Genau: "„So wird also der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krieges
das Maß sein, sowohl für das Ziel, welches durch den kriegerischen Akt erreicht werden
muß, als für die Anstrengungen, die erforderlich sind." Das deute ich so: der
politische Zweck ist und bleibt dem Krieg extern/äußerlich, weil sonst könnte er ja weder
als Motiv noch als Maß taugen. Von Politik und politischen Zwecken mag man lang reden,
aber solange ihnen nicht eine faktische (Kriegs-)Handlung zwischen Staaten entspricht (an
der sich diese Zwecke ihrerseits "messen" lassen müssen), ist das reines
Schwadronieren, reine Chimäre, Geschwurbel. Oder meinetwegen: reines
"Ideationsverfahren". Aber auch das hat doch im methodischen Konstruktivismus
nur Sinn, wenn es sich an der (davon unabhängigen) Pragmatik und Praxis des Forschens und
Experimentierens mißt und messen (und von ihr widerlegen) läßt. Konstruktivismus ohne
empirischen Gegenhalt ist doch ziemlich sinnlos, oder? (Im Übrigen sollte aus dem bisher
Gesagten hervorgehen, daß die juridische Lesart des Krieges, die mehr oder weniger auf der
mittelalterlichen Theorie des gerechten Krieges (bellum iustum) beruht, ja genau eine
solche "konstruktivistische" Methode ist, die sagt: tun wir doch einfach mal so,
als ob es hier rechtlich genau bestimmbare, eingrenzbare Regeln gäbe, als ob Krieg in den
"Grenzen des Rechts" möglich und sinnvoll beschreibbar wäre.)
Und viel zu sagen wäre über diese schöne Formel "Frieden ohne Armut", bricht sie
doch nicht nur mit einer mehrtausendjährigen Menschheitserfahrung (nur wer arm war, wird
in Frieden gelassen, sobald man es nicht mehr ist, hat man Neid und Krieg zu befürchten)
und weil sie die Frage nicht stellt, ob nicht Friedenssicherung gerade Reichtum erfordert
(für Waffen, mit denen man sich "schützen" kann, wie CZ sagen würde). In der
Substanz soll die Formel ja wahrscheinlich nur die Schreckensvision eines Friedens
verbannen, der dann tatsächlich nur deswegen eingehalten wird, weil alle so arm sind, daß
sich keinerlei Krieg gegen den/die Nachbarn mehr lohnt. Wo keiner was hat, was sich zu
stehlen lohnen würde, gibt’s keine Diebe mehr, klar. "Frieden aus Armut", das
scheint mir ehrlich gesagt erstmal viel plausibler.
JL
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
Gesendet: Samstag, 20. Juli 2024 09:09
An: philweb <philweb(a)lists.philo.at>
Cc: Ingo Tessmann <tessmann(a)tu-harburg.de>
Betreff: [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
Am 19.07.2024 um 18:49 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
ich weiß erstens nicht, ob sich diese Unterscheidung
wirklich auf Cl. berufen kann (wenn der Krieg die "Verlängerung der Politik"
ist, dann hat es gerade keinen Sinn mehr, "politische" und
"militärische" Kriege auf diese Weise voneinander zu unterscheiden). Fragwürdig
ist dann aber v.a. deine Behauptung, es gebe nicht-militärische, nur-"politische
Kriege": was soll das sein? Jedes verbale Säbelrasseln, jede Rhetorik irgendeines
öffentlich herumschwadronierenden Volkstribunen ("ceterum censeo...") ist dann
schon "Krieg"? Damit wird der Begriff doch völlig unscharf; denn auch das
Kriterium "dem anderen das Existenzrecht absprechen" ist ja kein wirklich sehr
präzises, denn jede Form von Streit/Auseinandersetzung/Konflikt beruht doch, wenn man so
will, praktisch schon darauf; jedes gegen mich gerichtete Recht-haben-wollen spricht mir
z.B. das Existenzrecht ALS einer, der auch Recht hat und hier "zu Recht" reden
darf, ab. Jede Forderung, meine Meinung zu ändern und zu überdenken, stellt doch auch
meine "Existenz" in Frage, weil ich eben ein
so-und-nicht-anders-Denken(-Können)der BIN (genau deswegen reagieren wir ja auf Kritik
meist so aggressiv). Und andererseits sind ja auch die von dir genannten großmäuligen
Vernichtungsdrohungen (arabische Staaten, China) kaum wirklich wörtlich zu nehmen. Als
einzige wirklich radikale, physisch-tatsächliche Realisierung einer solchen öffentlich
ausgesprochenen "Negation des Existenzrechts" muß wahrscheinlich der in dieser
Form deswegen historisch einzigartige Holocaust angesprochen werden - und den würde man ja
nicht als Folge eines "Kriegs" der Nazis gegen die Juden bezeichnen.
Moin JL,
in Kapitel 1.1.11 heißt es bei Cl. bspw.: „So wird also der politische Zweck als das
ursprüngliche Motiv des Krieges das Maß sein, sowohl für das Ziel, welches durch den
kriegerischen Akt erreicht werden muß, als für die Anstrengungen, die erforderlich sind.
Aber er wird dies nicht an und für sich sein können, sondern, weil wir es mit wirklichen
Dingen zu tun haben und nicht mit bloßen Begriffen, so wird er es in Beziehung auf die
beiderseitigen Staaten sein. Ein und derselbe politische Zweck kann bei verschiedenen
Völkern, oder selbst bei ein und demselben Volk, zu verschiedenen Zeiten ganz
verschiedene Wirkungen hervorbringen. Wir können also den politischen Zweck nur so als
das Maß gelten lassen, indem wir uns ihn in Einwirkungen auf die Massen denken, die er
bewegen soll, so daß also die Natur dieser Massen in Betrachtung kommt.“
Die politische Massenwirksamkeit zeigt sich heute ja in der durch das Internet befeuerten
Propaganda bzw. im Cyberkrieg als besonderer politischer Kriegsform. Dass die Bestimmung
bloßer politischer Kriege beliebig vieldeutig wird ist ja nur seiner Alltagsnähe
geschuldet. Denk nur an den Ehekrieg, Wirtschafts-, Religions- und Rassenkriege, den
Kalten Krieg — und ja ebenfalls der Holocaust kann als der besondere Krieg der Nazis gegen
Juden bezeichnet werden, auch wenn das nicht üblich ist. Auch nicht üblich ist es,
Rechthaberei als Krieg zu bezeichnen. Aber was alltäglich üblich ist, wandelt sich. Im
Kern ging es Cl. ja um eine idealtypische Bestimmung des Krieges. Und dabei ging er
ähnlich vor wie schon Galilei (gegen Aristoteles Plato folgend) bei der Bestimmung idealer
Bewegungsformen. Die meth. Konstr. verfeinerten das „Idealisieren“ dann zum
nachvollziehbaren „Ideationsverfahren“. Meines Wissens gibt es noch keine meth. konstr.
Kriegstheorie.
1994 charakterisierte Lorenzen seinen Konstruktivismus wie folgt: "Die konstruktive
Wissenschaftstheorie ist eine Theorie der Notwissenschaften, derjenigen Wissenschaften,
die zur Sicherung des Friedens ohne Armut nötig sind.“ In seinem Lehrbuch von 1987 stellt
er dar, "wie aus der praktischen Aufgabe eines Friedens ohne Armut die ersten
Begriffe mathematisch-technischer und historisch-politischer Wissenschaften schrittweise
gelehrt werden können.“ Insofern folgt meine Auffassung einer Kreigstheorie geradezu
komplementär Lorenzen, indem ich militärisch dem technischen und übergreifend dem
politischem Wissen folge. Im Handbuch Kriegstheorien werden spezieller behandelt:
Anthropologische, Biologische, Psychologische, Sozialpsychologische, Politische,
Geopolitische, Gesellschaftliche, Demografische, Ökonomische, Ökologische und
Theologische Kriegstheorien.
IT
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