Am 23. Januar 2018 um 17:24 schrieb Claus Zimmermann <
Zimmermann.Claus(a)t-online.de>gt;:
Im Allgemeinen redet man von richtig und falsch in
Verbindung mit
Aussagesätzen. Sie gelten als wahr, wenn die Eigenschaften des
Gegenstandes,
über den etwas gesagt wird, die Merkmale des ihm
zugeschriebenen Begriffs
ausfüllen.
Sie gelten als wahr, wenn dem Ding die ihn zugesprochene Eigenschaft
zukommt. Die Kriterien sind nur die Methode, in der wir das entdecken.
Das ist ein Unterschied. Oder kann einer sein.
Das ist aber ein rein formales Kriterium, bei dem es
auf den Inhalt
insofern
nicht ankommt, als er prinzipiell beliebig sein kann.
Ja und Nein zugleich.
Der Sachverhalt ist in diesem Fall extrem komplex. Was teils mit dem
Gegenstand zu tun, z. T. aber auch bewusst herbeigeführt wurde. Anwälte
usw. haben kein besonderes Interesse an einfachen Gesetzes, zu deren
Verständnis sie überflüssig wären.
Fakt ist, dass:
1. Die Gewaltenteilung impliziert, dass die Richter sich nicht als
"Schattenregierung" oder Konkurrent zur Legislative betätigen sollen.
Sprich: Die Gesetzgebung und die Richtung der Politik liegt bei den
Politikern. Die Richter haben demnach "nur" die Aufgabe, Gesetze auf
Einzelfälle anzuwenden und exekutive Willkür zu verhindern.
2. In der Realität haben wir es mit bedeutend komplexeren Sachverhalten zu
tun. Das Bundesverfassungsgericht etwa hat in den letzten 20 Jahren
wiederholt die Voratsdatenspeicherung verhindert, theoretisch und auch
praktisch gegen den Willen des Gesetzgebers. Das neue Urteil über die
Grundstückssteuer ist ähnlich vielsagend.
In den USA gibt es die berühmt-berüchtigte Entscheidung "Roe v. Wade", in
der Abtreibung legalisiert wurde.
In Frankreich und Großbritannien ist die Sache noch um einiges komplexer...
Tatsächlich können Gerichte sich auf gewisse "übergesetzliche Grundsätze"
berufen und dabei bis in die Bereiche der anderen Gewalten eingreifen.
Beispielsweise Verhältnismäßigkeit, Privatsphäre usw.
Ob man bei der Mustererkennung hier lieber von
moralischer Intuition oder
vom "Herzen auf dem rechten Fleck" redet, dürfte in der Sache keinen
Unterschied machen. Es dürfte aber ein ziemlich weiter Weg von hier zur
Aufstellung oder Auffindung gesetzesförmiger objektiver moralischer Normen
sein, falls das überhaupt möglich ist.
Eventuell würde es für die Gründlichkeit sinnvoll sein, zwischen objektiven
und allgemeingültigen Normen zu unterscheiden. Jedenfalls ist es unbedingt
wichtig, zu unterscheiden zwischen Normen, die einen universellen Anspruch
proclamieren und solchen, die tatsächlich allgemein gelten.
Klassisches Beispiel für einen universellen Anspruch sind sicherlich die
Gebote der meisten großen Religionen, jedenfalls der "monotheistischen",
"abrahamitischen" oder wie man das nennen will. Diese Normen sagen zwar von
sich selbst oder lassen die Absicht erkennen, dass sie für alle Menschen zu
allen Zeiten gelten sollten, tatsächlich ist das natürlich nicht der Fall.
Die Leute, die man als "Heiden" bezeichnen könnte, haben sich nicht daran
gebunden gefühlt und andere Anders- oder Ungläubige tun dies bis zum
heutigen Tag nicht. Es ist sogar der umgekehrte Fall auszumachen. Die
zunehmende Aufspaltung in Konfessionen und die historisch-kritische Methode
erkennt immer mehr die "Bedingtheit" vieler dieser Gebote oder
interpretiert sie um.
Schon die Behauptung, dass es wirklich universelle Normen gibt, ist
umstritten.
Das Pro-Lager könnte auf die sog. "Goldene Regel" oder den verwandten
kategorischen Imperativ verweisen. Nur sind das höchst abstrakte
"Meta-Regeln", die zudem mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden
können. Ebensogut könnte man die Regel "nichts unmögliches darf
obligatorisch sein" verweisen. Wobei auchdas in Teilen nicht stimmt.
Das Pro-Lager hat, glaube ich, seine stärksten Argumente tatsächlich im
Bereich der menschlichen Verhaltensbiologie. Dort gibt es gewisse
Verhaltensweisen, die man bei anderen Primaten auch findet und die in
verschiedenen Kulturen auf die eine oder andere Art verwirklicht werden.
Das Contra-Lager kann natürlich immer darauf verweisen, dass fast in jeder
Kultur alle Verhaltensregeln wie selbstverständlich gebrochen werden und
häufig ein Verhalten, das in einer Kultur als schädlich gilt, in einer
anderen sogar erwünscht ist.
Allerdings muss auch das Contra-Lager einige Kritik einstecken. So sind die
Regeln, alles in allem gesehen, nicht soo schrecklich unterschiedlich. Man
kann auch unterscheiden zwischen "rituellen" und "moralischen"
Geboten.
Erstere beziehen sich auf das Verhältnis der Menschen zum Überirdischen,
letztere auf die von Menschen untereinander. In unserer Kultur mag der
Drogenkonsum eingeschränkt, unerwünscht und bekämpft sein, in anderen
nehmen Schamanen Kontakt zur anderen Welt damit auf. Einige jagen
bestimmten Tiere nicht, weil sie ihr Tabu sind, andere tun dies nicht, weil
sie vom Aussterben bedroht sind.
Ebenso gibt es "Anstandsregeln", die man verletzten kann, ohne deshalb
unbedingt als schlechter Mensch zu gelten.