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Am 05.04.2021 um 02:54 schrieb K. Janssen via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
Am 03.04.2021 um 17:48 schrieb Joseph Hipp via
Philweb:
[Philweb]
Am liebsten würde ich sagen: Spaß bei Seite, zudem mit Osterhase, Lamm, Eiern,
Stellungnahmen für oder gegen Botschaften, hier sind mal ein Paar Fragen, mit denen ich
eine unbeantwortete Frage wiederhole:
War Toscanini am Ende, als er ein letztes Mal dirigierte? Scheiterte an seinem
Perfektionismus? War dieser am Ende? Oder war er eben alt geworden?
Servus Joseph,
immer wieder stelle ich fest, wie schwierig es für mich ist, einen Bezug auf Deine Fragen
herzustellen; so müsste ich eigentlich passen, sie zu beantworten, möchte diese aber auch
nicht einfach im Raum stehen lassen. Also versuche ich‘s mal (zunächst mit Toscanini):
Wenn Du mit dieser Frage insbesondere auf seinen sog. „Blackout“ 1954 in der Carnegie
Hall abhebst, war Toscanini damit als Dirigent „am Ende“, es war sein letzter Auftritt.
Alt war er sicher geworden mit nahezu neun Dekaden eines Lebens voller „Action“ (wie man
heute sagt).
Was hat ihn als Dirigent so herausragend gemacht? Sein obsessiver Hang zur Perfektion hat
ihn sehr spezifisch als Orchesterleiter qualifiziert, ganz bestimmt zum Leidwesen der
Musiker, denen schon mal Partituren und Taktstöcke um die Ohren flogen – sicher auch von
cholerisch, verbalen Ausbrüchen begleitet. Ich denke, er hat sich und seine Orchester
damit oftmals an Grenzen gebracht, womit jeweils eine enorme psychische Belastung einher
gegangen ist (Jeder, der hier als Musiker oder Sänger unterwegs ist, weiß wie nervtötend
Proben sein können).
Wenn Du, Joseph mit Deiner Frage darauf hinweisen wolltest, dass mit dem Hang zum
Perfektionismus letztlich ein Scheitern (an welchen Aufgaben und Zielen immer) verbunden
ist, dann muss diesbezüglich die Frage nach der Art des Scheiterns gestellt werden und
darüber hinaus, ob denn Perfektionismus überhaupt zu einem Ziel (zu einem „guten Ende“)
führen kann.
Vielleicht sollte ich hierzu noch eine reale Geschichte als lebensnahes Beispiel anführen:
es geht also darum, ein gewünschtes Ziel erreichen und damit zu einem (guten) Ende kommen
zu können.
Das setzt voraus, dass dieses Ziel klar umrissen, also hinreichende Kenntnis der
diesbezüglichen Faktenlage vorhanden ist.
Ein Beispiel aus dieser Region ist eine Bergsteigergruppe, die eine Skitour zu einem der
hiesigen Gipfel unternehmen möchte und nach einiger Diskussion wird dieses Ziel gemeinsam
festgelegt. Es hat zuletzt geschneit und durch starken Wind sind Verwehungen entstanden,
die eine erhebliche Lawinengefahr mit sich führen. Daher wird die Gruppe geteilt, um damit
eine bessere gegenseitige Kontrolle zu gewährleisten. Eine der Gruppen wird von einem
erfahrenen Skibergsteiger angeführt, die andere von einem Profi-Bergführer.
Zunächst nehmen beide Gruppen den gleichen Weg, der von der Bergführer-Gruppe gespurt
wird. Als man zur ersten gefährlichen Querung anlangt, entscheidet der erfahrene
Ski-Bergsteiger für seine Gruppe, die Tour hier fortzusetzen, hingegen der Bergführer
gegen den heftigen Widerspruch seiner Gruppe einen längeren Umweg durchsetzt.
Der erfahrene Skitourengeher führt seine Gruppe ein Stück weit in Querung, als plötzlich
vor ihnen ein gewaltiges Schneebrett abbricht und vor aller Augen in die Tiefe abgeht. An
eine Weiterführung der Tour auf diesem Weg ist nicht mehr zu denken und es bricht eine
wilde Diskussionen an, warum man nicht auch den (wenngleich sehr weiten) Umweg gewählt
hat.
Die Gruppe des Bergführers quält sich derweilen mühsam durch hohen Schnee, heftig
lamentierend, warum man nicht doch einfach die Querung genommen hat.
Die andere Gruppe hat sich indessen kaum vom Fleck bewegt, da auch der Rückzug von der
Querung äußerst kritisch erscheint. Nun fällt auch noch Nebel ein und so tastet man sich
Meter um Meter zurück bis zum sicheren Aufstiegspfad. Einer schlägt vor, nun auch der Spur
der ersten Gruppe zu folgen und den Umweg in Kauf zu nehmen, um doch noch den Gipfel zu
erreichen; doch der Mehrheit der Gruppe fehlt die Kraft dazu und man muss die Tour
abbrechen. Missmutig macht man sich auf den Weg nach unten und als Trost bleibt lediglich
, dass man auf den Skiern runterfahren kann.
Dann bricht wieder die Sonne durch die Nebelschwaden und verleiht der Gruppe des
Bergführers neue Kräfte. Der Gipfel kommt in Sicht und wird zu guter Letzt erreicht.
Welches Erlebnis, welche Genugtuung nach diesem quälend langen, mühseligen Aufstieg - die
Mühsal des Umwegs ist vergessen. Und welches Vergnügen nun die Abfahrt!
Um diese lange Geschichte nun kurz und deutlich zu machen, was ich damit aufzeigen will:
Der Bergführer ist (wie Toscanini) ein Profi. Durch seine Ausbildung weiss er um die
Gefährlichkeit und damit um die Unmöglichkeit, eine Querung bei großer Lawinengefahr zu
durchsteigen; er wählt (das Ziel klar vor Augen) den beschwerlichen aber sicheren Umweg.
Die Mühe lohnt und man kommt zu einem guten Ende, also perfekt zum Ziel.
Der erfahrene Skitorengeher hingegen glaubte auf seine persönliche Erfahrung bauen zu
können, wonach er schon einige Male Querungen (auch bei ungünstigen Schneeverhältnissen)
gegangen ist, scheitert aber diesmal an der augenblicklichen .Realität. Auf diese Weise
kommt er mit seiner Gruppe nicht an das gewollte Ziel, sondern an ein ungewolltes Ende.
Perfektion, die auf objektiv gesichertem Wissen und somit auf Professionalität beruht,
wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Ziele erreichen und wenn es noch so viel Mühe kostet.
Die Frage bleibt jedoch: auf welchem Gebiet hat man per se hinreichende Professionalität,
die einen darauf bezogenen Perfektionismus legitimieren würde?
Wäre somit alles Reden, Diskutieren, Lamentieren usf. lediglich ein müßiges Dilletieren?
Bisweilen ist das sicher zutreffend und dennoch begeben sich unzählige Menschen tagtäglich
auf verschiedenste Wege, um Ziele zu erreichen. Es sind Wege und nur allzuoft
beschwerliche Umwege, auf denen aber auch immer neue Erfahrungen gewonnen und neue Kräfte
gesammelt werden, die letztlich zur Perfektion führen können.
Welche Ziele tatsächlich erreicht werden, liegt im Vermögen jedes Einzelnen.
Bester Gruß! - Karl
PS: die Skitourengeschichte ist nicht erfunden, sondern beruht auf diesbezüglich selbst
erlebten Erfahrungen.