Am 17.07.2024 um 12:29 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Ok, hauen wir uns erstmal noch ein paar Clausewitz-Zitate um die Ohren:
"Der Krieg ist mehr für den Verteidiger als für den Eroberer da, denn der Einbruch
hat erst die Verteidigung herbeigeführt und mit ihr erst den Krieg. Der Eroberer ist immer
friedliebend (wie Bonaparte auch stets behauptet hat), er zöge ganz gern ruhig in unseren
Staat ein; damit er dies aber nicht könne, darum müssen wir den Krieg wollen und also auch
vorbereiten, d. h. mit anderen Worten: es sollen gerade die Schwachen, der Verteidigung
Unterworfenen, immer gerüstet sein und nicht überfallen werden; so will es die
Kriegskunst." (Kap. 6, Abschn. 5).
Ich schlage vor: ich les mir das alles nochmal durch, v.a. dieses 6. Kapitel
"Verteidigung", aus dem du auch zitiert hast, dann diskutieren wir weiter, ok?
Hi JL,
mich störte Deine voreilige Verallgemeinerung Clausewitzens. Um eine textkritische
Interpretation geht es mir nicht, sondern nur ums Weiterdenken.
Denn dieser von der Wikipedia zitierte Satz „Der Krieg
ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“
scheint in der Tat nicht zu genügen, da geb ich dir Recht. Du meinst: "Damit beginnt
der Krieg mit einem Gewaltakt und nicht damit, dass darauf reagiert wird." Ich würde
sagen: Clausewitz meint eigentlich: im Vorfeld jedes Kriegs steht noch kein "Akt der
Gewalt", sondern ein "Akt der Androhung von Gewalt" (die einen dem Willen
konforme Handlung erzwingen will). Der (oft geleugnete) Unterschied zwischen
Gewaltandrohung und -ausübung ist vermutlich wichtig; denn ob es zur tatsächlichen Gewalt
wird, "entscheidet" erst der Bedrohte.
Die Unterscheidungen Androhung (Gewaltpolitik) und Durchführung von Gewalt (Gewaltakt)
sind ebenso nützlich wir die Unterscheidungen von gewaltsamem Angriffs- und politischem
Verteidigungskrieg.
Ich vermute mal, daß das eben auch mit der anderen
famosen These von der "Weiterführung der Politik mit anderen Mitteln"
zusammenhängt: am Anfang steht nichts als ein "politischer Wille", der dem
anderen eben, bei dessen mangelnder Einsicht, aufgezwungen werden muß. Der diesem Wollen
Widerstehende entscheidet über die Mittel, mit der dann über "Durchsetzung" und
"Durchsetzbarkeit" dieses Willens entschieden wird. Wenn es
"politisch" (also etwa mit "Verhandlungen") nicht geht, dann muß es
eben militärisch "geklärt" werden.
Ja, das sehe ich auch so, halte die These aber nicht für famos, sondern für gefährlich
militaristisch. Das ist Aristokraten-, Diktatoren- oder Autokraten-Politik.
(Die hier zitierte Putin-Propaganda will ja offenbar
genau das sagen: wir haben es euch doch lange genug gesagt: laßt die russischen
Minderheiten auf der Krim in Ruhe, tretet nicht der NATO bei, laßt euch nicht westlich
"unterwandern", usw.; ihr habt aber nicht auf uns gehört, also wollt IHR den
Krie... - äh: die militärische Spezialoperation. Das ist nicht nur Propaganda und Lüge,
was es zur Lüge macht, ist nur, daß die Kriegsziele ganz andere sind, es geht um Macht,
Einfluß, Territorium, Bodenschätze, Ablenkung von Innenpolitik, Ideologie, usw.)
Putin ist der militaristischen These Clausewitzens gefolgt. Dabei lassen sich
machtpolitische Gründe für Gewaltandrohungen nahezu beliebig finden und propagandistisch
verbreiten. And wenn ein Machtpolitiker ihnen folgt und aus den Drohungen Gewaltausübungen
macht, dann handelt es sich unabhängig davon, ob der Angegriffene sich verteidigt, um
einen Angriffskrieg. Denn wie anders als mit Gewalt können Truppen ohne Visa oder
vereinbart die Grenze überschreiten?
„Mit dem ‘Budapester Memorandum’ 1994 verpflichteten sich die USA, Russland, China,
Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die politische und wirtschaftliche
Unabhängigkeit von Weißrussland, der Ukraine und Kasachstan zu garantieren, wenn diese im
Gegenzug auf den Besitz von Nuklearwaffen verzichten würden. Als Ergebnis dieser
Vereinbarung wurden die in diesen Staaten noch aus Zeiten der Sowjetunion stationierten
Nuklearwaffen bis zum Jahre 1996 nach Russland verbracht“ (atomwaffena-z.info). Wie
perfide ging Russland vor, wenn es sich erst an den Unabhängigkeitsgarantien beteiligt,
dann aber nach Entwaffnung der vorgeblich unabhängigen Ukraine Krieg androht und ihr
zugleich den NATO-Schutz verwehrt?
„Am 15.4.2021 drohte der ukrainische Botschafter in Deutschland öffentlich, sein Land
müsse aufrüsten – eventuell auch mit Atomwaffen –, um sich gegen Russland zu verteidigen,
wenn die Ukraine nicht bald Mitglied in der NATO werde“ (atomwaffena-z.info). Wie
berechtigt die Warnung war und wie unverhohlen verlogen Putin sich immer wieder gerierte,
hat sich dann in seinem Krieg gegen die Ukraine gezeigt.
IT