Waldemars zuletzt hier gegebene Erklärung des Unterschieds zwischen „Christengott“ und
„Judengott“ ist es allemal wert, diese aus philosophischer Sicht zu erörtern; einerseits
weil eine genuin theologische Deutung ohnehin auch eine philosophische wäre, andererseits
weil es dabei exakt um das Motto des „leben und leben lassen“ geht.
wh: man sollte vielleicht nicht den "judengott" mit dem christengott in
verbindung bringen oder gar gleichsetzen, denn der judengott besteht aus
"buchstaben", also dem, das zb karl, original als "nur information"
bezeichnen würde, während der christengott samt anhang aus gegenständlichkeiten besteht =
jesus, heiligen, figürchen, madonnen usw - es gibt im jüdischen das bilderverbot "du
sollst, du kannst, dir kein bild von "jawe" machen, auch in deiner vorstellung
nicht", während es im christlichen genau umgekehrt ist, da wird gott auf alle
möglichen weisen verbildlicht, um ihn vermeintlich be-greifen zu können,
"anfassbar" werden zu lassen […]“
Im Kern ist es vergeblich, den einen gegen einen anderen Gott zu setzen, da es im Sinne
einer angenommenen, über allem Körperlich-Sinnlichen residierenden Wesenheit, diese nur
als ein EINES gedacht werden kann. Daher eben auch die im Dekalog überlieferte Aussage:
Ich bin dein Gott, du kannst keine anderen Götter neben mir haben. So können die
theologischen Auslegungen, sowohl des „Judengottes“ wie auch des „Christengottes“ nur auf
diesem EINEN gründen und somit liegt das Problem dieses Schisma - wie immer – in der
anthropomorphen Sicht darauf.
Auch die Israeliten jener Zeit konnten Gott, als den Gott ihres Volkes Israel, JHWH, nicht
begreifen und schufen sich Abbilder, tanzten um das „goldene Kalb“. Daher eben die von
Mose überlieferte Gottesrede des Dekalogs, als unmittelbare Ansprache Gottes an sein Volk,
um darin seinen Willen für ein gedeihliches Zusammenleben dieses Volkes auszudrücken, was
nur bei allgemeiner Beachtung von Verhaltensregeln gelingen kann.
Wenn Waldemar zuletzt hier (den aktuell stattfindenden) Krieg und alle weiteren als die
„heutige perversion“ in Fortsetzung des alten "scharmützels" zwischen Kain und
Abel bezeichnet, zeigt das doch geradewegs, dass diese Perversion unter Beachtung der
Verhaltensregeln des Dekalogs nicht stattfinden würde. Und über das Ausmaß dieser
Perversion hatte ich zuletzt geschrieben, bezogen auf den von Russlands Kyrill erhobenen
imperialistischen Anspruch, als Perversion schlechthin von einem „Gottesmann“ gefordert.
Jesus von Nazareth hat (den Evangelien des NT folgend) das „Regelwerk“ des Dekalogs aus
der kasuistischen Auslegung der pharisäischen Schriftgelehrten wieder an das herangeführt,
was schon im antiken Griechenland in Aristoteles‘ zehn Kategorien (angelehnt an Platons
ewigen Ideen als Grundprinzipien) zum Ausdruck kommt.
Und da geht es eben um Leben und dessen individueller wie vornehmlich kollektiver
Ausformung, wonach gutes Leben in drei Lebensformen mit unterschiedlichen Zielrichtungen
definiert ist: Dem Genussleben auf (Lebens-)Lust abzielend, dem politischen Leben mit dem
Ziel, Ehre zu erfahren und (nicht zuletzt) ein intellektuelles Leben mit dem Ziel der
Erkenntnisgewinnung.
Selten wird es Menschen gelingen, alle drei Lebensformen in idealer Weise für sich zu
verwirklichen. Immer wird die jeweils individuelle Disposition, das persönliche und
gesellschaftliche Umfeld den Lebensweg bestimmen und begleiten.
Für mein Teil würde ich mich vorzugsweise der Kategorie der Verstandestugend, also des
intellektuellen Lebens als der für mich besten Lebensform zuwenden: Vorausgesetzt
hinreichende Muße, die Zeit und Raum lässt für Erkenntnisgewinn, sei es mit den Methoden
der Philosophie, Naturwissenschaft oder eben der möglichst (von Theorien, fixierten
Denkmustern und Ideologien) unverstellten Sicht auf Gott und die Welt. Diesem Ansinnen
steht allerdings sehr viel unausweichliche Lebensrealität aber immer auch der ureigenste
Dissens zwischen spekulativer, theoretischer und lebenspraktischer Vernunft entgegen.
Zurückkommend auf Waldemars aus „Buchstaben“ bestehenden „judengott“, die ich (seiner
zutreffenden Meinung nach) als pure Information bezeichnen würde, ist das der
entscheidende Part meiner Sicht auf ein Göttliches, die entsprechend Aristoteles‘
Kategorie des theoretischen Lebens das Erkenntnisvermögen des Menschen prinzipiell
übersteigt. Damit bleibt alles diesbezüglich Gedachte und Gesagte pure Spekulation,
sophistische wie theologische Ausdeutung und damit im Grunde nichts als ein
anthropomorphes Gottesbild. Das führt unweigerlich wieder zurück auf Bonhoeffers Aussage:
„Den Gott, den es gibt, den gibt es nicht!“
Solchermaßen in diesem gedanklichen Kreis gefangen, erhebt sich immer wieder die Frage,
warum es nicht gelingen kann, aus diesem Kreis auszubrechen, diese Schranke zu
durchbrechen. Womöglich ist eine gültige Antwort durch Du Bois-Reymond gegeben, der von
unüberwindbaren Grenzen der Erkenntnis von Natur (sowohl irdisch als auch übersinnlich)
ausgeht. Dennoch steht außer Frage, dass der jeweilige Durchmesser dieses Gedankenkreises
oder (anders ausgedrückt) die Interpretation der Platon‘schen Schattenwürfe immer noch
keine Begrenzung erkennen lassen.
Somit würde ich David Hilbert zustimmen, der sich dem „Ignoramus et ignorabimus“ mit dem
Ausspruch "Wir müssen wissen. Wir werden wissen." entgegen stemmte.
In diesem Sinne werde ich nochmal über Waldemars „Buchstaben-Gott“ nachdenken und hier
beizeiten dazu schreiben.
Apropos schreiben. Es ist ja wahrhaftig genug geschrieben über alle diese - auch hier in
philweb erörterten und diskutierten - Themen. Warum also auch nur ein Wort noch, einen
Satz mehr hinzufügen?
Womöglich ist es doch immer wieder die Lust am „leben und leben lassen“, die sich durch
kaum einen anderen Mittler als der Philosophie ausdrücken lässt. Jede gute Literatur ist
Philosophie, wobei deren Verdichtung die eigentliche Kunst ihres Ausdrucks ist. Das
wussten (längst nicht nur) Goethe und Schiller zu vermitteln. Ersterem wird zugeschrieben,
dass er am Ende eines zu lange geratenen Briefs um Nachsicht bat: Entschuldige die Länge,
zur Kürze fehlte mir die Zeit (sinngemäß).
„Philosophie ist die Erinnerung an das, was wir schon immer wussten“; diese Behauptung
hatten wir kürzlich hier thematisiert. Und darum geht es auch hier in philweb: Aus der
Unzahl von (mehr oder weniger wertvollem) Schriftgut, stets auf‘s Neue die Erinnerung an
Sinn und Zweck jedes einzelnen -und damit auch des eigenen Lebens - wachzurufen. Das ist
ein lohnenswertes Telos, unabhängig davon, ob und wie viele Menschen eben dieses (und
somit auch ihr eigenes) Leben als sinn- und zweckfrei betrachten. Der Sinn des Lebens ist
nichts als leben, ganz im Sinne von „leben und leben lassen“.
Um es also halbwegs kurz (und damit eben auch irgendwie lesbar) zu halten, hier erst mal
ein „break“.
Bester Gruß in die Runde! - Karl
PS: welche Runde grüße ich da? Am Ende ist alles hier (ob lang oder kurz) Geschriebene „in
den Wind gesprochen“.