Schönen Gruß an die Liste,
verbunden mit der Hoffnung, alle Beteiligten mögen es in diesen sehr
winterlichen Temperaturen schön warm vor den "Gelehrtenschreibtisch"
haben.
Aus dem Paper entnehme ich, dass der Radikale Konstrukvismus zwei
zentrale "Theoreme" hat:
1.) Undifferenzierte Codierung und
2.) Viabilität.
(1) ist die Theorie, das Nerven zum Gehirn nur quantitative Signale
schicken und qualitative Eigenschaften erst im Gehirn konstruiert
werden. Wenn ich mit den Fingern etwa über diese Tastatur hier gleite,
dann empfängt mein Gehirn in Wahrheit nur unterschiedlich starke
Nervenreize über Druckwiderstand an meinen Fingern. Das mentale Bild
über eine Tastatur, über welche ich schreibend fahre, wird erst
nachträglich konstruiert.
Hier: Zusammenhang zu Neuronalen Netzen etwa von ChatGPT
(2) bedeutet das Prinzip, dass eine Wahrnehmung zum Wahrehmenden passen muss.
Ich halte (2) für falsch. Der Künstler Neil Harbisson kann mittels
seines Implantates ultraviolette Farben sehen.
Was denkt ihr darüber?
Um noch summarisch zu kommentieren:
Am Fr., 8. Dez. 2023 um 11:02 Uhr schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Einstein schreibt zum 300. Todestag von Johannes
Kepler in der Frankfurter Zeitung am 9. November 1930: „Es scheint, daß die menschliche
Vernunft die Formen erst selbständig konstruieren muß, ehe wir sie in den Dingen
nachweisen können. Aus Keplers wunderbarem Lebenswerk erkennen wir besonders schön, daß
aus bloßer Empirie allein die Erkenntnis nicht erblühen kann, sondern nur aus dem
Vergleich von Erdachtem mit dem Beobachteten.“ Damit hat sich Einstein nicht als
Konstruktivist geoutet, sich lediglich gegen reinen Empirismus wie Rationalismus
ausgesprochen.
Klingt für mich sehr nach Kantismus. Also
erkenntnistheoretisch/"transzendentalphilosophisch" nicht ethisch.
Und Kant wiederum wird im Text als eine Art Vorläufer des
Konstruktivismus geprisen.
Am Fr., 8. Dez. 2023 um 00:43 Uhr schrieb Karl Janssen über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
In Bezug auf den von Dir thematisierten
neurobiologischen Konstruktivismus (den diesbezüglich verlinkten Essay habe ich nun
diagonal gelesen) habe ich kurzerhand den Konstruktivismus an sich in Betracht genommen
und nochmal „zurückgeblättert“ auf frühere Diskurse, wie wir sie hier vor Jahren schon
geführt haben.
Man muss "wh" wirklich attestieren, dass er über Jahre konstant
konstruktivistische Ansichten vertreten hat.
Im Kern geht es dabei doch um eine Abkehr von der
metaphysisch angelegten Annahme einer absoluten Wahrheit, christlich versinnbildlicht
durch den Glauben an eine überempirische Entität, wie diese sich in der angenommenen
Existenz eines Gottes ausdrückt. Dieser
Glaube entspricht einer nicht (naturwissenschaftlich) gesicherten Erkenntnis im wahrsten
Wortsinne und macht es Atheisten daher leicht, auf dieser
Basis gegen jegliche diesbezügliche metaphysische Argumentation anzugehen.
Ich wage dennoch ein Problem anzusprechen. Jedenfalls zum Teil, weil
ich mir schon vor Jahrzehnten mal Gedanken darüber gemacht habe:
Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen "Gottglauben" (Theismus)
und Perspektivismus/Relativismus/Konstrukvitismus?
Naiverweise sieht es eigentlich so aus als würde die Existenz eines
Gottes einen Relativismus oder Perspektivismus logisch ausschließen.
Denn notwendigerweise könnte ein allwissendes Wesen alle Perspektiven
zugleich einnehmen. Er wäre damit eine Art "Zentralperspektive" auf
die Welt. Metaphorisch vergleichbar mit einem Betrachter, der von
außen in eine Ameisenfarm sieht.
Denkt man ein wenig weiter, dann kommt man zu den Schluss, dass auch
das nicht unbedingt einen Relativismus ausschließt. Gott wüsste zwar,
wie die Welt seinen Kreaturen erscheint, aber das impliziert ja nicht,
dass er eine eine wahre Perspektive kennt.
Logische Herangehensweise basiert bereits auf Tatsachen, wahre oder
falschen Aussagen. Zur Analyse von "wahr für mich" oder "wahr für
dich" müsste man eine Art Relation einführen.
Aber wäre dann nicht wiederum die Relation ein objektiver Fakt, eine
"absolute Wahrheit"?
Der Konstruktivismus dagegen scheint mir eine absolute Wahrheit
insofern auszuschließen als Erkenntnis an sich als ein
Konstruktionsakt bedeutet wird.
Jedoch widerspricht das mE der Erfahrung von Evidenz. Da haben die
Phänomenologen recht. Ich kann nicht zugleich einen roten Gegenstand
sehen und sagen, "das Ding ist nicht rot" ohne mich (und andere) dabei
zu belügen.
Der Konstruktivismus mit seiner Theorie, dass die Wahrnehmung aktiv
konstruierend ist, ist demgegenüber erst mal nachträglich.
Wir haben hier ausführlich zum Thema der
Wahrheitstheorien diskutiert und so möchte ich nicht wieder darauf eingehen.
Wobei der Konstruktivismus dieses Papers in erster Linie eine
Epistemologie oder Transzendentalphilosophie ist, keine
Wahrheitstheorie.