Am 01.09.21 um 03:47 schrieb K. Janssen via Philweb:
zum "Zweiwertigkeitsprinzip":
In Abkehr von üblicher, zumeist negativ besetzter
Vorstellung und
Erklärung von Fiktion als Ausdruck eines unlogischen,
widersprüchlichen oder schlichtweg nicht gegebenem Wirklichkeits- bzw.
Wahrheitsbezugs wird geradewegs ein sich daraus ergebender Vorteil
konstruiert, wonach sich „unlogische Annahmen als tauglich erweisen,
die Wirklichkeit zu erkennen bzw. sie zu berechnen“.
Vaihinger war Platoniker und wertete dessen Ideale als Hypothesen,
die sich über Fiktionen zu Dogmen entwickeln und begründete damit sein
„Gesetz der Ideenverschiebung“. Ebenso teilte er Platons Vorstellung
von der Existenz eines Dritten zwischen „Wahr und Falsch“, was im
Gegensatz zum Gesetz des ausgeschlossenen Dritten steht „principium
exclusi tertii“ oder allgemeiner bekannt als „tertium non datur“ - ein
Drittes gibt es nicht.
In Anlehnung an Aristoteles‘ Zweiwertigkeitsprinzip (jede Aussage der
Form P ¬P ist logisch wahr) beschreibt der Satz vom ausgeschlossenen
Dritten, dem ausgegrenzten Mittleren als logisches Prinzip zwischen
zwei kontradiktorisch angelegten Gegensätzen, wonach für eine
Aussage/Annahme zumindest deren eigene Gültigkeit oder eben ihr
Gegenteil gelten muss. Dabei gilt nur wahr oder falsch ohne dazwischen
liegende wertende Aussage. Dieses Prinzip ist gewissermaßen ein
ontologisches Axion ähnlich Shakespeare‘s Sein oder Nichtsein.
Unter philosophischem Aspekt sollte man dieses Prinzip etwas genauer
betrachten, handelt es sich doch um die Wertung des Wahrheitsbegriffs:
In der Philosophie sei „halbe Wahrheit schon die ganze Unwahrheit“,
formulierte Adorno und mag sich dabei an G. Freges „Die Wahrheit
verträgt kein Mehr oder Minder“ oder womöglich an Matth 5/37
orientiert haben: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber
ist, das ist vom Übel“.
Doch was ist Wahrheit? Seitens logischer Bewertung sollte gelten:
entweder trifft ein Sachverhalt zu oder eben nicht. Sofern es sich um
dessen eindeutig feststellbare Gültigkeit handelt (etwa sicher
ermittelte technische Messergebnisse ist die Frage nach Wahr und
Falsch problemlos zu klären, wie z.B. der Zustand elektrischer
Potentiale bezüglich logischer Festlegung (0 oder 1).
Ähnlich verhält es sich bei Sachverhalten, die einer objektiv – also
intersubjektiv – festgestellten Gegebenheit entsprechen und demnach
entweder zutreffen, damit als wahr einstufbar sind oder eben nicht und
somit als falsch zu werten sind.
Wesentlich schwieriger wird die Festlegung auf Wahrheit (in Bezug auf
Frege) wenn Aussagen durch ein „mehr oder minder“ abgestuft erfolgen,
wodurch das genuin angelegte Wahrheitsprädikat verfälscht oder auch
schlicht (im Sinne der Lüge) missbraucht werden kann.
Das von von Waldemar hier kürzlich angebrachte Argument, Wahrheit (als
Begriff) sei ausschließlich nur als fehlerbehaftete Substantivierung
aus Attributen, Adjektiven ein rein sprachliches Hilfsmittel, das in
der (Lebens-)Realität keine Entsprechung hat, trifft in oben
angeführter Bedeutung bezüglich objektiver Nachweisbarkeit eines
zutreffenden Sachverhalts nicht zu.
Subjektiv von mir an dich gerichtet: Überlege mal statt "wahr/falsch"
die Wendung "vorhanden/nicht vorhanden".
Und dann "vorhanden für eine Person/nicht vorhanden für diese Person"
vom Betrachter aus gesehen.
Und dann Condillacs Statue: Sie erlebt nur diese eine Sache, für sie ist
nichts anderes als die Sache, nicht einmal sie selbst. Und wenn die
Sache nicht mehr da ist, was dann?
Sartre: Dann erlebt sie das Nichts (le néant).
(Condillac fährt dann sofort mit der eigenen Vergleichsmöglichkeit
weiter, welche die Statue nicht hat, und kommt danach schon auf Glatteis.)
Ist demnach nur 1 und nicht einmal 0? Was dann mit dem
"Zweiwertigkeitsprinzip"?
Zurück zu der üblichen Zugangsweise. Logik und Mathematik als Konstrukt
von Zeichen, nicht pejorativ gedacht, sind in (je) einer Ebene, und
viele andere Ebenen gibt es auch. Vielleicht ist die Sache einfacher zu
erklären als man üblicherweise tut und sagt. Es geht um die Einsetzung.
Und zwar in dem Sinne: Eine physikalisch gemessene Größe wird als Zahl
in eine Formel eingesetzt, dann wird in der mathematischen Ebene
gerechnet, und ein Resultat wird gefunden, als andere physikalische
Größe (in der physikalischen Ebene) an einer anderen Stelle als die
ursprüngliche gefunden oder eben vorher gesagt. Dabei findet der Wechsel
der Ebene statt. Wie heißt diese Einsetzung und Herausholung zwischen
den Ebenen? Diese Frage geht an die Kenner hier. Denn das Wort
Substitution ist schließlich schon für speziellere Verfahren benutzt.
Wenn dem so ist, dann gibt es eindeutig physikalische Sachen, die mit
Mathematik, Funktionen zu einem "physikalischen Resultat" führen.
Sachen in anderen Ebenen, aber auch in der physikalischen, können analog
in die Ebene der Logik eingesetzt werden, zu einem Resultat führen, und
dann wieder in die ursprünglichen Ebene "zurück geholt" werden, gefunden
werden.
Für einige Sachen ist es angebracht, diese in die Ebene der Logik, für
andere in die Ebene der Mathematik zu heben und wieder heraus zu holen.
Die Ebene der chemischen Formeln ist eine solche, die im ersten Zugang
eher nur Logik braucht, der Erhaltungssatz beschränkt die Formeln, nicht
die vielfältigen Konstruktionen. Mathematik ist viel ausdehnungsfähiger,
formale Logik ist jedoch schnell am Ende.
Ist das einfach so denkbar, oder bin ich zu naiv? An Mathematiker zwecks
darauf folgender Frage: In der Mathematik gibt es nicht nur 0 und 1,
sondern auch Zwischenzahlen, also in dem Fall immer noch "digital" zu
denken, wenn auch manchmal in infinitesimalen Gegenden. Die
Analog-Digital-Umwandlung und umgekehrt ist zusätzlich mitsamt Problemen
zu bedenken. Eine naive Frage, ehrlich: Gibt es eine analoge Mathematik?
Die vorhin genannte Einsetzung und Herausholung wäre nur eine Methode,
eine Fiktion im Sinne Vaihingers.
Wenn alledem so ist, dann geht es um die Einsetzung in die richtige
Ebene, und nicht um die Frage, ob ein Zweiwertigkeitsprinzip gilt oder
nicht. Das Problem, das mit Aussagen und sprachlichen Ebenen bzw.
anderen sprachlichen Ebenen als den Ebenen von Logik und Mathematik dazu
kommt, ist mir bewusst, ich bringe es aber nicht fertig, dieses vor den
hier angegebenen Zugangsweisen zu bedenken. Sogar die Ebenen sind als
Vaihinger-Fiktionen gesetzt: "Wir" tun so, als wären da Ebenen. "Wir"
brauchen sie, würde Vaihinger sagen, aber nur bis zum Ende der
Herausholung aus der Ebene.
Gerne höre ich zu, wenn jemand mir sagt, das sei völliger Unsinn, den
ich hier schrieb. Ich bin auch bereit, zuzuhören, dass das einerseits
den groben Teil der Geschehnisse angewandt wird, dass es aber viele
Ausnahmen gibt.
Joseph