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Am 03.11.2022 um 12:04 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
>
Moin moin Ingo,
vielen Dank für diese Zusammenstellung von Einsteins Bezugnahmen auf seine reliöse
Einstellung. Alleine darüber hier zu diskutieren, wäre eine sehr spannende Angelegenheit.
Einstein sprach von „kosmischer Vernunft“, Du von kosmischer Intelligenz. Da ist für mein
Dafürhalten kein Unterschied, oder wo würdest Du diesen sehen?
https://fortbildung-zeuthen.desy.de/sites2009/site_fortbildung-zeuthen/cont…
Mir ist keine wissenschaftliche Publikation bekannt, in der Einstein sich auf den Alten,
wie er ihn gerne ironisch nannte, bezog. Eine Ausnahme in der Wissenschaft bildet
vielleicht sein Kommentar zu einer Messung gegen die Gravitationstheorie in einer
Vorlesung an der Princeton University 1921: "Subtle is the Lord but malicious He is
not.“ Auf die Frage aber, was er damit meine, ersetzt er Gott durch Natur: „Die Natur
verbirgt ihr Geheimnis durch die Erhabenheit ihres Wesens, aber nicht durch List.“
Entscheidend bei dieser ganzen Diskussion um einen Gott ist doch, zunächst das
menschengemachte Gottesbild hintanzusetzen, um damit frei zu sein, das wirkliche Wesen
einer Entität, eben in deren „Erhabenheit“ zu erkennen. Das Bilderverbot des Dekalogs muss
hierzu erst genommen oder zumindest berücksichtigt werden.
Bei allem bislang hier zum Zufall Geschriebenen
fragt sich, warum überhaupt nach echtem und scheinbaren Zufall unterschieden werden soll,
wenn doch lebenspraktisch und auf technologische Relevanz bezogen, hinreichende Werkzeuge
zur Erzeugung von Zufallszahlen verfügbar sind. …
Die Radioaktivität vermittelt mir nach wie vor ein Gefühl des Geheimnisvollen und den
Ansporn, noch möglichst lange die Forschungen dazu bedenken zu können. Warum hast Du sie
in Deinen weitschweifigen Ausführungen zum Zufall ignoriert?
Moment mal, wie kommst Du darauf, ich hätte Radioaktivität in meinen Darlegungen zum
Zufall ignoriert?
Ich schrieb: Bei den hier betrachteten Molekülen handelt es sich um die Akkumulation
mehratomiger Teilchen als Quantensysteme der Mikroebene. Echter Zufall vollzieht sich
jedoch immer nur an der Einzelheit, also den Teilchen, deren Einzelereignis sich
grundsätzlich einer konkreten Beschreibbarkeit entziehen....
Daraus sollte abzuleiten sein, dass wirklicher, also sog. objektiver Zufall in der QM an
der Einzelheit eines (einzigen) radioaktiven! Atoms gegeben ist, dessen Zerfall, bezogen
auf die zeitliche Abfolge, prinzipiell nicht vorhersagbar und damit rein! zufällig und
eben nicht als ein Resultat beschreibbar ist.
Vermutlich sind meine Ausführungen bisweilen zu fachspezifisch und obendrein kompliziert
formuliert. Das sollte für Dich jedoch kein Problem darstellen, fordert aber auch Dich zu
gründlichem Lesen heraus. Mir geht es bei Deinen Beiträgen kaum anders, da sie i.d.R.
völlig redundanzlos gehalten sind i. ggs. zu meinen „weitschweifig“ angelegten. Bislang
konnten wir uns damit jedoch in hinreichender Tiefe verständigen.
Mein Zugang zu dieser Thematik liegt nicht so
sehr im Detail, sondern auf den wissenschaftlich nachgewiesenen Quantenwechselwirkungen,
wobei ein jeweils betrachtetes Quantensystem sich durch Dekohärenz (Manifestierung des
Quantensystems in eine bestimmte Basis von Eigenzuständen) mit seiner Umwelt interagiert
und sich entsprechend an diese anpasst. Der envariante Ursprung (durch spezifische
Umweltfaktoren beeinflusste Invarianz) der Bornschen Wahrscheinlichkeitsregel ändert die
Beziehung zwischen Un/wissenheit (und damit Information!) und der eigentlichen Natur von
Quantenzuständen.
Die Annahme einer Dekohärenz von Quantensystemen ist ja nur eine von vielen
Interpretationen. Was nimmt Dich für sie ein?
Schlichtweg die Tatsache, dass es sich so verhält. Wie anders sollte sich (praktisch
technologisch gesehen) die Funktion eines Qubits im Quantencomputer erklären?
Nur mit hohem technischen Auwand (Reinraum, extreme Kühlung etc.) lässt sich der kohärente
Überlagerungs-Zustand dieses Quantensystems aufrecht erhalten, um für diesen Zeitraum die
Rechenfunktion des Systems zu gewährleisten.
Also mit Verlaub: Dekohärenz ist löngst nicht mehr infrage zu stellen, sie ist
experimentell technologisch nachgewiesen und erprobt.
Weitaus weniger nachgewiesen sind jedoch z.B. biochemische prozessuale
Kohärenz/Dekohärenz-Zustände im Gehirn, wie in der Hameroff-Penrose These, wonach
Mikrotuboli in ihrer symmetrischen Struktur als Informationsspeicher und damit als das
Bewusstsein konstituierende Elemente angenommen werden.
Und wie hältst Du es mit der Arbeit von Pusey et al.
aus meiner Mail vom 30.10: "On the reality of the quantum state“? Im Gegensatz zum
informatorischen scheint Dir ein realistischer Blick auf die QM schwer zu fallen.
Pusey habe ich noch nicht gelesen, muss ja schließlich auch noch anderes tun, als über
Gott und die Welt nachzudenken. Grad kann ich kaum denken, nach einem arbeitsreichen
Tag😊🤭
It‘s all about information, dieses mein Motto treibt Dich wohl um, doch ich treibe Dich
noch dahin, damit Dir der Blick darauf weniger schwer fällt. Dass mein Blick auf die QM
nicht den bisher bekannten Realitäten entsprechen soll, mag Deine Einschätzung sein. Für
mein Teil habe ich eine Unsumme an Zeit verbracht, mich damit auseinandersetzen. Dass QM
bislang unvollständig oder gar in der gängigen Interpretation ungültig ist, weißt Du genau
wie ich. Du hast doch wie ich einige Dompteure der Szene gelesen, die das zum Ausdruck
gebracht haben.
Zweifelsfrei erweitere ich meinen Blick darauf auch in die Ebene der Metaphysik; zu Deinem
Missfallen, aber da kann ich Dir nicht abhelfen und Dir nur raten, entsprechende Beiträge
zu überspringen. Wäre insofern schade, als Du mir immer Gelegenheit gibst und
Notwendigkeit abverlangst, mich in entsprechende Themen zu vertiefen, um dabei immer
wieder Neues zu entdecken. Also bleibe im Boot, auch wenn es Dir bisweilen meta-physisch
bedenklich zu schaukeln beginnt.😯
Ein Geisterboot sozusagen, mind-bending.
Dabei handelt es sich bei Pusey et al. immerhin um ein
no-go-theorem, das Dich herausfordern sollte: "We show that any model in which a
quantum state represents mere information about an underlying physical state of the
system, and in which systems that are prepared independently have independent physical
states, must make predictions that contradict those of quantum theory.“
Ebenso mind-bending! Vermutlich, weil hier entsprechender Kontext fehlt. Denn hier ist
(mir zumindest) nicht ersichtlich, welcher Quantenzustand eines angenommenen Modells
vorliegt; nämlich dem der Kohärenz oder Dekohärenz. Im Zustand der Kohärenz kann keine
eindeutige Information (Heisenbergsche Unschörfe) über einen diesem Quantensystem
zugrundeliegenden physikalischen Zustand abgeleitet werden; doch wie gesagt, es fehlt
Kontext und ich sollte bei Gelegenheit mal von Pusey lesen.
In diesem
Licht erscheint mir Barads Annahme der Intra-Action, als einer der Materialisierung
vorgängigen Verschränkung zwischen Mikro- und Makrowelt, zwar ähnlich wie Zureks Theorie
der envariance (von „entanglement-assisted invariance“, also der durch
Quantenverschränkung gestützten Invarianz) als Basis der Materialisierung per
Quantendarwinismus und damit in beiden Denk-Modellen eine plausible Erklärung, wie die
klassisch physische Lebenswelt aus der Quantenwelt entsteht; die Konsequenz hinsichtlich
der Frage, ob die Welt determiniert oder per Zufall strukturiert ist, bleibt in beiden
Modellen vage verborgen. Daher neige ich eher zur de Broglie-Bohmschen Theorie, modulo der
grundsätzlich gültigen Elemente der Denkmodelle von Barad und Zurek.
Das Thema wird uns noch weiterhin beschäftigen.
„Annahme der Intra-Action, als einer der Materialisierung vorgängigen Verschränkung
zwischen Mikro- und Makrowelt“ ist doch bloß Jargon.
Warum das denn?
Barads Vorstellung von Intra-Action ist entgegen der üblicherweise als Interaktion
bezeichnete Wechselwirkung eine „Intra-Handlung“ zwischen Elementen oder Körperlichkeiten,
deren Eigenschaften der Intra-Action vorgängig festgelegt sein müssen bzw. bereits
festgelegt sind. Das ist eine durchaus ernst zu nehmende Annahme, eine These, die es zu
falsifizieren gilt. Nicht mehr, nicht weniger.
Was soll denn das heißen? Dass Mikro- und Makrowelt
verschränkt sind wie die Quanten in den EPR-Experimenten?
Exakt so habe ich das zunächst bei ihr verstanden und diese Vorstellung kam meinem
Weltbild entgegen, insoweit ich die Mikrowelt eben nicht nur als chaotische Ansammlung von
Elemtarteilichen im Überlagerungszustand, sondern (wie könnte es anders sein) auch als
holografisch strukturierte immaterielle Informationsfelder (Bohms Holomovement) sehe. In
der Intra-Action mit Materie ergibt sich dann „Matter and Meaning“ als untrennbare Einheit
(als Ganzheit) solange diese als solche existiert.
Die Holobewegung ist Kernaussage in David Bohms Interpretation der QM und ist elementar
kennzeichnend für sein ganzheitliches Weltbild (Du kennst es, aber ich erwähne es explizit
für ggf. Mitlesende).
Bohm verbindet die Idee des Holomovement mit der Vorstellung einer ungeteilten Einheit
(vielleicht sogar in Anlehnung an Soinoza), also ein ganzheitliches Prinzip von
Weltgeschehen, im dem sich alles nach dem Gesetzt einer impliziten Ordnung im permanenten
Prozess des Werdens und Vergehens befindet. Insoweit lässt sich dieses Denkmodell mit
Barads Vorstellung verbinden, eben von einer in sich verschränkten Aktion zur
fortwährenden Matrialisation in der untrennbaren Verbindung von „Matter and Meaning“ als
untrennbare Einheit. Beiden Denkmodellen gemeinsam ist die „Ganzheit“ als ein
Grundprinzip: das EINE. Um es in Anlehnung an C.F.v. Weizsäcker auszudrücken: die
Verschränktheit des VIELEN mit dem EINEN sowie vice versa das EINE im VIELEN. Das lässt an
Spinoza denken.
Gibt es einen entsprechenden Formalismus dafür, der
testbar wäre?
Den Formalismus hat Bohm mathematisch beschrieben, wie Du es auch weißt. Sein Buch „Die
implizite Ordnung“ hingegen ist sehr allgemein gehalten - ich habe es kürzlich nochmal
überflogen und festgestellt, dass mir seine Idee besser gefällt, als die Darlegungen in
diesem Buch (vielleicht liegt es auch an der Übersetzung, da ich es nur als deutsche
Ausgabe 7/89 habe). Nun ja und auch Barads „Meeting the Universe halfway“ bietet m.E.
keinen geschlossen dargestellten Formalismus.
Doch dIe Frage dabei ist: müssen alle Denkmodelle sogleich in „wasserfeste“ Formalismen
gegossen werden? Was und wem nützen abertausend abgefasste wissenschaftliche Dokumente,
Papers usf., wenn nicht „Hirn und Herz“ bereit sind, diese zu begreifen.
Demgegenüber bezieht sich Kastner auf ihre
stochastisch erweiterte Absorbertheorie und hat mir bereits die Broglie-Bohmsche Theorie
madig gemacht. Ob sich ihre Handshakes mit den Intra-Actions zusammenbringen lassen, ist
noch offen.
Das hört sich spannend an. Hast Du diesbezüglich Literaturhinweise?
Bester Gruß! - Karl