Lieber Ingo,
Liebe Alle (leider wenige….)
Deine letzte Anmerkung zu Helices habe ich aufgegriffen, weil ich bisher unzufrieden mit
meinem Wirbelmodell war. Wie soll ein allem gleichförmiges Bewegen einen besonderen Inhalt
transportieren? Die Antwort könnte natürlich sein, dass die Ausrichtung der semantischen
Achse im semantischen Vektor-Raum den Inhalt transportiere, aber das ist zu dünn. Die
Wirbelbewegung muss daher auch selber etwas ausdrücken, zum Ausdruck bringen, genauer den
Inhalt der jeweiligen Interaktion. Die Interaktion kann als Doppelhelix dargestellt
werden, wenn es zwei Akteure sind, und als Tripel-Helix, wenn es drei sind etc. Wenn wir
sie auf einen Musiker und seine Interaktion mit weitern Musikern beziehen, so enthielte
die eine Seite in der grundsätzlich spiraligen Anordnung zusätzlich zu dieser spiraligen
Anordnung noch eine ihr eingeprägte Klang- und Modulationsspur, die in Richtung des
interagierenden zweiten Strangs zum Ausdruck gebracht wird. Dort macht sie – entsprechende
Wahrnehmung, Deutung und Einarbeitung auf der Hörerseite vorausgesetzt, Eindruck. Dasselbe
gilt mit dem zweiten Strang, hier demjenigen, der als zweiter Musiker beteiligt ist. Auch
sein Handeln (Orientierung, Fokussierung) drückt sich aus und macht auf den ersten Musiker
Eindruck. Dank dieser Ausdruck-Eindruck-Verschränkung findet die Interaktion im Sinn einer
wirklichen beiderseitig adaptiven Konvergenz statt. Beide Beteiligten senden, empfangen
und deuten Empfangenes, den Eindruck, den der Ausdruck des anderen auf sie macht.
In Bezug auf ein anderes Beispiel, das der DNA ist die Helix-Form beiden Strängen gleich,
aber ihr Inhalt, ihre Spezifik wird durch ihren Ausdruck (C, G, A, T) erzeugt, und das
Zusammenspiel über den Eindruck, den dieser Ausdruck auf die andere Seite macht, und durch
dessen zutreffendes Deuten ermöglicht. Hierbei versteht T nur die Sprache von A, und vice
versa, und G nur die Sprache, den Ausdruck von C, und vice versa. Der Dialog von Ausdruck
und Eindruck kann auf verschiedene Weise gestört werden.
Nochmal zusammengefasst: spiraliger Doppel- oder Mehrfachstrang aus zwei oder mehr
interagierenden Prozessen, jeder Strang „erzählt seine Geschichte“, der andere vernimmt
und deutet sie, und umgekehrt.
So viel als Aktualisierung,
viele Ostergrüße, Thomas
Am 20.04.2025 um 14:14 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 20.04.2025 um 11:54 schrieb Dr. Dr. Thomas
Fröhlich <dr.thomas.froehlich(a)t-online.de
<mailto:dr.thomas.froehlich@t-online.de>>:
Noch ein Letztes, Dir bestens vertraut aus der
Mathematik, z. B. der Topologie: wenn etwas unanschaulich wird, ist es dennoch unter
Umständen ein legitimer Insasse eines (in sich stimmig und als homogen gegeben gedachten)
Denkraums. Und dieser wird von verschiedenen Ausgangspunkten aus bedacht, wobei einer der
mathematisch-abstrakte und ein anderer der philosophisch-abstrakte und gleichfalls der
religiös-unanschaulich-abstrakte ist. In meinen Augen sind alle unbestreitbar legitim….
Auch die Physik verlässt in ihren Überlegungen ebenfalls den Raum des Anschaulichen, nicht
zuletzt unter Zuhilfenahme der Mathematik.
Moin Thomas,
Denkräume müssen nicht anschaulich sein, aber Dein Bild der Spiralen ist es schon. Und
auch die Topologie ist ja eine vergleichsweise anschauliche Disziplin der Mathematik.
Ansonsten ist der mathematisch-abstrakte Denkraum weitgehend unanschaulich, das Abstrakte
in ihm aber nachvollziehbar abstrakt. Bei philosophisch-abstrakten Denkräumen hört es mit
der Nachvollziehbarkeit bereits auf, sofern nicht methodisch-konstruktiv abstrahiert wird.
Und der religiös-unanschaulich-abstrakte Denkraum ist nur noch Metapher.
Legitim sind alle Denkräume, aber in der wissenschaftlichen Philosophie sollte es
wesentlich um Nachvollziehbarkeit gehen, ansonsten handelt es ich um literarische
Philosophie. Und literarisch können spiralende Wirbel die Lesenden sogar in das Zauberland
Oz geleiten oder nur aus dem Erzählrahmen entlassen, wie in dem Buch „Prawda“ Felicitas
Hoppes:
https://www.deutschlandfunk.de/felicitas-hoppe-prawda-die-ideale-reisebegle…
<https://www.deutschlandfunk.de/felicitas-hoppe-prawda-die-ideale-reisebegleiterin-raucht-100.html>
Aber auch Bilder, die wir uns von Märchen und Geschichten machen können, bleiben
innerhalb unseres Anschauungsraums; und der ist eine Projektion der Netzhautbilder vom
dreidimensionalen Außenraum, in dem der Wirbel stürmt. Wäre er beliebig dimensional
denkbar? Dein Bild, das Du Dir vom Spiralen als Kreisen in der Zeit gemacht hast,
entstammt es nicht der Chiralität bzw. der Helix aus der Biologie oder dem Drehmoment aus
der Physik?
IT
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