Am So., 9. Feb. 2025 um 11:11 Uhr schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
ja, für Kant war Vernunft wichtig, aber wurde er nicht
primär durch Humes Analyse der Kausalität aus seinem „dogmatischen Schlummer“ geweckt, wie
er in der Vorrede zur „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als
Wissenschaft wird auftreten können“ schrieb?
Ja, das ist richtig.
Ich persönlich glaube aber, dass Kant auch durch seine Arbeit über den
"Geisterseher" Swedenborg dazu inspiriert wurde, sich mit der
Funktionsweise des menschlichen Verstandes und den Grenzen der
Erkenntnis zu beschäftigen.
Leider habe ich die Literaturstelle vergessen, aber eine
vielversprechende Autorin wies darauf hin. Kant war sozusagen
"psychiatrisch" motiviert, seine Kritiken zu schreiben.
Nach meinem Verständnis kritisierte Kant Hume mit dem
Vorurteil von der Wichtigkeit der Vernunft.
»Die Nachwelt konnte Humes Position so nicht akzeptieren und zwar aus
zwei Gründen: (a) Da sehe viele, auch durchaus intelligente und
gebildete Menschen das Gefühl haben, dass wir sehr wohl zu
Induktionsschlüssen berechtigt sind und (b) Humes Vorschlag, dass es
sich bei der Induktion nur um eine Gewohnheit handelt, so nicht
zufriedenstellend wirkt.
Grade Naturwissenschaftler neigen dazu, das Induktionsproblem als
empirisch entschieden zu betrachten. Das ist aber theoretisch
ungültig:
Wer sich nämlich darauf beruft, dass wie aus der Vergangenheit für die
Zukunft lernen können, weil wir es in der Vergangenheit tun konnten,
der begeht einen Zirkelschluss, indem er sich auf jedes Prinzip
beruft, dessen Gültigkeit wir hier hinterfragen.
Das hindert aber viele Leute bis heute nicht daran, sich vehement auf
die Selbstverständlichkeit des Induktionsprinzips zu berufen und Hume
(und wahlweise die gesamte Philosophie) als Lächerlichkeit
darzustellen. Für diese Leute hat die Beschäftigung mit dem Problem
etwas anrüchiges, vermute ich. Die ersten Leute, die so auf Hume
reagierten, war eine gewisse Schule des Common Sense.
Der Vorwurf, Hume habe eine Art Irrationalismus Tür und Tor geöffnet,
steht im Raume.
Die erste ernsthafte Reaktion zu Hume kam durch Kant. Der postulierte
in der Kritik der Reinen Vernunft, dass Kausalität ein Teil der
transzendentalen Logik und damit eine apriorische Verstandeskategorie
sei. Erkenntnis setze gewisse "Bedingungen der Möglichkeit von
Erkenntnis" (eben jene synthetischen Aprioris, zu denen eben auch
Kausalität gehört) voraus, was im modernen Sprachgebrauch nichts
anderes ist als: Die Erkenntnis ist die hinreichende Bedingung für
gewisse Apriori, da die Apriori notwendige Bedingungen sind. Sofern
wir also überhaupt etwas erkennen, gelten die synthetischen Urteile a
priori. Falls sie nicht gelten, erkennen wir auch nichts.
(Lustigerweise, Vollständige Induktion wurde von manchen Mathematikern
offenbar ebenfalls als synthetischer Satz a priori gesehen.)
Die Lösung Kants, Induktion einfach als eigenständiges Denkprinzip zu
akzeptieren, auf das man sich dann genauso berufen kann wie auf z. B.
den Satz vom Widerspruch, war offenbar recht beliebt. Und ist es
meiner Erfahrung nach noch.
Mit dem Aufkommen der modernen Logik und dem neuen Verständnis von
Axiomen (nicht mehr als selbstevidente erste Prinzipien, sondern als
eine Art Bestandteil der "Grammatik" formaler Sprachen) wurden dann
neuen Lösungen vorgeschlagen:
Einige Philosophen versuchten eine Induktionslogik zu entwickeln, die
den Anforderungen an Strenge der modernen Logik gerecht wird.
Andere Denker versuchten das Induktionsproblem über Bayesianismus zu
lösen. Durch Zunehmende Beobachtung wird die Theorie, dass die Sonne
jeden Tag aufgeht, immer wahrscheinlicher, bis wir irgendwann von
Sicherheit reden können, da Sicherheit auch nur als Form von hoher
Wahrscheinlichkeit definiert ist.
Popper versuchte das Problem zu lösen, indem er sich ganz von der
Induktion freimachte: Tausend weiße Schwäne beweisen NICHT, dass alle
Schwäne weiß sind, aber ein einziger schwarzer Schwan beweist, dass
NICHT ALLE weiß sind.
Daher begründete er eine Philosophie des Falsifikationismus, indem es
nicht mehr darauf ankam, All-Aussagen zu beweisen, sondern sie so
scharf zu formulieren, dass eine Widerlegung durch eine
Existenzaussage möglichst einfach ist. Popper lehnte gleichzeitig
Wahrscheinlichkeit als Lösungsversuch ab und entwickelte im Anhang der
Logik der Forschung dann eine ersatzweise Wahrscheinlichkeit in Form
von "Graden der Bewährung".
Ein anderer Antwortversuch auf Hume geht von der Beobachtung aus, dass
Mathematik oder mathematische Tatsachen "unzeitlich" sind. Induktion,
der Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft, ist jedoch
zeitlich. Wenn man also feststellt, von der Vergangenheit auf die
Zukunft folgern zu können, sei keine Schlussfolgerung, dann sei das
zwar richtig, aber man vermenge verschiedene Kategorien des Seins.
Wiederum andere Denker nahmen Humes Lösungsansatz scheinbar auf und
entwickelten ihn sinnvoll weiter:
Skinners Konditionierung kann einfach verstanden werden als eine Form
der Gewöhnung, von der Hume schrieb. In die selbe Kategorie gehören
auch einige Evolutionspsychologen mit ihrer "evolutionären
Erkenntnistheorie".
Es mag zwar sein, dass das Hume-Problem diese Modelle genausowenig
inspiriert hat wie das Zeno-Paradoxon die Entwicklung der
Integralrechnung, aber dennoch "antworten" sie quasi auf die Frage.«
https://lists.philo.at/hyperkitty/list/philweb@lists.philo.at/message/OEBN7…
Am Di., 11. Feb. 2025 um 20:37 Uhr schrieb Joseph Hipp über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
(c) Vaihingerfiktionen. Dies sind unsichere Sachen,
mit Wörtern oder Sätzen als Annahmen gedacht, die aber
nicht bewiesen werden brauchen, können, und trotzdem gebraucht werden. Sie sind so wie ein
Katalysator, der
nach der Reaktion nicht mehr gebraucht wird. So etwa die Willensfreiheit für Gerichte, die
ihre
Bestrafung nicht ohne diese Vaihingerfiktion fertig bringen.
Katalysatoren sind chemische Stoffe, die an einer Reaktion teilnehmen,
aber nicht ins Ergebnis eingehen.
Sie können beschleunigend, hemmend oder ermöglichend wirken.
Frage:
Ist die Existenz von Atomen eine Vaihingerfiktion?
Am Di., 18. Feb. 2025 um 20:13 Uhr schrieb waldemar hammel über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
ein "gutes leben", nachdem ich in rente bin
auch ein gesundes, und wie
gestaltet sich das jetzt gerade vor mir?
in einem opulenten natürlich reinen-fasten-frühstück mit den hunden
zusammen:
Diese Ideologie ist absurd schlecht.
Am Mo., 24. Feb. 2025 um 22:39 Uhr schrieb Joseph Hipp über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Ich bin dir nicht nur haushoch unterlegen, sondern
wolkenkratzerhoch, wenn auch ohne Minderwertigkeitskomplex.
Das zitieren tötet eigentlich jegliche Diskussion, insofern als es die
Lektüre und das vollständige Verständnis der zitierten Quelle
voraussetzt.
Ich würde daher die Einführung der folgenden, pragmatischen Regel vorschlagen:
-} Das zitieren externer Quellen ist legitim und erwünscht, der
zitierende sollte aber eine kurze inhaltliche Zusammenfassung liefern
und damit die Relevanz für das Thema aufzeigen.
Am Di., 25. Feb. 2025 um 10:01 Uhr schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Offensichtlich gibt es viele neuronale Taktgeber und
Zeitfenster, die gewichtet parallelverarbeitet zur gefühlten Gegenwart beitragen.
Interessant. Ich frage mich, wie sich das evolutionsbiologisch
betrachtet abspielt.