Am 12.03.2020 um 14:40 schrieb Ingo Tessmann via Philweb:
  [Philweb]
 Hi Waldemar,
 Du erinnerst mich mit Deiner nimmermüden Schaumschlägerei für die WW an die dialektischen
Betonköpfe der 1970er; wobei Dialektiker sich nicht selten auch als Wechselwirker
bezeichneten. Aber was ist daraus geworden? Schon Engels hatte die Dialektik in der Natur
gesehen, sie aber 1895 unvollendet hinterlassen. Und Havemann hat sie 1964 wieder ohne
Dogma gedacht. 2018 war ihr anlässlich des 200-jährigen Geburtstages Marxens gedacht
worden und in diesem Jahr wäre sein Lehrer Hegel 250 Jahre alt geworden. Nach Hegel soll
das Bedürfnis zu philosophieren ja einer Krisensituation erwachsen. …
 
Waldemars perennierende Hinweise auf Wechselwirkungsmechanismen allen 
Lebens prägen (ja „hämmern“) uns das essentielle Faktum dieser 
Interaktionen förmlich ein.
Und so hat wohl (nahezu) jeder hier sein Lieblingsthema. So auch ich: 
wie förmlich eingeprägt, bringt es mein „It‘s all about information“ in 
den Vordergrund. Wechselwirkung ist längst nicht nur blind 
selbstorganisierendes Prozessgeschehen intrinsischer Lebenserhaltung, 
sondern insbesondere formgebende Interaktion, ist „In-Form-bringen“ von 
Energie/Materie.
Dazu möchte ich gerne aus Ingo Tessmanns bemerkenswerten Beitrag zur 
Kopenhagener Schule zitieren (es lohnt, diesen ganz zu lesen!)
(
https://www.tuhh.de/ rzt/rzt/it/kritik/node7.html)
/"Alle Dynamik ist Wechselwirkung. D.h. physikalisch interpretiert 
stellt der Raum die Wechselwirkung zwischen den Uren her. Damit folgt 
ur-theoretisch die spezielle Relativitätstheorie aus der Quantentheorie. 
Philosophisch gesehen hat Weizsäcker den Positivismus der Kopenhagener 
Interpretation auf die Spitze getrieben, indem er die 
Ja-Nein-Entscheidungen beim Messen zur Grundlage seiner Theorie gemacht 
hat.//
//Allerdings läßt die Ur-Theorie auch eine materialistische Lesart zu. 
Letztlich ist es die Energie, die informiert, indem sie sich in Form 
begibt, ausdifferenziert und als qbit zugleich Inhalt und Form, Energie 
und Information ist."/
Alles Leben und Erleben ist Wechselwirkung als sich ständig ereignende 
Voraussetzung jeglicher raumzeitlichen Existenz. Existenz ist 
Interaktion,  ist Austausch von Information. Doch wie vollzieht sich, 
was initiiert derartige Interaktion? Was soll, muss oder kann sie (außer 
eben diesen selbstorganisierenden autonomen Prozessabläufen zum 
physischen Lebenserhalt) bewirken?
Natürlich kommt dem quantenfeldtheoretischen Formalismus erst durch 
Wechselwirkungen Bedeutung zu (Hamilton-Operator in der zweiten 
Quantisierung, etwa ein Atom mit vielen Elektronen - potentielle Energie 
der Coulomb-Wechselwirkungen der Elektronen mit dem Atomkern). 
Bemerkenswert dabei ist das Gleichgewicht zwischen den Entstehungs- und 
Vernichtungsoperatoren der Terme, d.h., dass die Gesamt-Teilchenzahl und 
damit auch die damit verbundene Information konstant bleibt. Wenn man 
die Gültigkeit dieser Gesetzmäßigkeit von der Mikrowelt auch auf für die 
Makrowelt annimmt, bleibt der Betrag an Energie/Materie/Information über 
alles gesehen gleich. Was sich uns also im „Ozean des Lebens“ als 
Bewegung (als das Leben schlechthin) zeigt, ist ein ständiger „Sweep“ 
vornehmlich an der Oberfläche (Foam). Damit wird klar, das die uns real 
aufscheinende Wirklichkeit eigentlich Illusion ist. Fundamental 
angenommene Parameter, wie etwa die Zeit, verlieren geradezu am 
„Fundament“ (Quantengravitation) ihre Relevanz. Die ungeheuerlich 
empfundene Unendlichkeit findet (quantenmechanisch gesehen) mit der 
Planck-Länge ihre tröstliche Endlichkeit: Es bleibt unfassbar große, 
unendliche Endlichkeit!
Sei es drum: Unsere Lebenswelt ist und bleibt mal glücklich, mal 
unglücklich zu erlebendes Phänomen. Man kann sich mit dieser Erkenntnis 
zufrieden geben und sein Leben solchermaßen damit fortbringen. Für nicht 
wenige jedoch bleiben dennoch zu viele Fragen nach dem Warum und Wie des 
Lebens offen. Unzählige Überlegungen, Hypothesen, Theorien, festgehalten 
in unüberschaubarem Schriftgut, zeugen davon, dass sich Menschen seit 
jeher (soweit wir darauf zurückblicken können) mit dieser Frage 
beschäftigen und vermutlich noch geraume Zeit damit verbringen werden. 
Jedenfalls ist man noch weit davon entfernt, diesbezüglich auch nur 
annähernd über hinreichend abschließende Erkenntnisse zu verfügen. Das 
wurde mir wieder klar vor Augen geführt als ich vor kurzem aktuelle  
Bücher von Rovelli (Reality is not what it seems) und Smolin (Einstein's 
Unfinished Revolution) gelesen hatte. Nebenbei: Interessant, dass Ingo 
grade aktuell auf diese beiden Physiker verweist:
  Der Strukturreichtum der Mathematik ist
unerschöpflich. Im Vergleich damit sind die Quantenmechaniken oder die Thermodynamiken der
Schleimpilze geradezu trivial, aber reichhaltig genug, um mit den vielen
Experimentalergebnissen übereinzustimmen. Sollte nicht auch ein Relationalismus darin
Platz finden? Den gab es bereits bei Leibniz und in neuerer Zeit haben beispielsweise
Badiou (Das Sein und das Ereignis), Rovelli (Relational Quantum Mechanics) und Smolin
(Temporal relationalism) wieder daran angeknüpft. Wenn Du die nicht zu verstehen suchst,
solltest Du es besser zu machen versuchen; denn die ständige Wiederholung bloßer gleicher
Ahnungen und Ansätze langweilt.
 
Zur Mathematik lässt sich sagen, dass sie als „Sprache der Natur“ (neben 
kunstvoll literarischer Dichtung) die einzige Möglichkeit ist, mit ihrem 
Strukturreichtum eben auch jenen der Natur „sprachlich“ abzubilden. 
Nicht mehr – nicht weniger!
Wer jedoch mit Mathematik weniger „am Hut hat“ , muss nicht an der Welt 
verzweifeln, denn auch Einstein war durchaus kein Mathe-Genie, sein 
Genius lag ganz offensichtlich in seiner Fähigkeit, elementare 
physikalische Zusammenhänge intuitiv erfassen zu können; diese dann 
hinreichend mit mathematischer Symbolik darzustellen, war ggf. mehr 
Fleiß- als brillante (Mathe-)Arbeit.
Wir alle können Physik auf geniale Weise intuitiv erfassen und danach 
(zumeist unbewusst) handeln, anders wäre Alltagsleben schlicht unmöglich.
Will (oder soll z.B. als Student) man jedoch über das Alltagserleben 
hinaus erfragen, erforschen, lernen, was sich hinter eben diesem 
verbirgt, heißt es in die Tiefen der Wissenschaftswelt einzudringen.
Auf von Mühsal und Lust gleichermaßen gepflasterten Wegen kann man z.B. 
dann Smolin folgen, bei seiner umfassenden Darstellung von im 
Wissenschaftsbetrieb vorherrschenden Theorien und Denkmodellen. Immer 
auch im Kontext von General Relativity beginnt seine Geschichte mit den 
Anfängen der Quantentheorie mit  Bohr, Heisenberg, Jordan, Schrödinger 
und natürlich Einstein über viele weitere namhafte Forscher (u.a. 
Bolzmann, Dirac, de Broglie - spez. pilot waves, J. von Neumann, 
Everett, Wheeler, Feynman, Bohm, Hawking, Bekenstein, Penrose, 
Sorkin/Dowker; aber ebenso ein mir sehr gelegener Bezug auf Leibniz‘ 
Monaden) bis zur augenblicklichen Szene etwa der 
Loop-Quantengravitation, Smolins ureigenes Fachgebiet.
Das hier erwähnte Buch, für meine Begriffe nüchtern stringent aber auch 
sehr komplex verfasst, unterscheidet sich signifikant von Rovellis Art, 
diese schwierigen Zusammenhänge darzustellen: Weitaus poetischer, 
philosophischer und umfassender sein Ansatz mit dennoch präzise 
formulierter Wissenschaft. Sehr zu empfehlen für uns hier philosophisch 
interessierte in philweb.
"Die Wahrheit liegt in der Tiefe". Diesen von Rovelli zitierten 
Ausspruch Demokrits folgend, müssen wir noch kräftig in die Tiefe 
tauchen. Einige geübte "Taucher" haben sich einer durchaus erstaunlichen 
Sichtweite auf diese "Wahrheit" genähert. Und so üben wir weiter, 
tauchen ab und auf, um zu erforschen und uns darüber auszutauschen.
Bester Gruß in die Runde! - Karl
PS: zu Rovelli findet sich viel Wissenswertes im inet. Wer sich etwas 
näher mit Smolin beschäftigen will, könnte im inet suchen und ein pdf 
finden: Lee_Smolin-Three_Roads_to_Quantum_Gravity-Basic_Books(2002).pdf
Weiterhin Vorlesungen von R. Sorkin/F. Dowker zur (mich faszinierenden) 
Causal Set Theory:
PERIMETER INSTITUTE RECORDED SEMINAR ARCHIVE (
http://pirsa.org/C10020).