Am 28.10.2017 um 20:13 schrieb Rat Frag:
Am 7. Oktober 2017 um 04:25 schrieb K. Janssen
<.@.>:
Mir sind noch diverse andere Argumente bekannt, etwa habe ich mal
gelesen, Schopenhauer unterschied in Anlehnung an Kant zwischen einem
wirklichen (?) und einem intellgiblen Charakter, wobei letzterer quasi
Prä-Existenziell seine Rolle auf der Welt auswählen kann.
Die Existenzialisten, so habe ich gelesen, sollen erklärt haben, der
Menschn könne doch einfach seine determinierte Wahl ablehnen und sei
sofern frei.
Ja - Schopenhauer: Um es mit Houellebecq zu sagen: Schopenhauer ist mein
Philosoph! Nun ja, zumindest haben seine Schriften, einem
außergewöhnlich scharfsinnigen, unverstellten Blick auf Welt und Mensch
entsprungen, meine Weltsicht nachhaltig beeinflusst. Wir können zu
unserem Thema gerne erst einmal bei ihm bleiben. Zudem seine
entlarvende, meist schonungslos vorgebrachte Gesellschaftskritik ein
höchst willkommenes Korrektiv in unseren Tagen wäre; doch besser nicht!
War er doch insoweit ein Glücklicher, als seine Lebenszeit günstig lag:
100 Jahre früher hätten sie ihn in Rom verbrannt, heute würde er Vaters
Erbe mit Bußgeldern, Gerichts- und Anwaltskosten durchbringen,
Verklagefluten pseudointellektueller GesinnungsethikerInnen und
AntidiskriminierungsaktivistInnen geschuldet (allein schon anzunehmen,
seines gehegten Frauenbildes wegen, welches er jedoch, diesbezüglich
auch janusköpfig, angesichts der erlebten Harmonie mit Elisabeth Ney auf
seine alten Tage zu korrigieren hätte).
Trotz aller höchst wertvollen Denkimpulse, seiner Vermittlung
pragmatischer Weltklugheit wie insbesondere auch der Einsicht, dass
Metaphysik durchaus gültig neben (Natur)Wissenschaft existieren kann,
wollte ich mich nicht bedingungslos seiner Gedankenwelt, gleich seiner
ihm ergebenen Apostelschar, ausliefern. Doch bin ich sicherlich eng bei
ihm, wo er von der Lust des Lesens schreibt, sie würde da zum
Hochgenuss, wo er sich im Einklang mit einem Autor fühlt; und genau
diesen Einklang erlebe ich bei großen Teilen seines literarischen Werks
– nicht mehr, nicht weniger.
Wenn man sich der Causa Willensfreiheit nun also (noch einmal) mit
Schopenhauer nähern will, kommt man kaum umhin, eben einmal mehr in
seine Schriften einzutauchen; diesmal im Kontext von Aussagen aktueller
Hirnforschung. Doch sogleich ergibt sich das Problem, welche
neurobiologischen Erkenntnisse sich denn dazu anbieten; zeigt sich doch
der gleiche schier unüberbrückbare Graben zwischen unterschiedlichen
Lagern wie bei den geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Zudem werden
neurowissenschaftliche Denk- und Interpretationsweisen von einer
plakativen, unqualifiziert verkürzten Aufmachung eines oberflächlich
arbeitenden Journalismus unzulässig verformt, wie er sich
bedauerlicherweise mittlerweile sogar in seriösen Medien zeigt. Zu
spekulativ, zu reißerisch erscheinen die Berichte über den
(vermeintlichen) Abgesang auf die Willensfreiheit. Bedauerlicherweise
verlassen auch Wissenschaftler (eigentlich der Redlichkeit verpflichtet)
den Boden wissenschaftlicher Faktizität und mischen sich
(publikumswirksam) fachfremd in die diesbezügliche Diskussion ein, ohne
beispielsweise über hinreichende Kenntnisse der Verhaltensforschung des
Fachbereichs Kognitionspsychologie zu verfügen.
Und so bleibe ich bei meiner zuletzt hier beschriebenen Einschätzung:
In jeder (ernst zu nehmenden wissenschaftlichen) Aussage zum sog. Freien
Willen finden sich zutreffende Sichtweisen bzw. Interpretationen. Eine
geschlossene, allgemein anzuerkennende Begriffsdefinition des „Freien
Willens“ findet sich allerdings nicht und somit wird (vorschnell) aus
den vielfältigsten Argumentationen und Hypothesen ein Bild nach Belieben
bzw. entsprechend der gesellschaftspolitischen Strömung geformt, wie es
derzeit in (der Sozialromantik anheim gefallenen)
Intellektuellenkreisen, dem Zeitgeist der Beliebigkeit opportun erscheint.
So faszinierend und bedeutsam die Beobachtungen wissenschaftlicher
Forschung auf den Gebieten der Neurobiologie und Kognitionspsychologie
auch sind, so wenig sind sie beim augenblicklichen Erkenntnisstand
geeignet, in irgendeiner abschließenden Form den Begriff der sog.
Willensfreiheit zu eliminieren. Unmöglich kann aus Erkenntnissen einiger
neurophysiologischer Versuche auf ein grundsätzlich nicht vorhandenes
Willenspotential im Sinne eines unserem Selbstbewußtsein (sich über das
eigene Ich-Sein bewusst sein) innewohnenden Freiheitsempfinden
geschlossen werden.
Dennoch wäre es fatal, auf die großartige Möglichkeit wissenschaftlicher
Erforschung menschlicher Denk-/Verhaltensweisen zu verzichten bzw. diese
zu behindern (wie es, hinlänglich bekannt, insbesondere durch klerikale
Machteliten seit den Anfängen der Wissenschaft betrieben wurde und wird,
z.B. Lehrverbot der Evolutionstheorie). Ebenso wenig bedarf es der
Wiederauferstehung der Götter, noch der Wiederbelebung des inzwischen
definitiv widerlegten Dualismus von Materie und Geist (gar in der Art
des Descart‘schen Homunkulus), entsprungen einer aus Zeiten ohne
Naturwissenschaft verständlicherweise gebräuchlichen metaphysischen
Denkweise.
Der Wesensfrage einer von uns (unbewusst) wahrgenommenen, nicht
substituierbaren (aber erweiterbaren) Innenerfahrung wird von der
Hirnforschung insoweit nachgegangen, als anzunehmen ist, dass im Verlauf
der Evolution entwickeltes (genetisch tradiertes) Wissen eine der
Determinanten der funktionellen Gehirnarchitektur ist; eine weitere ist
die erfahrungsabhängige (epigenetische) Entwicklung. Beide
Entwicklungsformen sind deterministische Elemente eines impliziten
Wissens, (durch genetisch angelegte Strukturen exponiert), das uns
lediglich unbewusst verfügbar ist (deutlich zu beobachten bei
Kleinkindern bis etwa 4 Jahren, deren Großhirnrinde noch nicht
ausgebildet ist).
Die solchermaßen angelegte funktionelle Gehirnarchitektur definiert
streng deterministisch die Sensorik von Kategorien und Objekten, das
Regelwerk des Lernens und logischen Schließens, sowie die ästhetische
und emotionale Bewertung des Wahrgenommenen. Hier erschließt sich eine
signifikante Übereinstimmung neurobiologischer (empirisch gewonnener)
Erkenntnisse mit der Kant‘s (purer Gedankenleistung entsprungenen)
Darstellung dieser Zusammenhänge (wie von mir zuletzt hier skizziert).
Die Wahrnehmungen von Außen- und Innenwelt jedoch, sind Folge von
wissensbasierten Rekonstruktionen (determinierte, konstruktive Prozesse)
und schließen subjektive Empfindung sowie das Urteilsvermögen mit ein.
Innere Bilder sind also im Gehirn abgespeicherte Muster, die wir
benutzen, um uns in der Welt zurechtzufinden (ursächlich angelegt, um im
Evolutionsprozess überlebensfähig zu sein). Diese Bilder dienen der
Handlungsplanung, insbesondere, um den Herausforderungen des Lebens
(Bedrohungen) hinreichend zu begegnen; ihrer Struktur entsprechend
wirken sie idiosynkratisch, lassen uns Wahrgenommenesals anziehend,
gefälligoder abstoßend empfinden.
Im Gehirn ist demnach die „Weisheit unzähliger Generationen“
gespeichert, mitnichten also gilt das „tabula rasa“ der Vertreter des
Behaviorismus und somit rückt in der Frage von (an den sog. Freien
Willen geknüpften) Verantwortlichkeit menschlichen Handelns der
(eingeborene) Charakter in den Fokus der Betrachtung.
Charaktereigenschaften (als offenbar entscheidender Part unbewusst
ablaufender neuronaler Prozesse zur mentalen Handlungsvorbereitung)
unmittelbar mit Methoden aktueller Mess- und Darstellungswerkzeuge (PET,
fMRT etc.) „abzulesen“, ist zumindest derzeit nicht möglich und in
Anbetracht der enormen Komplexität der Gehirnarchitektur auch für die
nähere Zukunft kaum erwartbar.
Trotzdem und gerade deshalb sollte man sich der Aufforderung des „sapere
aude“ nicht entziehen, wie es ebenso die Herausforderung des „Gnothi
seauton“ anzunehmen gilt. Letzteres ist tatsächlich herausfordernd, da
bei der Erforschung des Gehirns schließlich zu bedenken ist, dass sich
ein hochkomplexes kognitives System im Spiegel seiner selbst betrachtet.
Wo also Erklärendes mit zu Erklärendem ineinander übergeht, erhebt sich
die Frage, ob solchermaßen eine Aussage über unser selbst, also über
unser eigentümliches „so sein“ grundsätzlich zu treffen ist. Die Aussage
von Wolfgang Prinz (Kogitionspsychologe): „Wir wissen viel - aber
verstehen wenig“, sollte jedenfalls zu gewisser Demut vor dem Wunder des
Menschseins und vor allem zu rationaler Sichtweise führen, mit Verzicht
auf Spekulation bezüglich wissenschaftlicher „Zwischenergebnisse“,
einhergehend mit der Forderung nach Novellierung sozialpolitischer
Gesetzgebung.
Aus meiner Sicht ist der Begriff „Freier Wille“ generell untauglich für
die interdisziplinäre Diskussion menschlicher Verhaltens- und
Handlungweisen. Einerseits, weil er (allgemein verstanden) definitiv
gegen die Determiniertheit von Gehirnfunktionen steht (im Sinne
konsekutiv ablaufender, elementar neuophysiologischer Prozesse im
Gehirn), andererseits jedoch unsere untrügliche Gewissheit, bzw. den
Tatbestand ausdrücken soll, über hinreichende Freiheitsgrade bei unserer
Lebensgestaltung zu verfügen (was durch den unvorhersagbaren Ausgang
nichtlinearer Prozessverläufe, also den Verlauf von Prozess-Trajektoren
unser unvorstellbar komplexen Gehirnstruktur zu begründen wäre). Eine
Gehirnstruktur also, die schließlich Träger unserer Persönlichkeit als
Ganzes ist. Somit kann hinsichtlich unserer Entscheidungen festgelegt
sein, dass es unsere ureigensten, willentlich getroffenen Entscheidungen
sind.
Es gibt also Gründe, warum wir zwischen unbewussten und bewussten
Abwägungsprozessen unterscheiden und letztere als einem "/freien
Willen"/ entsprungen wahrnehmen, auch wenn der Entscheidungsprozess an
sich auf deterministischen neuronalen Prozessen beruht. Das Gehirn
verfügt über (mindestens) zwei Ebenen unbewusster und bewusster
Entscheidungsprozesse, wobei letztere allgemein für freie Entscheidungen
stehen, deren Begründung (zumindest versuchsweise, z.B. als
Handlungsrechtfertigung) unverzichtbare soziale Funktion hat.
Damit nähere ich mich wieder dem Thema soziale Verantwortung an.
Kompliziert und umfänglich genug, um nun an dieser Stelle inne zu
halten, tatsächlich wieder in mich zu gehen und mich danach eingehender
über philosophische Denkansätze zum Thema Willensfreiheit äußern;
insbesondere zu Schopenhauers Ontologisierung eines empirischen und
intelligiblen Charakters, was seinen Ursprung (wie o. erwähnt) nicht bei
ihm hat, sondern vielmehr i.w. auf Kant‘schen Annahmen fußt.
Bester Gruß an Dich und in die Runde!
PS:
/Rat: „Nun frage ich mich, welche Begriffsbestimmung der Diskussion
wirklich förderlich ist. Ist uns nicht im Grudne allen klar, auf welche
Vorstellungen ich mit diesen scheinbar so einfachen Wörtern bezug
genommen habe? Oder haben wir ernsthaft die Vermutung, dass hier eine
hinderliche Unklarheit herrscht?“/
Unklarheit herrscht notwendigerweise (streng determiniert!), da es immer
(mindestens zwei) voneinander getrennte Erfahrungsbereiche bei der
Betrachtung bzw. Bewertung von Lebenswirklichkeit gibt. Es bleibt und
ist die (mehr oder weniger lustvoll anzunehmende) Aufgabenstellung,
sinnhafte Zuschreibungen im Kontext unsererWertesysteme sowie
sozialerRealitäten zu erarbeiten.