Hallo Joseph,
du stellst verschiedenen Fragen, vielleicht darf ich mich auf eine
beschränken. Die Antwort ist dann zwar unvollständig, zerreisst aber
doch keinen Zusammenhang.
Am 21.10.2021 um 00:56 schrieb Joseph Hipp via Philweb:
4. Ist hier jemand, der dem Libet-Experiment misstraut? Wobei? Hier
scheint mir ein erklärender Aufsatz zu sein:
https://www.zhb.uni-luebeck.de/epubs/ediss2097.pdf, den ich noch richtig
lesen muss.
Wir unterscheiden bei einfachen Handlungen nur ausnahmsweise zwischen
Wollen und Tun (meines Wissens ist das zuerst Wittgenstein aufgefallen).
Wenn jemand gefesselt ist, kann er ohne Erfolg versuchen, die Fesseln zu
sprengen und sich zu bewegen. Wenn wir hören, jemand hätte so eine
einfache Handlung ausführen wollen, es sei ihm aber nicht gelungen,
fragen wir nach den Umständen. Wird uns dann gesagt, die seien ganz
normal gewesen, verstehen wir das nicht. "Wollen" bedeutet hier nur in
bestimmten Ausnahmesituationen etwas, wenn wir unterscheiden möchten,
wie jemand auf sie reagiert.
Wenn wir hier also meist gar nicht von wollen oder entscheiden reden,
welchen Sinn hat dann die Frage an den Versuchskandidaten, wann er sich
entschieden habe, den Finger zu heben? Man sieht ja, wann er es tut.
Man könnte immer noch zeigen, daß bestimmte "Erregungspotentiale", die
vielleicht, wie man durch Befragung des Kandidaten herausfindet, denn
man sieht es den Potentialen nicht an, mit Lust und Unlust
korrespondieren, erfahrungsgemäß vor der Fingerbewegung festzustellen sind.
Wäre das eine Widerlegung der Willensfreiheit?
Daß unsere Handlungen einiges mit Lust und Unlust zu tun haben und daß
fast alles erzwungen werden kann, wussten wir schon vorher. Undenkbar
sind Gegenbeispiele aber nicht und es gibt sie sogar tatsächlich, was
für die Geltung des Arguments aber nicht entscheidend ist.
Allerdings könnte man sich auch Gehirnstimulationen vorstellen (und es
gibt sie vermutlich auch tatsächlich), gegen die wir nichts tun können.
Das wäre dann ein ähnlicher Fall faktischer Unfreiheit wie der der
Fesselung oder des Einsperrens. Aber es sollte doch um prinzipielle
Unfreiheit gehen. Das sollte doch mit dem Libet-Experiment gezeigt werden.
Ähnliche Bedenken könnte man anmelden, wenn von prinzipieller, statt von
faktischer Freiheit die Rede ist. Soll mir doch mal jemand beweisen, daß
er rechts statt links hätte abbiegen können oder umgekehrt. Was sollte
man sich hier unter einem Beweis oder einer Widerlegung vorstellen? Und
verstehen wir, was behauptet wird, oder sind es nur leere Worte, wenn
wir nicht wissen, wie es bewiesen oder widerlegt wird?
Frei sind wir m.E. in dem Sinn, daß wir bis zu einem gewissen Grad und
mehr als andere Tiere unsere eigenen Drehbücher schreiben können.
Und hier, bei der Verfolgung von Zielen in mehreren Handlungsschritten
unterscheiden wir auch immer zwischen Absicht und Erfolg, weil so viel
dazwischen kommen kann.
Claus