Am Do., 9. Dez. 2021 um 01:10 Uhr schrieb K. Janssen <janssen.kja(a)online.de>de>:
Dass sie dennoch nicht (im vermeintlichen Gegensatz zu
Glaubenden) als grundsätzlich unmoralisch Handelnde gelten können ergibt sich alleine
schon daraus, dass Atheisten selbstredend im gleichen Maß über Vernunft verfügen, wie sie
prinzipiell allen Menschen gegeben ist und damit (wie ich meine) unabhängig von Religion
sowie dem Glauben an einen Gott die Notwendigkeit sittlichen Verhaltens erkennen und ggf.
aus freien Stücken danach handeln.
Demnach ziehen sie dann die falsche Schlussfolgerung, indem sie nicht
zum Glauben an einen Gott kommen.
Schopenhauer postuliert, dass alle Wahrnehmungen der
Lebenswelt Vorstellungen, damit letztlich objektivierte
Erscheinungsformen eines metaphysisch bedingten Willens sind, diesen
er als das Kant’sche „Ding an sich“ interpretiert; im Gegensatz zu
diesem sieht er im Menschen ebenso einen individuellen Willen
am Werk und definiert diesen als Erscheinungsform
eben des metaphysischen Willens.
In der Argumentation der "Welt als Wille und Vorstellung" (ein Buch,
dass ja durchaus argumentiert und versucht seine Sachbehauptungen
durch Argumente zu belegen) folgt die Erkenntnis des Willens als "Ding
an sich" nicht durch eine empirische Wahrnehmung im Sinne der
Naturwissenschaften, sondern wird Introspektiv gewonnen.
Der psychologische Wille des Menschen ist sozusagen eine
Erscheinungsform des metaphysischen Willens, ebenso wie ein Crossing.
Die schopenhauersche Metaphysik schließt abstrakt gesehen die Existenz
von höheren Wesen als den Menschen nicht aus, ebensowenig wie der
Buddhismus es tut, nur wären diese höheren Wesen eben ihrerseits nur
eine Emanation des Willens.
Das wäre jetzt aber beim Gott der meisten Rationalisten und den der
aristotelisch-thomaschen Tradition nicht der Fall. Dort ist "Gott" die
letzte Wirklichkeit. Die "erste Ursache" usw.
Den Platz hat bei Schopenhauer aber der Wille. Er kann einen Gott
insofern ausschließen, ein höheres Wesen nicht. Epikurs Theologie ist
dem verwandt.
Wobei ich mir über die Lehre Epikurs insgesamt auch schon eine Meinung
- oder besser gesagt: Vorurteil - gebildet habe.
Angelehnt an Kants „Ding an sich“ begründet
Schopenhauer
seine Vorstellung vom Weltwillen als den ultimativ existierenden
Weltgrund, sprach jedoch Kant in diesem Zusammenhang das
Vermögen ab, diesen Weltwillen als das „Ding an sich“ erkannt
zu haben bzw. diesen also solches zu werten.
Müsste ich jetzt noch mal durchlesen, aber der alte S. hat am Ende
seines Werkes einen Anhang geschrieben, in dem er darlegt, wieso der
von ihn verehrte Kant dennoch irrte.
Kants Verdienst war es für S., dass er überhaupt bis zum "Ding an
sich" kam. Der Rest des Weges war ihn AFAIR von einem Dickicht aus
religiösen Vorurteil und Rücksicht auf die "gute", konservative
Gesellschaft (mit ihren Sanktionsmöglichkeiten) versperrt.
Dieses Handeln erfolgt aus freien Stücken und nicht
unbedingt nur
aus dem eingeborenen empirischen Charakter resultierend.
Ich habe einmal in einer Sekundärquelle gelesen, wie man sich das
vorzustellen hat:
Der "intelligible Charakter" wählt "vorgeburtlich" den empirischen
Charakter. Insofern ist er für die Wahl die dieser trifft durchaus
verantwortlich.
Nur, dass man sich diese Wahl nicht so vorstellen darf, dass da eine
"Seele" die Wahl verschiedener Lebensläufe trifft. Zeit, auch
"Seele",
gehören zur Welt der Erscheinungen.
Das ist eine sehr schwer verständliche, vielleicht dunkelste Stelle.
Ein religiös Glaubender würde diesem unendlichen
Vorgang „willentlicher Willenssteuerung“ ein Ende setzen, indem er Gottes Willen als
letztentscheidende Instanz annimmt, was allerdings eine diesbezügliche Verbindung dieses
Menschen zu Gott und die Beachtung seines Willens voraus setzt. Dabei fragt sich, welcher
Mensch den Willen eines Gottes in allen erdenklichen Lebenslagen zu kennen vermag.
Das würde bedeuten, am Ende der "Willenkette" steht doch.
Doch widerspräche das erstens dem Freien Willen des Menschen, der im
Christentum fast dogmatisch ist, zweitens wäre Gott damit Letzturheber
aller Sünden.
(Was er als erste Ursache aber...?)
PS: Die Art des von Dir solchermaßen geführten Dialogs
finde sehr hilfreich, eigene Vorstellungen, Festlegungen etc. zu hinterfragen, d.h. diese
jeweils auf’s Neue mit dem pro und contra der ausgetauschten Argumente abzugleichen
Danke sehr.
Ich finde das in diesem Zusammenhang auch sehr nützlich.
Zwar denke ich immer noch, dass man solche Probleme wie die
Willensfreiheit von Theologischen Problemen trennen kann, aber falls
der Streit ausgefochten werden muss, dann bitte gemäß
strengstmöglichen Argumenten.
(...und zwar, weil solche Streits zu oft schon mit anderen Mittel
ausgestritten wurden...)
angelehnt etwa an Verfahrensweisen gemäß dem
Bayes-Theorem, wie
diese in der Informations- wie auch in der Erkenntnistheorie als
A Priori-A Posteriori-Distinktion angewendet werden.
Davon würde ich mich distanzieren. Das ist nicht das, was ich geschrieben habe.
Konkret bedeutet dieser Vergleich, die
Wahrscheinlichkeit für die Gültigkeit einer x-beliebigen Annahme bei Beachtung andersartig
gegebener Sichtweisen und unter Einbeziehung des eigenen Vorwissens zu evaluieren und sich
damit einer hinreichend mehrheitlich akzeptierten Faktizität der ausgetauschten Argumente
bzw. einem Minimalkonsens annähern zu können.
Es ist auf jeden Fall hilfreicher als den Streit eskalieren zu lassen.