„Gerade Linien sind gottlos“ (Hundertwasser). Ziemlich verwegen, dieser Anspruch an das
Ungerade und dennoch verweist er auf die Ästhetik des Unvollkommenen oder eher auf diesen
unerklärlichen Reiz, den fragmentarisch - als unvollständig - dargestellte Formen ausüben.
Sie lassen Raum für subjektive Ergänzung durch den Betrachtenden. Dieser Anreiz liegt wohl
auch der Dissonanz in der Musik, dem Ungleichen in Gemälden zugrunde. Es ist womöglich der
Grenzbereich zwischen Unvollkommenkeit und Vollkommenheit, der infolge einer jeweils
unvermeidlich subjektiven Wahrnehmung einer Gegenständlichkeit fließend sein muss. Kann es
überhaupt Vollkommenheit im Sinne objektiver Gültigkeit geben?
Wir hatten hier vor einiger Zeit Michelangelos Deckengemälde (Figuren aus dem ersten Buch
Mose zur Schöpfungsgeschichte) von der Erschaffung Adams thematisiert. Während ich darin
die geniale Metaphorik der Menschwerdung sehe (als biologisch wissenschaftlich gesicherte
Erkenntnis dem Übergang vom Primaten zum Homo Sapiens vermittels Punktmutation als
Voraussetzung zur Vermehrung von Stammzellen durch das Gen ARHGAP11B, was zur
entscheidenden Vergrößerung des menschlichen Gehirns führte), hatte Waldemar mit einiger
Ironie die Unvollkommenheit dieses Fresko kritisiert. Zwei Menschen schauen auf eine Sache
(Joseph!) und kommen zu völlig unterschiedlicher Wertung, quasi als Inbegriff von
Unvollständigkeit resp. Inkonsistenz oder auch schlichtweg Widersprüchlichkeit im Sinne
der zuletzt hier erwähnten Goedelschen Theoreme.
Goedels Theoreme als Grundsätze von allgemeiner Geltung zeigen quasi rekursiv den Grund
auf, warum keine Theorie die Prämisse(n) ihrer Gültigkeit ausdrücklich enthalten resp.
formal vollkommen darstellen und begründen können; vornehmlich deshalb, da innerhalb jeder
vorgelegten Theorie Fragen aufgeworfen werden können, die in deren gegebenem
Erfahrungskontext nicht zu beantworten sind.Das gilt nicht nur für wissenschaftliche
Theorien, sondern offensichtlich auch für sonstige (insbes. metaphysische resp.
mythologische) Annahmen.
Als( weihnachtlich aktuelles) Beispiel die Annahme göttlicher Unsterblichkeit bei
konkomitierender Botschaft von der Geburt des Gottessohns und dem Narrativ, dass dieser
als Unsterblicher in irdisches Leben eintritt, um - wie alle hier Sterblichen - dieses
dennoch unweigerlich zu verlieren. Ohne theologisch konstruierten Kontext bleibt diese
Erzählung unvollständig, sie bleibt schlicht offen.
Eine nachweihnachtliche Geschichte also, die zum Nachdenken anregen könnte.
Bester Gruß in die Runde! - Karl