Am 05.10.2022 um 18:04 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 27.07.2022 um 03:05 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
Persönlich glaube ich nicht an eine permanente „Durchdringung“ der Natur (und somit auch
des Menschen) mit einem „höchsten Bewusstsein“ vielmehr an diesbezüglich getrennte
Sphären, die durch Intra-Aktion in eine wechselseitige Beziehung treten. Vor Jahren hatte
ich hier den Begriff der „intra-action“ eingebracht, dar dem Neologismus (eine Art neuer
Materialismus) entstammt, wie ihn die amerikanische Feministin Karen Barad (Physikern) als
Begriff für wechselseitig aufeinander einwirkende Materie, die sich eben erst durch
Intra-Aktion ohne Einwirkung einer äußeren Wesenheit (also weder ein Gott oder sonstige
Entität) verwirklicht.
Es mag verwundern, dass ausgerechnet ich mich einer materialistischen These bediene, um
die Wechselwirkung zwischen benannten Sphären zu verdeutlichen. Barad ist Quantenphysikern
und hat demnach u.a. das Phänomen der Verschränkung zwischen Quantensystemen zur
Erläuterung ihrer These angeführt.
Meine aus Barads Idee abgeleitete Vorstellung von Intra-Aktion, liegt natürlich nicht in
der Wechselbeziehung zwischen Materie sondern zwischen Materie und Geist. Der Mensch, in
seiner Ganzheit aus Körperlichkeit (Materie) und Geist (resp. Bewusstsein) kann in
Verbindung kommen mit einem universellen Geist, eben diesem „höheren“ Bewusstsein, das man
für meine Begriffe auch als „kosmische Intelligenz“ bezeichnen kann, wie Ingo das hier
vorgenommen hat. Diese Intra-Aktion ist selbstredend nicht nur unidirektional angelegt,
muss aber jeweils von einer der beiden „Kommunikationspartner“ initiiert werden, was
entsprechende Resonanz zwischen den Sphären voraussetzt.
Moin Karl,
ja, vor Jahren, genauer am 09.12.2015, hatten wie hier einmal im Kontext der
Nichtexistenzannahme Barad erwähnt, sind aber seitdem nicht näher auf sie eingegangen.
Dein obiger Text wird ihr allerdings nicht gerecht — und soll es auch nicht. Damals hatte
mich Stefan Kober weiter gehend nach einer quantitativen Bewusstseinstheorie gefragt.
Barad und Penrose knüpfen ja an Bohr an, ebenso wie die gerade mit dem Nobelpreis
ausgezeichneten Aspect, Clauser und Zeilinger. Inwieweit aber ist Barad dem idealistischen
Ansatz in Bohrs Quantenphilosophie treu geblieben?
Moin moin, Ingo,
Das ist ja mal ein Thema! Aber zunächst Zeilinger; ich freue mich sehr über den ihm
verliehenen Nobelpreis und natürlich auch für Aspect. Der Bezug auf Bohr rührt womöglich
auf dessen Konzept von Komplementarität, womit an sich gegensätzliche (sich eigentlich
widersprechende) Eigenschaften eines Quantensystems dennoch getrennt voneinander
betrachtet werden können. Dieses Paradox war für ihn das beherrschende Phänomen in seinem
Denken, das nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch philosophisch in Bezug auf
Erkenntnistheorie orientiert war. Es ist wohl diese Suche nach dem semantischen
Verständnis, der eigentlichen Bedeutung der QM , die andere Forschende in den Bann dieser
Betrachtung zog und nach wie vor zieht.
Vorhin habe ich mir K. Barads „Meeting the universe halfway“ aus meinem Archiv gezogen und
kursiv einige Passagen überflogen. Wenn das wirklich 2015 war, als ich mich damit
beschäftigt habe, sind mittlerweile 7 Jahre verstrichen. Sieben Jahre sind schnell
dahingelebt, doch hinter diesem Zeitraum steckt ein signifikanter Zyklenwechsel: Jedes
eigene wie auch das gesellschaftliche Leben ist offensichtlich von diesem
Sieben-Jahres-Zyklus geprägt. Das soll wahrlich kein neues Thema hier sein, vielmehr will
ich damit sagen, dass sich meine Sicht auf Barads Werk um einiges anders als eben vor 7
Jahren darstellt; das zeigten mir schon die ersten wieder gelesenen Seiten.
Aber so soll's ja auch sein und ich muss mir nun Deine jetzt aufgebrachte Thematik in
Ruhe durchdenken. Auf die genannten Punkte einfach nur mit ein paar Zeilen zu antworten,
würde deren Bedeutung und vor allem die Freude über das aufgeworfene Thema schmälern.
Also lass uns das in Ruhe angehen. Die kommenden Tage sind allerdings keine Tage des
(Nach-)Denkens für mich, vielmehr angefüllt von überfälligen Arbeiten und sonstigen
Verpflichtungen.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
Über Barad's Verbindung von `Quantum Physics and the Critical Humanities' hatte
ich auch schon vor Jahren einmal gelesen und mir einige ihrer Originalarbeiten kopiert;
denn über den Zusammenhang von `Kritischer Theorie und Moderner Physik’ bzw. Frankfurter-
und Kopenhagener Schule hatte ich 1998 naheliegenderweise ebenfalls einmal vor Jahren
nachgedacht. Bis heute bin ich aber nicht wesentlich weiter gekommen mit der Überwindung
von `Reflection and Representationalism’ durch `Diffraction and Performativity'.
Woran es bei philosophischen Ansätzen in der Regel hapert, ist der mangelnde empirische
Gehalt, sofern über den beschränkten Alltagshorizont hinaus zu denken versucht wird. Die
Umgangssprache trivialisiert bereits unsere Erlebnisvielfalt und vermag über die sich ins
Universum hinaus erstreckende Welt da draußen überhaupt nichts mehr zu sagen. Da helfen
nur Mathematik und Technik weiter. Zugespitzt formuliert ist nur unsere sprachliche
Innenwelt qualitativ, die Außenwelt aber ist rein quantitativ atomar und somit nur der
Mathematik zugänglich.
Wie kommen nun aber Innen- und Außenwelt zusammen? Du denkst in Sphären, ich bloß in
Innen und Außen. Ich bin Produkt meines Gehirns, das Produkt des Universums ist, das sich
gleichsam in mir selbst untersucht. So wie sich die Außenwelt über Stoffwechsel und Sinne
weit in die Innenwelt meines Hirns hinein fortsetzt, strecken Menschen ihre Fühler mittels
Technik weit in die Außenwelt hinein aus. Aus welcher Überlappung von Innen und Außen gehe
nun ich hervor mit meinem Bewusstsein oder Selbsterleben?
Barad schreibt in `Meeting the Universe Halfway’, dass Phänomene Intra-Aktionen von
Wissen und Sein, Wort und Welt, Kultur und Natur seien. In ihrem Agentiellen Realismus
soll Wissen aus dem `Zwischen’ von Natur - Kultur, Objekt - Subjekt, Materie - Bedeutung
hervorgehen, wobei die Intra-Aktionen die Agenten überhaupt erst hervorbringen. Materie -
Bedeutung lässt sich auf Teilchen - Welle bzw. Ort - Wahrscheinlichkeit beziehen. Dabei
denke ich mir die Intra-Aktionen primär aus den Fluktuationen hervorgehen, denen alles
innen wie außen ausgesetzt ist. Und einige der unendlich vielen Überlagerungen vermögen
sich jeweils stabilisierend aufzuschaukeln, wie es Haken in seinem Versklavungstheorem
bewiesen hat. So `einfach' wie die Kohärenz im LASER-Licht aus dem Photonenchaos
entsteht, wird es mit der Kohärenz im Bewusstsein aus dem Neuronenchaos aber nicht
zugehen.
Der Formalismus der Quantenmechanik hat sich millionenfach experimentell und
milliardenfach technisch bewährt, aber wie sieht es mit dem empirischen Gehalt des
Agentiellen Realismus Barad's aus? Plausibler als ein verallgemeinerter
Quantenformalismus erscheint mir primär die verallgemeinerte mathematisch-quantitative
Außenwelt, aus der erst sekundär die sprachlich-qualitativen Innenwelten hervorgehen.
Experimentierfeld dafür ist das Brain Computer Interface BCI, das allerdings noch
wesentlich verfeinert werden muss; denn bisher ist es mehr Spielwiese als
Erkenntnisgewinn. Aber könnte nicht die Plazenta analog zum BCI als Mutter/Kind-Interface
verstanden und Barad damit empirisch untermauert werden? Darüber hat Rebecca Scott
Yoshizawa in ihrer Dissertation gearbeitet: `Placentations: Agential Realism and the
Science of Afterbirths’. Feministischer Materialismus bezieht sich ganz handfest auf das
Hervorgehen aller Menschen aus den Frauen bzw. aus den Uteri mit ihrer Plazenta, in der
Mutter und Kind sich diffizil überlappen.
IT
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