Hi JH,
im Film zum Zauberberg steht Casdorp im Zimmer Naphtas vor einem Bild, in dem ein
Kreistanz zur Sommersonnenwende zu sehen ist. Das bringt ihn auf den Gedanken, dass die
Zeit ein Karussell sei, dem Tanz, der Erdrotation und der Erdumlaufbahn folgend. Kann es
darin Fortschritt geben oder nur Wiederholung? Und gibt es überhaupt Fortschritt in der
Natur? Eher nicht, wohl aber auf der sich drehenden und die Sonne umrundenden Erde,
nämlich in der Biosphäre. Dabei könnte Fortschritt als Komplexitätszuwachs entgegen der
Entropiezunahme verstanden werden. Und wie schon mit der Ausdehnung des Universums wird
mit dem Leben ein Zeitpfeil ausgezeichnet. Dabei hat mich die Taufschale im Zauberberg
wiederum an die „Schaligkeit" bei Thomas denken lassen.
Dass sich technischer Fortschritt im passenden Umfeld ereignen muss, um auch sozialen
Fortschritt nach sich zu ziehen, zeigen bspw. Dampfmaschine und Schießpulver. In der
Antike wurden Dampfmaschinen lediglich für Spielereien und im alten China das Schießpulver
bloß zur Illumination von Festen eingesetzt. Erst die Europäer setzten Schießpulver in
Waffen ein und die Dampfmaschine in Produktionsprozessen. Das Smartphone ist auf Anhieb
ein so großer weltweiter Erfolg geworden, weil es tastbar und multimedial Telefonie und
Internet verbindet. Wobei ich mein Smartphone von Werbeschmutz frei halte. Rahel Jaeggi
versteht sozialen Fortschritt im Anschluss an ihr Konzept der Lebensformen als Lern- oder
Problemlösungsprozess, bei dem es auf das gesellschaftliche Passen ankommt, damit er
sozusagen wie nebenbei erfolgt.
Dass trotz der Bildungsexpansion seit den 1970er Jahren hierzulande offensichtlich nur
eine Minderheit die Thermodynamik einer Wärmepumpe versteht (und damit ebenso wenig den
Kühlschrank), spricht nicht gegen den technischen Fortschritt, weist aber darauf hin, dass
es im Gegensatz zum Smartphone und dem Auto an der gesellschaftlichen Passung fehlt.
Ebenso wie gegen Windräder scheint es gegen Wärmepumpen geradezu eine neue
Maschinenstürmerei zu geben. Das war sogar zu Kaisers Zeiten einmal besser …
IT
Am 26.11.2024 um 14:59 schrieb Joseph Hipp über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Gerne würde ich die zwei Fortschrittsarten annehmen, zwei genügen mir leider jedoch
nicht. Kaum nehme ich ein Gerät in die Hand, und schon ist vieles anders als vorher, weil
die Programmierer eben andere Sachen einbrachten, die mir das Leben schwer machen. Mehr
als zehn "rein" technische Unzulänglicheiten fand ich beim ersten Gebrauch eines
Smartphones. Zudem: Was zu sehen ist, ist verschmutzt mit Werbung, und das Ganze wird als
"technischer Fortschritt" angesehen. Die Fortschrittsglaubenden sehen die Summe
der vielen kleinen Fortschritte als "den Fortschritt" an, egal ob mit Macht oder
Geld, Betrug oder Gerechtigkeit verbunden. Was ist denn sozialer Fortschritt? Dass jeder
umherreisen kann wie er will, oder in Kaufhäusern so viel kaufen kann, wie er will? Oder
werden die Sozialtheorien immer adäquater? Im Idealfall hätte Habermas mit seiner
gewaltfreien Kommunikation die Menschen dazu erziehen können, sich nicht mehr zu
bekriegen. Es dürfte erkannt worden sein, dass ich einen großen Bogen um die großen Wörter
mache, die überall umherschwirren. Ich sehe überall Gruppen mit Obrigkeiten und manchmal
Obersten und alle haben ihre Gewohnheiten, oft gestützt auf Texte, besprochen mit Wörtern.
Grob gedacht, ein einziges Beispiel: Die Juristen haben als Obrigkeit die entsprechenden
Bücher und Gerichte, es fehlt der Oberste. Diese Gruppe ist verbunden mit einer anderen,
die das ausführt (bewirkt), was die Juristengruppe im Sonderfall ausrechnete. Noch eine
Frage: Wenn schon fast alle in "zivilisierten" Ländern Alphabeten sind, wie viel
Prozent leben mit Berücksichtigung der Entropie? Sind 999 von 1000 Entropie-Analphabeten?