Am 31.10.2022 um 17:56 schrieb Joseph Hipp über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 30.10.22 um 16:49 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb:
da mir bis heute kein simulierter Zufall bekannt
geworden ist. Da also echter Zufall nicht simulierbar ist, werde ich kein Gehirn im Tank
sein.
"simulierbar" in dem Sinne, nicht machbar mit einem auch komplexen
Computerprogramm (mit einem einfachen schon gar nicht), ok, das ist zur Zeit eben nicht
möglich, vielleicht ist es wie du meinst gar nicht möglich. Es kann sein, dass auch KI
nicht dazu verhelfen kann. Aber ich lasse mich gerne überraschen. Du hast ja schon mal von
deiner Liebhaberei von Rätseln gesprochen. Und des Rätsels Lösung kann eine Überraschung
sein. Jedenfalls ist es empirisch nicht möglich. So wie es auch keinen Menschen geben
kann, der eine Million Jahre alt wird. Für letzteres gibt es das Wissen um die Hemmnisse
beim Altern, bei der Zahl der möglichen Zellteilungen und der Mindern den Enden du weißt
ja von welchen Zellteilen. Zudem schreibst du persönlich: "da mir bis heute..",
so könnte vielleicht gesagt werden: Dann hast du schlecht gesucht und deswegen nichts
gefunden.
Hi JH,
zunächst folge ich zumeist der Nachweis- bzw. Konstruierbarkeitsthese, d.h. solange etwas
nicht nachgewiesen werden konnte existiert es nicht. Darüber hatten wir uns ja hier schon
einmal in Verbindung mit dem Higgs-Boson ausgetauscht. In den quantitativen
Experimentalwissenschaften müssen Existenzbeweise geführt werden, andernfalls gelten
Existenzannahmen nur hypothetisch. Bei Gedankenexperimenten ist ihr hypothetischer
Charakter offensichtlich. Sie werden ja nur in Gedanken ausgeführt; müssen aber
prinzipiell ausführbar sein, wie bspw. das berühmte Gedankenexperiment Einsteins zu den
spukhaften Fernwirkungen, das erst Jahrzehnte später tatsächlich durchgeführt werden
konnte.
Kastner hat für ihre Unterscheidung von real und aktual das Bild eines Eisbergs gewählt,
um anschaulich zu machen, dass der ganze Berg einschließlich seines im Wasser verborgenen
Großteils zwar real, aber nur seine aus dem Wasser ragende Spitze aktual sei. Daran
anknüpfend schreibt sie (mit Bezug auf Aristoteles und Heisenberg) von potentieller oder
aktualer Realität bzw. von aktualisierter Potentialität. Das Higgs-Boson war erst ab 2012
aktual real, zuvor nur potentiell real. Ihre Unterscheidung wendet sie zudem auf die
Wahrscheinlichkeit an, indem sie von realer und aktualer Wahrscheinlichkeit schreibt. In
ihrer PTI unterliegen den physikalisch messbaren, aktualen Wahrscheinlichkeiten die
Angebots- und Bestätigungs-Wahrscheinlichkeitswellen zwischen Emittern und Absorbern, die
im Gegensatz zu den aktualen Wahrscheinlichkeitswellen noch zeitsymmetrisch verlaufen. Der
Ansatz liefert nicht nur eine realistische Interpretation der Quantenmechanik, sondern
vielleicht auch eine quantitative Bewusstseinstheorie. Und was sich wohl über das
Bewusstsein und das Labor hinausgedacht für das Universum bzw. die Quantengravitation
daraus ergäbe?
Simulationen verstanden als aus Formalismen entwickelte Algorithmen, die in Programme
übersetzt in endlicher Zeit ausführbar sein müssen, sind für Zufallszahlgeneratoren nicht
möglich. Für mich tauchte das Problem erstmals während meiner Arbeit mit
Monte-Carlo-Simuationen zur Berechnung von Teilchenexperimenten bei DESY auf. Dafür gibt
es algorithmisch nur Pseudo-Zufallszahlgeneratoren, die Zufallszahlen liefern, die
irgendwann Abhängigkeiten erkennen lassen. Und je schneller die Rechner werden, desto eher
tritt das Problem auf. Ich nehme an, dass man sich bis heute der Radioaktivität bedient
oder möglicherweise aus dem Rauschuntergrund echte Zufallszahlen zu generieren vermag.
Wenn aber ein Computerprogramm einen "echten
Zufall" aus der Natur nimmt, etwa den Kernzerfall, ich sage das, weil das für dich
eine höhere Wichtigkeit hat, für mich Mann von der Straße genügt ein Würfel, und das sich
ergebende echte Zufallsresultat in das Programm eingefügt wird, also von außerhalb, ist
dann das Gehirn im Tank möglich? Mit dieser Mischform von Computer und "echtem
Zufall" und mit Hilfe des Umkehrschlusses könnte dein Satz umgeformt werden in:
"Da in einem Computerprogramm ein echter Zufall nicht möglich ist, aber von
außerhalb des Programm her genommen werden kann und in das Programm hinein gefügt werden
kann, werde ich ein Gehirn im Tank sein können.“
Echten Zufall liefert nur der ideale Würfel, nicht der vom Mann auf der Straße geworfene.
Das klingt schwer platonisch, aber Du beziehst Dich ja auch gerne auf einen der alter
Meister. Beim Gehirn im Tank kommt es nach meinem Verständnis darauf an, dass ich in ihm
bzw. es allein aus sich heraus durch Anschluss seiner Peripherie an einen Computer nicht
zu unterscheiden vermag, ob es sich im eigenen Körper in der Außenwelt befindet oder bloß
in Nährlösung schwappt, d.h. sich computervermittelt nur selbst erlebt oder zudem noch
etwas von außerhalb kommt. Wenn ich also etwas von außerhalb hinzunehmen müsste,
widerspräche das der Innerlichkeit bzw. Simulierbarkeit der Außenwelt.
Sicher kann auch noch gestritten werden, ob es einen
"echten Zufall" überhaupt geben kann.
Ich hatte ja schon angedeutet, dass das nur aufs Unendliche hin gelingen könne, denn die
Zufallszahltests können sehr lange dauern und müssen natürlich in endlicher Zeit
abgebrochen werden. Insofern hatte ich angenommen, dass bisher noch kein algorithmischer
Zufallszahlgenerator einen machbaren Test bestand.
Überhaupt kann es sein, dass eine Argumentation mit
der Zufallsexistenz überhaupt angebracht ist. Analog dazu wurde vor langer Zeit mit
folgender Formel argumentiert: "Das x kann es nicht geben, weil Gott es nicht
erlauben würde."
Das wirst Du als Scherz gemeint haben, denn was haben algorithmische Unmöglichkeit und
theologische Erlaubnis miteinander zu tun? Ich habe mich nicht auf eine Mythengestalt
bezogen, sondern auf kundige Wissenschaftler, die Probleme beim Simulieren von
Zufallszahlen zu lösen versuchen.
Zurück zur Höhle des Plato: Jeder kann denken, dass es
so eine Situation geben kann, da spielt es keine Rolle, ob es einen Zufall gibt oder
nicht. Plato hat ja nicht an einen Computer denken müssen, an ein Programm, das die
Höhlenmenschen simuliert. Es bedurfte auch keine Kenntnisse zu Nerven. "Die Gedanken
sind frei", dh. beim Denken geht es um die Denkbarkeit, nicht um die Realisierung und
Simulierung. (Bemerkung für Halbwissende: Das Phrasem "Die Gedanken sind frei"
ist verschieden vom dem, was mit Willensfreiheit gedacht werden soll.) Und
Gedankenexperimente sind manchmal hervorragende Mittel, um vorwärts zu kommen, du würdest
gerne sagen, wer ein Meister dieser war.
Und auch deswegen bleibe auch ich bei der Formulierung von Arnold zu dieser Sache so in
etwa: denkbar schon, wenn auch mit großen Bedenken.
Wenn etwas bloß denkbar und bedenklich ist, ist es kein Experiment, das prinzipiell
ausführbar sein müsste, sondern bloß Phantasterei oder SciFi. Wobei Einstein ja gerne in
Gedanken experimentierte, wenn er sich bspw. mit Lichtgeschwindigkeit bewegte, einen
Menschen frei vom Dach fallen oder Teilchen instantan korreliert davon fliegen ließ. Aber
was sollen Gedankenspielereien, wenn sie nicht im Labor oder zumindest durch Formalismen
überprüft werden können? Dann sind sie Literatur und keine Wissenschaft. Leider ist mir
noch kein gleichermaßen literarisch wie mathematisch gehaltvoller Roman bekannt geworden.
Ausgehend von der Frage: Leben wir in der Natur oder in einer Computer-Simulation?, würde
es mich allerdings wundern, wenn wir es nur mit dem Zufall zu unterscheiden vermöchten.
„Philosophie als strenge Wissenschaft“ so lautet ja der programmatische Aufsatz Husserls
von 1911. Darin ist zu lesen: „Seit den Anfängen hat die Philosophie den Anspruch
erhoben, strenge Wissenschaft zu sein, und zwar die Wissenschaft, die den höchsten
theoretischen Bedürfnissen Genüge leiste und in ethisch-religiöser Hinsicht ein von
reinen Vernunftnormen geregeltes Leben ermögliche." Und weiter: „Dieser Anspruch ist
bald mit größerer, bald mit geringerer Energie geltend gemacht, aber niemals ganz
preisgegeben worden. Auch nicht in Zeiten, in denen Interesse und Fähigkeiten für reine
Theorie zu verkümmern drohten, oder religiöse Mächte die Freiheit theoretischer
Forschung unterbanden. Dem Anspruch, strenge Wissenschaft zu sein, hat die Philosophie in
keiner Epoche ihrer Entwicklung zu genügen vermocht.“ Was hat sich am Genügen der
Philosophie bis heute geändert?
IT