Am 09.08.2019 um 19:14 schrieb Claus Zimmermann via Philweb:
Soweit Neigungen in den Hintergrund treten sollen, was
im
Erwachsenenleben ja häufig nicht zu vermeiden ist, ist man wieder bei
den Ansichten, die den Begriff “willkürlich” ausfüllen und der Frage, ob
man sie sich zu eigen macht.
Fußnote:
^1 Nietzsche, Ein Verdacht gegen die Moralbegründung, 1888: Es würde uns
Zweifel gegen einen Menschen machen, zu hören, daß er Gründe nöthig hat,
um anständig zu bleiben: gewiss ist, daß wir seinen Umgang meiden. Das
Wörtchen “denn” compromittirt in gewissen Fällen, man widerlegt sich
mitunter sogar durch ein einziges “denn”. Hören wir nun des Weiteren daß
ein solcher Aspirant der Tugend schlechte Gründe nöthig hat, um
respektabel zu bleiben, so giebt das noch keinen Grund ab, unseren
Respekt vor ihm zu steigern. Aber er geht weiter, er kommt zu uns, er
sagt uns ins Gesicht: “Sie stören meine Moralität mit Ihrem Unglauben,
mein Herr Ungläubiger; so lange Sie nicht an meine schlechten Gründe,
will sagen an Gott, an ein strafendes Jenseits, an eine Freiheit des
Willens glauben, verhindern Sie meine Tugend...Moral: man muß die
Ungläubigen abschaffen, sie verhindern die Moralisierung der Massen.”
[Philweb]
Was verstehen wir unter Gerechtigkeit?
Hallo Claus, Hallo ins Philosophennetz:)
schöner Text, Begriffe, die "unser" altvorderes Moralgerüst
mit einfachen, leicht zu fassenden Bedeutungsinhalten
quasi als Stabilitätsmodule seit jeher statisch im Gleichgewicht
halten.
Zuerst machen wir vielleicht mit der Gerechtigkeit
Bekanntschaft,
wenn das andere Kind eine Tafel Schokolade geschenkt kriegt, wir
aber nicht.
Schokolade ist Schokolade, ist Schokolade.
(eine Tafel "Noisette" hat bei mir eine Lebenserwartung von ca.
5 Minuten); unerheblich ob nun geschenkt (selten) oder an der
Tanke käuflich erworben. Mein Gerechtigkeitsempfinden, mein
"Moralgerüst" ist eher ein löchriges Lumpenproletarier
Gewand, in den vielen verflossenen Wintern schäbig und
unansehnlich geworden. Sehe ich eine geschenkte Tafel
Schokolade hinter einer fremden Kauleiste verschwinden
empfinde ich jedoch nicht den Drang, ebenjenes Nahrungs-
einfüllungskörperteil des betreffenden Gegenübers
in kleine, blutverschmierte Fetzen zu zerdeppern.
insofern ist meine "gerechtigkeitskenntnisnahme" durch meine
langandauernde de-sozialisierung durch meine Miterdenbewohner
etwas anders gelagert.
Allerdings hat gerade dein Aufhänger "Gerechtigkeit" in mir
eine schon des längeren klingende Saite angeschlagen, die
ich schon lange mal näher betrachten wollte.
folgender Fall aus dem richtigen Realen Leben mit realen
tasächlich so geschehenen Vorgängen bewegt mich zu den folgenden
Textzeilen.
Wir kriegen einen Wutanfall.
oh, ja. wenn das eigene Wertesystem an der Basis angebissen
wird, dann ist schnell Schluss mit lustigem Moralgedöns,
dann gehts ans Eingemachte.
zur Sache:
ein langjähriger "Freund+Mitarbeiter", dem ich schon in
Salzgitter-Zeiten viele lukrativen Scheisshaustrennwand-
Montagebauaufträge verschafft habe-,er war einer der 20
Monteure einer Firma im Remstal die Sanitärtrennwände
hergestellt und mittlerweile wegen einem unfähigen, sich
selbst per "Strick um Hals" entleibten NachfolgeChef
pleitegegangen ist, hat von mir meinen Ford Mondeo
samt Spezial-Trennwandbau-Anhänger unentgeldlich ohne
weiteres zur Verfügung gestellt bekommen. (zu der Zeit /
bis heute befand/Findet sich mein Führerschein in Einzelhaft
im Landratsamt Waiblingen wegen überschrittener Punktezahl
(Flensburg). Ich habe also weder mit KFZ noch Hänger
etwas anfangen können und dachte mir, mein geliebeter Freund
und Kupferstecher kann die Teile gerne so lange haben
bis ich meinen Lappen wiederhabe.
heute kann ich nur den Kopf schütteln über soviel
Naivität. kein schriftlicher Vertrag, keine Abmachung, wie
lange, keine detaillierten Übereinkünfte wer für Steuern
und Versichung+ Reparaturen aufkommt, nein: einfach so.
(aus moralisch meiner Ansicht nach "Freundschaft" zu
nennenden Gesinnung).
Die Lage verschärfte sich für mich dann in der Folge:
ich hatte einen Fahrradunfall (glücklicherweise als
Arbeitsunfall -Auf dem Weg von der Arbeit nach Hause-
und nach einem Salto vorwärts mit Rad über das Vorderrad
in Längsrichtung nebst Aufschlag mit linken Ellbogen auf
Asphalt wegen panisch angezogener Vorderradbremse da ich
dachte ein einscherendes Auto würde mich auf die Hörner
nehmen.
2 Schrauben (M5, Spax?)3,0x45 aus Titanlegierung durchs
gesplitterte Gelenkköpfchen und ca 2,5 Monate Gips, Reha
und -wie bereits bemerkt Geld von der Berufskrankenkasse.
in dieser Zeit lief die Insolvenz der Firma bei der ich
mittlerweile als Techniker und "Feuerwehrmann" fürs Grobe
und Feine angeheuert hatte.
Thema Gerechtigkeit auf der Ebene von mittelständischen
Betrieben, die Vernetzung von judikativer und exekutiver
Gewalt in Punkto Insolvenzverfahren wäre hier auch noch ein
Nebenthema, zu dem ich meine äusserst abfälligen Bemerkungen
jedoch lieber für mich behalte.
Jener Freund und Mitarbeiter also fuhr seine bundesweiten
Montageaufträge mit dem von mir ausgeliehen Gespann; alles
in allem ca. 14.000 km und verdiente seinen gerechten Lohn.
bei einigen seiner Baustellen bin ich mitgefahren und habe
im Rahmen der Nach-bar-schaftshilfe seine Unzulänglichkeiten
vor den Augen der Endkunden professionell mit gestalterischen
Spezialeffekten unkenntlich gemacht.
diese Nachbarschaftshilfe wollte der feine Herr nach ca
2 Monaten nicht mehr in Anspruch nehmen und meldete sich einfach
nicht mehr bei mir, telefonieren sinnlos. Brieftauben
wurden über offenem Feuer gegrillt.
Die Tage und Wochen gingen ins Land und nur so aus
"Gerechtigkeitsempfinden" habe ich den sauberen Herrn
wegen Unterschlagung bei der zuständigen Polizeibehörde
angezeigt.
Was die zuständige Staatsanwaltschaft dann vermutlich doch
als etwas übertriebene zusätzliche Arbeitsbelastung empfand
und das Verfahren im Handumdrehen einstellte.
das fand ich ungerecht.
3 monate später erhielt ich von dem freundlichen Herrn
mit meinem Gespann eine SMS:
"Wann holen Sie endlich ihren Wagen ab? oder sie schicken mir
den KFZ-Brief, damit ich den Wagen nach Polen verkaufen kann.
den Anhänger erhalten Sie wenn Sie die Reperatur der Kupplung
bezahlt haben."
das fand ich "etwas" empörend und auch ungerechtfertigt.
mit einem Bekannten und einem zweiten Bekannten der einen
gültigen Führerschein besass fuhr ich dann ins ca 75 km
entfernte Kuhdorf nahe Ellwangen und wollte KFZ und Hänger
wieder in meinen Besitz überführen. nur so der Gerechtigkeit
halber.
Der Wagen stand nicht abgeschlossen vor dem Haus des edlen
Herrn, der sich als unabkömmlich bei einer Wahl als Wahlhelfer
befand (Bundestag? Landtag? irgendwas demokratisch einwandfreies)
der Anhänger etwas versteckt und schwer freizukriegen
dahinter.
Das Auto liess sich auch mit ADAC-Unterstüzung nicht
zum Anspringen bewegen und so verbrachten wir den nutzlosen
Haufen Autoschrott auf öffentliches Gelände mit Friedhofsanbindung
und Parkmöglichkeit; in der Absicht später mit einem Auto-transport
Anhänger die Dieseldreck-CO2-Weltuntergangsmaschine abzuholen.
den Hänger schoben wir über eine Wiese ins Freie und mein Bekannter,
dessen Name und KFZ-Kennzeichen ich leider nicht mehr erinnerlich habe
war so nett und überführte den Hänger dann schlussendlich nach
meinem Domi-ziel an der Rems.
Tags darauf erhielt ich von dem gerechtigkeitsempfindlichen
sauberen Herrn dann eine weitere SMS mit dem Inhalt:
"ich brauche deine Adresse, damit ich dich anzeigen kann wegen
Fahren ohne Führerschein"
das fand ich nun nicht nur ungerecht, sondern geradezu
unverschämt.
ich schrieb ihm zurück:
"du schuldest mir noch 850 Euro für die Montagearbeiten,
bist mit meinem Auto+Hänger für lau 14.000 kilometer
auf Montage gefahren: das Auto ist Schrott
was würdest du mit so einem Ars....ch machen?"
und holte dann den Wagen wie beschrieben eine Woche später
ins Remstal, wo mir eine freundliche Fordwerkstatt bestätigte
dass die Karre wirtschaftlich gesehen nur noch die Alufelgen
wert ist.
das empfand ich auch als ungerecht.
Da wird uns jemand vorgezogen!
Das ist das Schlimme, nicht ein ungestillter Appetit
auf
Schokolade, der mit uns durchgeht. Die Schokolade und den
Appetit hatte man ja unmittelbar vor dem Wutanfall auch nicht.
Wenn wir keine Sonderrechte in Anspruch nehmen wollen
und die
gleiche Empfindlichkeit im nächsten Schritt auch anderen zugestehen,
haben wir einen - allerdings noch sehr anfängerhaften -
Gerechtigkeitssinn entwickelt.
Anfängerhaft, weil wir später auch von Gerechtigkeit reden,
wo es keine Präzedenzfälle gibt, etwa bei juristischem Neuland.
Das Wesentliche an der Gerechtigkeit ist auch nicht
die Gleichbehandlung, denn man könnte ja auch immer
in gleicher Weise ungerecht handeln
und behandelt werden.
diese Äusserungen sind sehr speziell auf Schokolade bezogen.
greifen aber semantisch weit über das schlichte Wesen dieser
süssen Unverschämtheit nahmhafter Hersteller naturähnlicher
Lebensmittel tief in die Trickkiste der neuen Weltordnung
für die bestimmungsgemässe Verwendung der Zellkombination
"Mensch, selbstbeweglich" und lassen ein unendliches "Mehr"
dahinter vermuten.
aber nun gut, genug getastet,
verzeit mir meine aufdringlichen seiten übergreifenden
Gedankensprünge und seid bedankt für eure gelassene
Aufmerksamkeit.
mit freundlich gemeinten Grüssen
aus dem Remstal
ingo