Es ist vermutlich angebracht, mich noch einmal bzgl. meiner jüngsten
Reaktion auf diese hier immer wieder aufkommende Herabwürdigung von
religiös geprägten Menschen zu erklären.
Natürlich ist es zutreffend, dass „Gott in den Köpfen stattfindet“; um
bei diesem Bild zu bleiben, sollte man jedoch ergänzen: in den Köpfen
und Herzen!
Gerade im Anblick dieser nun erfolgenden furchtbaren
Unwetterkatastrophen hört oder liest man die spöttische Frage, warum
denn dieser Gott solches Leid zugelassen hat. Wie überliefert, wurde
eine ähnliche Frage dieser Art vor etwa 2000 Jahren dem ans Kreuz
genagelten Jesus gestellt; warum er sich als „Sohn Gottes“ dessen Hilfe
nicht erbäte und zudem als Christus, dem „König der Juden“ sich nicht
selbst und den mit ihm gehängten Verbrechern zu helfen wisse.
Diese Frage, wie eben die gesamte Problematik der Theodizee zeigt, wie
unglücklich tief das anthropomorphe Gottesbild in der Menschheit
verwurzelt ist.
Das zeigt auch Waldemars Kampf gegen (vielleicht sogar immer noch mit) Gott.
Er weiß, wie wir alle hier, dass dieser (als solcher allseits benannte)
Gott nicht in „himmlischen Gefilden auf Wolke 7“ residiert.
Orte in den Weiten des Universums, die als Himmel oder Hölle verheißen
oder angenommen und demnach postuliert werden, sind im wahrsten
Wortsinne U-Topien!
Derartige Begrifflichkeiten verwirklichen sich jeweils in allen realen
Lebenswelten des Kosmos. Himmel und Hölle sind somit auch hier auf
Erden, wie das tagtäglich unzählige Male zu beobachten und zu erleben ist.
Wir Menschen machen uns nicht nur dieses Gottes- und Jenseitsbild,
sondern projektieren dieses dorthin aus den konkret irdischen
Lebens-Erfahrungen, nämlich jenen von Himmeln und Höllen dieser Welt!
Und dieses „machen“ vollzieht sich wahrhaftig in den „Köpfen“. Darin
liegt das unausweichliche Problem menschlicher Existenz in jeweils
individueller und gesellschaftlicher Ausprägung.
Dass Menschen einen spirituellen Zugang zu einer definitiv noch nicht
(wenn überhaupt jemals) letztgültig erklärbaren „geistigen Welt“
jenseits der empirisch erfahrbaren Welt haben, hat zweifelsohne auch
eine „ent-ängstigende“ Wirkung, die regelhaft dialektisch aber ebenso
„be-ängstigend“ sein kann. Das Bestehen einer immateriellen (von Kant
als intelligibel benannte) Welt ist eine ebenso wenig zu beweisende
Gegebenheit wie eben die Existenz eines Gottes.
Und damit gilt natürlich Waldemars diesbezügliche Feststellung:
/wh: „...als wunderliche show für unsere verblüffte wahrnehmung und
danach für unser geradezu verzweifeltes nachdenken darüber (weil wir zu
tief in ein glas schauen wollen, dessen tiefe in wahrheit -für uns-
unermesslich = nicht ausmessbar ist)“./
Doch warum wollen Menschen in die Tiefen eines ihnen unergründlichen
Glases schauen?
Es ist doch letztlich die immer wieder aufkommende Frage nach dem „warum“.
Vielleicht kann wiederum Nietzsche eine Antwort geben, dem folgende
Feststellung zugeschrieben wird: „Wer ein Warum hat zu leben, erträgt
fast jedes Wie."
Warum folgt Donner auf den Blitz, fragten wir als Kinder und sind
angesichts heutiger fantastischer, naturwissenschaftlicher Erkenntnisse
vom Glauben an den „Gott des Donners“ befreit.
Ebenso wird uns weiterhin interdisziplinäre Forschung bedeutende
Erkenntnisse über weitere, bislang nur spekulativ betrachtete oder
schlichtweg zu glaubende Phänomene bringen.
Bis diese Erkenntnisse entsprechend in den Wissensfundus dieser
Menschheit (in all ihrer pluralen gesellschaftlichen Vielfalt)
eingedrungen sein werden, ist noch sehr viel Geduld insbesondere mit
jenen Menschen aufzubringen, die sich nicht einmal durch heute
verfügbares Wissen von ihren überkommenen Weltanschauungen trennen
können oder wollen.
Die Freiheit des Fragens (nach dem „warum“ der Lebenswelt) ist
grundsätzlich jedem Menschen gegeben, sofern er diese Freiheit als
solche wahrzunehmen und zu nutzen imstande ist.
Was ist Freiheit? Wir hatten hier schon beliebig darüber diskutiert und
ich hatte vor geraumer Zeit hier mein diesbezügliches
„Schlüsselerlebnis“ beschrieben. Neben allen möglichen philosophisch,
neurowissenschaftlich und sonstwie diskutierten Freiheitsbegriffen hatte
ich aus einer Stelle der apokryphischen Evangelien folgendes entnommen
(sinngemäß):
Jesus trifft am Sabbat einen auf dem Feld Arbeitenden, der zutiefst
erschrocken ob seiner nicht befolgten „Sabbatruhe“ vor ihm erstarrt und
umso mehr erstaunt dann Jesu Reaktion vernahm:
Wenn du genau weißt was du tust, bist du gesegnet; doch wehe wenn nicht
– dann bist du verflucht!
Wirkliches Wissen bedeutet also Freiheit, alles andere an Mutmaßung,
Ideologie, Dogmatik usf. bedingt Unfreiheit.
Absolutes Wissen um die Welt würde menschliches Leben jedoch unmöglich
machen, wie ich das hier schon beschrieben habe. So sollten wir nicht
das Vermögen eines Laplaceschen Demon herbeisehnen, unbeachtet der
Verlockung, damit den Gang der Welt nach Belieben vor- und und rückwärts
zu beherrschen, wie eben auch ein „zerdeppertes Glas“ ungeschehen zu machen.
Es wird uns bis auf weiteres nichts anderes möglich sein, als eine
überlebenstaugliche Balance zwischen den Polen, also der Dialektik von
Welt und Leben herzustellen und nach Kräften zu erhalten.
Der Kampf um diese Balance fordert aber fördert uns auch; es ist der
ganz alltägliche, unausweichliche Überlebenskampf Tag um Tag, Jahr um
Jahr, jedem persönlich angelegten Zeitpfeil des Lebens folgend. Dieses
endliche Alpha-Omega hat Gültigkeit ebenso wie die Unendlichkeit
kosmischen Geschehens.
Bester Gruß in die Runde! - Karl