupt nicht aus A folgt. (Wobei es hier Ausnahmen
zu geben scheint...)
Ich könnte jetzt noch diverses Rasierwasser ( ;-) ) und andere Dinge
anführen, meine aber, damit den Kanon halbwegs umrissen zu haben. Viele
Dinge sind ja auch umstritten, bzw. nicht allgemein geteilt.
Zum Beispiel das Beweispflicht-Gebot. Wer eine Behauptung aufstellt, der
muss sie auch beweisen, sonst ist sie (Irrtum vorbehalten) falsch.
Hitchens’ Rasiermesser: Was nicht begründet wird, darf ohne Begründung
verworfen werden.
Viele Menschen sagen jetzt aber, dass ein mangelnder Beweis nicht
rechtfertigt, einen Satz als falsch anzusehen. Beispielsweise - ich greif
mal willkürlich was raus - die Goldbachsche Vermutung ist bis heute nicht
bewiesen, dennoch gehen viele Mathematiker davon aus, dass sich ein Beweis
finden lassen müsste.
Wie Schopenhauer schreibt, kann ein Standpunkt trotz mangelnder oder sogar
irreführender Gründe dennoch richtig sein. Dass Gründe existieren
impliziert nämlich noch nicht, diese Gründe würden immer unmittelbar
vorliegen.
Nun gibt es bezüglich dieser Diskussionsregeln wiederum zwei Möglichkeiten:
Entweder sie sind selbst hinterfragbar (1) oder nicht (2).
Wenn (1) zutrifft, dann kann man über die Diskussionsregeln selbst eine
Diskussion starten und diese in Frage stellen. Wenn (2) zutrifft, dann ist
eben dies nicht möglich.
Gegen die Variante (2) spricht allerdings, dass einige Regeln offenbar erst
später eingeführt worden oder umstritten sind.
Die Variante (1) bringt uns zu dem Problem, nach wechlen Regeln wir
überhaupt Diskussionsregeln auswählen, bewerten sollen.
Kann man meinen Gedanken nachvollziehen oder schreibe ich Unsinn?
Gruß
Rat.
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