Am 10.03.2022 um 23:55 schrieb Joseph Hipp via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Es wurde nun hier schon vieles in Folge des Textes "Zum Ewigen Frieden"
geschrieben. Mehrere Fragen entstehen mir:
1. Immanuel Kant hat zwar über eine Art Überorganisation oder Weltregierung gesprochen,
ich habe nicht herausgefunden, mit welcher Obrigkeit und Militärmacht diese ihm gemäß
ausgestattet werden sollte. Viele Wörter, die das ihm Gute und Vernünftige bezeichnen,
habe ich vorgefunden, vielleicht habe ich sehr schlecht gelesen, aber ich wäre froh, zu
erfahren wie diese Obrigkeit gemäß Kant funktionieren sollte. Wenn diese Stelle fehlen,
geht der Text in Richtung Utopie. Vielleicht hat Jürgen Habermas die Lösung hierzu, aber
ich höre nichts von der entsprechenden Lehrgruppe, wie jetzt eine gewaltfreie
Kommunikation als Theorie hilft. Oder würde diese auch nur als Utopie funktionieren?
Hi JS,
in konsolidierten Demokratien können selbstredend Kommunikationen auch vom Dissens
ausgehen und ihn (meta)diskursiv immer wieder zu reflektieren versuchen. Wie in der
dynamischen Spieltheorie Kooperation aus Konkurrenz hervorgehen kann, wird es erst recht
in dynamischer Kommunikation möglich sein, aus Dissens Konsens zu erlangen. Vorausgesetzt
natürlich, dass es friedfertig und gewaltfrei zugeht. Landwehr bezieht sich in seinem Buch
zum diskursiven Wandel bspw. auf einen gesonderten politischen Kommunikationsraum. Aber
warum sollte der nicht auch in hinreichend angepasster Kommunikation aufgehen können?
Solange Krieg nicht als Politik mit anderen Mitteln aufgefasst wird, stellt sich mir das
Politische lediglich als auf Politik spezialisierte Kommunikation dar.
Achim Landwehr (Hrsg.), „Diskursiver Wandel“, VS Verlag 2010: „Das vom Bielefelder SFB 584
entwickelte Modell des Politischen als Kommunikationsraum enthält den ambivalenten Begriff
der Kommunikation, der im Anschluss an die Überlegungen von Hannah Arendt oder Jürgen
Habermas leicht die Existenz eines offenen und fairen, nahezu machtfreien Austausch- und
Aushandlungsprozesses suggerieren kann. Jacques Ranciere dagegen betont die Unmöglichkeit,
das Politische mit Kommunikationshandeln gleichzusetzen. Für ihn ist das Politische in
seiner Essenz durch den Dissens markiert. Dieser entsteht, indem „eine Welt in einer
anderen“ geschaffen wird, das heißt ein Widerspruch innerhalb des Wahrnehmbaren manifest
wird und bestimmte Akteure zur Angleichung der Realitäten an diesen wahrgenommenen
Widerspruch animiert. Dem Kommunikationsmodell mangelt es seiner Meinung nach an Dynamik,
da es von feststehenden Teilnehmern und einer geordneten diskursiven Gemeinschaft im
geregelten Austausch ausgeht.“
2. Hier geht es darum, wie es ist, wenn innen im Staat
etwas Schlechtes geschieht, Kant nutzte hierfür das Wort Skandal. Etwa die Auflösung eines
Staates, der zur Anarchie übergeht, und ob in diesen eingegriffen werden kann. Diese Frage
hat Kant mindestens an einer Stelle leicht beantwortet. Nur wie die Überorganisation dort
eingreifen? Die Antwort darauf habe ich leider wieder nicht gefunden und bitte um Hilfe.
Ich lasse mich gerne belehren.
Wenn das erst gemeint sein sollte, schau doch mal rein in: Bernhard Rinke, Christiane
Lammers, Reinhard Meyers, Georg Simonis (Hrsg.), „Interventionen Revisited, Friedensethik
und Humanitäre Interventionen“, Springer VS 2014, speziell: „Die Europäisierung der
Sicherheitspolitik: Die Vertreibung aus dem Kant'schen Paradies?“ Das „Kant'sche
Paradies“ kann gut angenähert für eine vollständig demokratisierte Welt angenommen werden;
denn „konsolidierte Demokratien führen keine Kriege gegeneinander; oder um es ganz genau
im Sinne einer der jüngeren großen quantitativen Untersuchungen zu formulieren: die Zahl
der militarisierten Auseinandersetzungen zwischen voll entwickelten Demokratien liegt 41
Prozent unter dem Dyaden-Durchschnitt, gemischte Dyaden (Demokratie versus Autokratie)
liegen 73%, autokratische Dyaden 67% darüber.“ Quelle: Carlo Masala, Frank Sauer, Andreas
Wilhelm (Hrsg.); „Handbuch der Internationalen Politik“, SV Verlag 2010.
D.h. wandelt sich eine Demokratie in eine Autokratie, mit der Kriege wieder
wahrscheinlicher würden, wird von den anderen Staaten mehrheitlich dafür gesorgt, dass sie
sich wieder zur Demokratie rückverwandelt. Die Überorganisation der anderen Staaten
zusammen müsste schlagkräftiger sein als jeder Einzelstaat. Solange es allerdings
supermächtige Autokratien gibt, bleibt das Utopie. Ich hoffte naiverweise, dass vielleicht
die allgegenwärtige Klimakrise alle Staaten der Erde zur Kooperation veranlassen und
daraus vielleicht sogar eine „Weltschicksalsgemeinschaft" hervorgehen könnte. Weit
gefehlt, denn die Fossil-Junkies sind nicht einmal bereit, auf ihren Stoff zu verzichten,
um den Großmachtphantasien eines selbstherrlichen Autokraten entgegen zu wirken.
IT