Am 19.01.2025 um 12:12 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Thomas versteht Geistigkeit innerhalb seiner phänomenologisch-semantischen Systemtheorie
interaktionistisch als Aspekt des Stofflichen. Du siehst die Bedeutungshaftigkeit als
immaterielles Agens von Geistigkeit, das der Intentionalität folgen soll. Demgegenüber
residieren Gedanken im Gehirn als neuronale Repräsentationen sinnlicher Wahrnehmungen.
Warum sollen diese Repräsentationen keine Intentionen und damit auch Geistigkeit
hervorbringen können?
Wird die Vagheit dieser Sätze nicht klarer, wenn Geistigkeit mit Sprachlichkeit und
Denken mit innerem Reden identifiziert wird? Die den Sprechakten inhärente Intentionalität
übertrüge sich auf die Gedanken und gehörte ebenso zur Geistigkeit. Sprachanalytisch und
handlungstheoretisch verlöre die Geist-Stoff-Differenz ihre Schärfe. Denn das alltägliche
äußere Kreisen zwischen Wahrnehmungen, Gedanken und Tätigkeiten würde verlegt auf das
innere Kreisen zwischen Sensorik, Kognition und Motorik, indem die jeweiligen neuronalen
Repräsentationen nur noch unter sich interagierten.
Dieses innere Kreisen schafft Freiheit in Möglichkeitsräumen — allerdings mit der
Kehrseite von Beliebigkeit. Ohne alltägliche Bewährung im äußeren Kosmos gedeihen im
inneren Kosmos Träume und Phantasien ebenso wie Utopien und Ideologien, so dass intuitive
Vorurteile begründete Urteile ersetzen. Ab Morgen werden wir das mit der Amtseinführung
Trumps wieder verstärkt zu erleiden haben.
Moin Thomas,
auch Du scheinst mir hauptsächlich in Dir selbst zu kreisen und Dich mit Deinen
Vorurteilen der Mathematik gegenüber ständig selbst zu bestätigen. In Deiner Mail an Karl
schriebst Du:
„Indem in der Mathematik die Objekte Eindeutigkeit haben, entfällt das Thema der
Jeweiligkeit der Interaktion, und ebenso das Thema der im Interagieren wechselseitig
zugeschriebenen Bede3utung, alias des Kontext-begründeten jeweiligen Sinns in der
Interaktion.
Damit fehlt ihr die kategorial stofflich begründete und im Stoff gründende Deutungs- und
Bedeutungsvielfalt, und somit etwas, was man als Lebendigkeit im Sinn einer sich erst aus
den Spezifika der Dynamik erschließenden Aspektauswahl und Bedeutung bezeichnen kann.
Ein in Termini der Physik und Chemie beschriebenes Molekül dagegen ist, anders als seine
Beschreibung nicht rein geistig, sondern ein Stoff, der je nach Interaktionspartner und
weiteren Akteuren (Druck, Temperatur etc.) auf je besondere Weise agiert und interagiert.
Dass das Molekül einen es eindeutig bezeichnenden Namen, etwa Kohlenstoff hat, bedeutet
nicht, dass sein Interagieren mit jedem möglichen Interaktionspartners das gleiche ist,
dass es also nur eine chemische Reaktion mit egal welchem Interaktionspartner gebe.“
Du weist Doch selbst, dass in der Quantenchemie chemische Reaktionen auch in ihrer
Vielfalt unter variierenden Bedingungen zwischen verschiedenen Reaktanten behandelt
werden. Und die dafür bspw. numerisch verwendete Dichtefunktionaltheorie wird ebenso
mathematisch formuliert wie Quantenchemie und Quantenmechanik. Du verwechselst die Ebene
der Objekte mit derjenigen der Theorien. Die Mathematik ist in ihren systemtheoretischen
Modellen sehr viel reichhaltiger und genauer — und in ihren Simulationen überhaupt erst
dynamischer als jede auf statisch-wortreiche Metaphorik beschränkte Systemtheorie.
Inwieweit das Variationsprinzip, dem auch die Quantenmechanik unterfällt, auf die Semantik
übertragbar ist, ist noch eine Frage der SciFi, wie bspw. von Ted Chiang ausgeführt in
"Story of Your Life". Das schränkt aber nicht die allgemein mathematische
Behandlung der Semantik ein, wie es uns ja die Stochastik in der KI vorführt.
IT