Am 7. Oktober 2017 um 04:25 schrieb K. Janssen <.@.>:
Meiner Ansicht nach findet sich jedoch bei diesem
anhaltenden
Diskurs in nahezu allen diesbezüglichen Denkrichtungen ein Stück weit zutreffende
Sichtweisen.
Mir sind eigentlich im Grunde genommen nur drei Denkrichtungen bekannt:
1. Deterministen, die die Existenz des Freien Willens unter Berufung
auf die kausale Abgeschlossenheit der Welt leugnen.
2. Kompatibilisten, die die kausale Abgeschlossenheit akzeptieren,
aber erklären, der Freie Wille sei ja damit vereinbar.
3. Liberalisten, die zwar die Unvereinbarkeit einer kausal
abgeschlossenen Welt mit dem Freien Willen zugeben, aber dennoch von
einem freien Willen überzeugt sind.
Subjektiv ist die Variante (3) ja am Interessantesten und vielleicht
wäre die Ehre, diese Sicht zu verteidigen, am Größten.
Mir sind noch diverse andere Argumente bekannt, etwa habe ich mal
gelesen, Schopenhauer unterschied in Anlehnung an Kant zwischen einem
wirklichen (?) und einem intellgiblen Charakter, wobei letzterer quasi
Prä-Existenziell seine Rolle auf der Welt auswählen kann.
Die Existenzialisten, so habe ich gelesen, sollen erklärt haben, der
Menschn könne doch einfach seine determinierte Wahl ablehnen und sei
sofern frei.
Eines der seltsamsten Argumente, die ich gefunden habe, war das hier:
"Was sollen wir davon [Fatalismus, Rat] halten? Bemühen wir unsere
neue Methode und fragen: Welches Problem löst der Fatalismus?
Hinter ihm steckt das Problem: Wie werde ich die Verantwortung los?
Alles, was ich tue, haben andere Mächte zu verantworten. Es kommt, wie
es kommt, ich brauche mir gar keine Mühe zu geben, daran etwas zu
ändern."
Quelle:
https://de.wikibooks.org/wiki/Sei_doch_vernünftig:_Fatalismus_modern
Mir erscheint dieses Argument eher das genaue Gegenteil von Vernunft
zu propagieren.
Hier wird von der Nützlichkeit einer Annahme (Verantwortungsethik) auf
ihre Gültigkeit geschlossen.
Ebensogut könnte man für das jünste Gericht argumentieren:
"Was sollen wir davon halten? Bemühen wir unsere neue Methode und
fragen: Welches Problem löst das jüngste Gericht?
Hinter ihm steckt das Problem: Wie kann man an eine Gerechtigkeit
glauben, die offensichtlich nicht alle betrifft?
Nehmen wir an ein Verbrecher begeht ein Verbrechen und wird dabei
nicht ertappt. Er würde im Leben niemals vor Gericht gestellt und käme
daher Straffrei davon. Ohne das Gericht Gottes am jüngsten Tage würde
er also mglw. straffrei davonkommen, was das Vertrauen in die
Gerechtigkeit vieler Menschen einschränken würde"
Nun wird der ein oder andere sagen, dass eine gelungene Travestie noch
keine logische Widerlegung ist. Deshalb noch mal etwas formaler.
Die Schlussfolgerung ist ja:
1. Man kann eine Theorie daran beurteilen, welches Problem sie löst.
2. Es ist offensichtlich unmoralisch, die eigene Verantwortung
abstreifen zu wollen.
3. Eine Theorie, die offensichtlich unmoralisch ist, muss falsch sein.
----
Daher: Jede Theorie, durch die man die eigene Verantwortung für sein
Tun abstreif muss falsch sein.
Spätestens (3) scheint mir schon daher problematisch, weil hier von
einer moralischen Gewünschtheit auf die Wahrheit geschlossen wird.
Tatsächlich würde die Wertung bzw. Sanktionierung
dieser brutalen Tat unter
Außerachtlassung moralischer Verantwortung vom üblichen gesellschaftlichen
Rechtsempfinden abweichen. Die meist unverständlichen Reaktionen auf
Strafmilderung bei sog. psychischer Labilität von Gewalttätern zeigen
(verständlicherweise) das gleiche Empfinden jener Gesellschaftsschicht, die
unter der Begrifflichkeit von Schuld und Verantwortung bzw. von Verbrechen
und Strafe sozialisiert wurde.
Das scheint mir allenfalls ein politisches, kein moralisches Argument.
Jetzt wird man mich fragen: Wo ist der Unterschied? Worauf will ich
eigentlich hinaus?
Nun, dass die Mehrheit der Menschen "unter der Begrifflichkeit von
Schuld und Verantwortung bzw. von Verbrechen und Strafe sozialisiert
wurden" bedeutet nicht, dass diese Vorstellungen korrekt sein müssen.
Im Mittelalter (und wahrscheinlich auch in der Antike) wurden viele
Leute unter solchen Vorstellungen wie Gottesurteile, Hexerei als
Straftat usw. erzogen. Das bedeutet aber nicht, dass es damals richtig
war, dass es Hexen gab und sie für Unglücke verantwortlich waren.
Politisch gesehen kann man es natürlich für nicht wünschenswert
halten, der Vorstellung der Bürger so stark "vor den Kopf zu stoßen".
Das Rechtsystem würde dadurch vielleicht an Zustimmung verlieren, eine
Akzeptanz von Selbstjustiz oder scharfe Ablehnung gegen die
herrschende Ordnung wären die Folge und das will man wiederum nicht
usw.
Die Frage nun, ob eine „Ethik ohne Verantwortung“ zu
schaffen sei, würde
zunächst eine für diese Diskussion förderliche Begriffsdefinition von Ethik
und Verantwortung erfordern.
Nun frage ich mich, welche Begriffsbestimmung der Diskussion wirklich
förderlich ist. Ist uns nicht im Grudne allen klar, auf welche
Vorstellungen ich mit diesen scheinbar so einfachen Wörtern bezug
genommen habe? Oder haben wir ernsthaft die Vermutung, dass hier eine
hinderliche Unklarheit herrscht?
Nun gut:
Ethik ist für mich Moralphilosophie, insbesondere die "normative
Ethik", die sich mit so etwas auseinandersetzt wie "Wie soll ich
handeln?", "Was ist das Gute?" usw.usf.
Verantwortung zu beschreiben ist ein kleines bisscehn schwerer.
Verantwortung zeigt sich aber. Nehmen wir an, wir sind auf einen
Schiff (oder auch Raumschiff, Enterprise ist ja grade wieder im
Kommen). Dort gibt es verschiedene Spezialisten, Steuermann,
Navigator, leitender Ingeneur, der "Erste Mann" usw., die Leute
streiten nun darüber, welchen Kurs das Schiff nehmen soll. Der Kapitän
bestimmt darauf aus eigener Macht heraus einen Kurs und der Streit ist
damit entschieden. Warum? Wer der Kapitän als Verantwortlicher diese
Entscheidungsgewalt hat.
Beispielsweise ist der Erste Offizier dafür zuständig, dass die
anderen Offiziere ihren Pflichten nachkommen und der Bootsmann
wiederum ist für die Instandhaltung des Schiffes verantwortlich.
Anderes Beispiel wäre der Kaufmann, der einen Vertrag unterschreibt,
obwohl es einige Bedenkenträger dagegen gibt. Er ist aber überzeugt,
dass er damit Gewinn machen wird. Er ist damit dafür verantwortlich,
dass der Vertrag auch erfüllt wird.
"Verantwortung" hat in diesen Beispielen immer mit
Entscheidungsfähigkeit und Pflichten zu tun.
(Interessante Möglichkeit: Beweist die Tatsache, dass wir den Begriff
"Verantwortung" lernen können nicht, dass es einen Freien Willen in
diesem Sinne gibt? Die Kompatibilisten haben demnach rech?)
Erste diesbezügliche Aussagen von Libet
konnten noch wegen beliebiger Mängel in seiner Versuchsausführung
relativiert werden. Neuere Versuche zeigen jedoch, dass tatsächlich
entsprechende Gehirnareale bereits zehn Sekunden aktiv sind, bevor eine
Entscheidung als bewusst ausgeführt erfahren wird
Willkommen in der wundervollen Welt der Wissenschaftstheorie!
Soweit ich weiß hatte Libets Experiment den systematischen Mangel,
dass den Personen schon gesagt wurde, dass sie auf den Knopf drücken
müssen, nicht jedoch wann. Dass sich hier im Hirn langsam ein
Potential aufbaut, scheint mir da keine Überraschung zu sein.
Dieses "Entscheiden" -> "Bewusstwerden" ->
"Rationalisieren" scheint
mir eingie Fragezeichen aufzuwerfen. Wieso hat die Evolution einen so
vermeintlich kostspieligen Umweg genommen? Wäre es für unser
Selbstempfinden so schrecklich, dass bewusste Erleben als Teilweise
fremdgesteuert zu erleben?
In Jaynes' Werk "Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch
der bikameralen Psyche" wird teilweise das Gegenteil impliziert: Die
Religion, Esoterik, die Schizophrenie dient dazu, die alten Götter der
Bikameralen Psyche wieder zum Sprechen zu bringen; ergo wir wollen in
diesen "Vorbewusten" Zustand zurück. Warum auch immer...
(Wichtige Anmerkung: Ich mache mir Jaynes Meinung in diesem Werk nicht
zu eigen, es ist Jahre her das ich es gelesen habe und ich glaube,
meine Lektüre war nicht vollständig. Man weiß ja, wie schnell einem
eine Meinung unterstellt werden kann.)
Die unbewussten Prozesse sind offensichtlich Grundlage
für menschliche
Willensbildung, entziehen sich aber wegen ihrer Komplexität und
holografischen Verteilung im Gehirn (erschöpfenden) technischen Messungen
und darüber hinaus auch unserer unmittelbar bewussten Wahrnehmung.
Noch...
Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass diese
für uns unbewusst
ablaufenden Prozesse einer Logik entbehren. Eher zeigt sich im
Alltagsgeschehen, dass eine späterhin erfolgte Interpretation von Handlungs-
bzw. Entscheidungsgründen oftmals falsch ist.
"Einer Logik entbehren" kann vieles bedeuten. Man spricht ja von einer
"Logik der Forschung", einer "Logik des Versagens", einer "Logik
des
Kapitalismus" und meint damit eigentlich: "Das erscheint auf den
ersten Blick als großes, undurchschaubares Chaos, aber ha, wär ja auch
gelacht, ich hab da ein paar Regeln gefunden, denen diese Phänomene
gehorchen".
In dem Zusammenhang verstehe ich aber den 2. Satz nicht. Wieso zeigt,
dass wir uns bei unseren Gründen irren, dass das einer Logik
unterliegt?
Wo Freiheit (im Denken und Handeln) jedoch nur als
Selbsttäuschung
vorherrscht, schreibt Goethe: „Niemand ist mehr Sklave, als der, der sich
frei hält, ohne frei zu sein.“ (Wahlverwandtschaften). Damit wird deutlich
(und es gilt für unsere Zeit insbesondere), dass der Mensch umso mehr
Willens-/Handlungsfreiheit hat, als er über Wissen, Erfahrung und vor allem
auch über (Herzens-)Bildung verfügt.
Darüber denke ich nach.
Das Gehirn in all seiner Komplexität ist
unverbrüchlicher Teil einer Person
und in dieser Einheit ist diese für ihr Handeln verantwortlich. Das setzt
natürlich die mentale Unversehrtheit voraus. Nur wenn diese nicht gegeben
ist, gilt: Keine Strafe ohne Schuld. Damit erübrigt sich die Schaffung einer
Ethik ohne Verantwortung.
Das sehe ich nicht so.
Wir gehen davon aus, dass ein entscheidender Unterschied zwischen
einer mental Unversehrten und einer "unstabilen Person" besteht. Sind
wir uns dieser Sache aber so gewiss?