Man sollte vielleicht zwei Fragen nicht miteinander verwechseln, Ingo.
Die eine: Wie finde ich kausale Zusammenhänge heraus? Darum scheint es
in einem der verlinkten Texte zu gehen. Dabei muss ich natürlich schon
wissen, wonach ich suche, was ich unter einem kausalen Zusammenhang
verstehe und als solchen gelten lasse und dieses Wissen, das sich auf
sprachliche Ausdrücke bezieht, verdanke ich nicht der Untersuchung, die
ich durchführe, sondern steht an ihrem Anfang. Deshalb finde ich, daß
der verlinkte Text nicht zu dem angesprochenen Thema passt. (Ich wollte
wie gesagt daran erinnern, daß zwar nicht jede Korrelation eine
Kausalität ist, aber jede Kausalität eine Korrelation, zu der lediglich
die ständige Bestätigung durch die Erfahrung hinzukommt und sonst nichts.
Nebenbei bemerkt: unter diesem Aspekt wird man vielleicht den
Determinismus mit etwas anderen Augen sehen.)
Die andere Frage, die mehr ein Ordnungsruf an sich selbst ist: Was habe
ich jetzt herausgefunden? Das war Humes Thema. Dabei hätte ihm kein
computergestütztes Verfahren zum Aufspüren sich wiederholender Muster
geholfen. Es ging ganz im Gegensatz zur ersten Frage darum, sich auf
etwas zu besinnen, was er schon wusste und sich dabei nicht z.B. vom
mehrdeutigen Wort "weil" durcheinanderbringen zu lassen. Den
Anfangsverdacht eines solchen Durcheinanders begründet z.B. die
Beanstandung der Verwechslung von Kausalitäten und Korrelationen, als
handle es sich um verschiedene Kategorien, die zueinander nicht im
Verhältnis von allgemeinem Fall zu Unterfall stünden.
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Müsste man aber nicht sagen, daß die Fragen "wie stelle ich es fest?"
und "was verstehe ich darunter?" gar nicht voneinander zu unterscheiden
sind? Schliesslich weiß ich, was "rot" bedeutet, erst, wenn man mir
zeigt, wie ich es feststelle.
Nein, ich muss nur wissen, unter welchen Voraussetzungen die Frage wie
zu entscheiden ist, unabhängig davon, ob mir etwa die Rechenleistung
dafür zur Verfügung steht.
Ich hoffe, den Kausalitätsbegriff damit nicht komplett undurchsichtig
gemacht zu haben. Im Grunde kann man es reduzieren auf "wenn der Blitz
einschlägt, macht es aua". Das ist alles, was wir wissen.
Wissenschaftlicher Fortschritt besteht nur in einem Zuwachs an
Präzision, aber nicht darin, zu andersartigen Erkenntnissen zu kommen.
Claus
Am 28.12.2019 um 16:00 schrieb Ingo Tessmann:
Hi Claus,
das Problem hatten wir hier schon wiederholt behandelt. Formale
Korrelationen sind durch physische Wirkungungszusammenhänge und kausale
Modelle zu ergänzen, um als Kausalbeziehung zu gelten. Nehmen wir als
Beispiel Ignaz Semmelweis. Mit ihm begann die evidenzbasierte Medizin.
"Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers“
erschien 1861. Semmelweis begann mit dem Vergleich von Sterbefällen im
Kindbett verschiedener Kliniken. Dabei fiel ihm auf, dass wesentlich
weniger Frauen an Kindbettfieber erkrankten, wenn sie Geburtshilfe von
Hebammen und nicht von Ärzten erhalten hatten.
Heute kennen wir die genauen Gründe für die Wirksamkeit der Hygiene
aufgrund der physischen Wirkungungszusammenhänge und kausalen Modelle,
wie sie in der Keimtheorie beschrieben werden. Damals handelte es sich
lediglich um formale Korrelationen, heute lässt sich die physische
Wirkungskette von den mit Bakterien infizierten Händen der Ärzte bis in
die Organe der erkrankten Frauen verfolgen.
In ihrem Artikel "A Quantum Observation Scheme Can Universally Identify
Causalities from Correlations“ weisen die Autoren darauf hin, dass „in
classic cases, it is only recently that a rigorous framework for causal
inferring has been developed“ und verweisen dabei auf das Buch
„Causality" von Judea Pearl aus dem Jahr 2009. Eine Kurzfassung findest
Du hier:
https://ftp.cs.ucla.edu/pub/stat_ser/r350.pdf
Obiger Artikel zur Quantenmechanik ist ebenfalls klickbar:
https://arxiv.org/abs/1903.03449
Was Hume wohl dazu gesagt hätte?
Es grüßt,
Ingo
Am 27.12.2019 um 20:03 schrieb Claus Zimmermann
via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
[Philweb]
In einem Zeitungsartikel wird die oft gehörte Behauptung angezweifelt,
daß Musik (gründliches Erlernen eines Instruments) schlau mache. Zur
Begründung dieser Behauptung reiche es nämlich nicht aus, einen
Zusammenhang zwischen musikalischer Aktivität und Intelligenz
nachzuweisen. Dabei könne es sich auch um eine blosse Korrelation
handeln und nicht um einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Es
könne schliesslich auch sein, daß nicht das eine auf das andere
zurückzuführen wäre, sondern beides auf ein Drittes, etwa allgemeine
Leistungsbereitschaft.
Aber niemand sagt ja, daß jede Korrelation eine Kausalbeziehung ist.
Hume kam zum Ergebnis, daß es sich bei Kausalbeziehungen zwar nur um
Korrelationen handele, die aber die Besonderheit aufwiesen, daß die
Erfahrung sie ausnahmslos bestätigt habe, so daß man sie am Ende für
selbstverständlich hielte.
Daß das Vorliegen einer Kausalbeziehung als widerlegt gilt, sobald die
Korrelation nicht beobachtet wird, ist wohl allgemeiner
begrifflich/sprachlicher Standard. Wenn wir also feststellen würden,
daß gute Musiker tendenziell eher dumm sind, kämen uns zumindest
Zweifel, aber wir könnten annehmen, daß sie sonst noch dümmer wären.
Um es genauer zu wissen, würden wir die Entwicklung von Menschen
vergleichen, bei denen alle wichtigen Parameter so ähnlich wie möglich
sind und die einen ein Instrument lernen lassen, die anderen nicht.
Dann könnten wir Aussagen über eine Korrelationstendenz machen. Da wir
es hier mit Lebewesen und nicht mit Mechanismen zu tun haben,
verwenden wir wohl einen abgewandelten Kausalitätsbegriff, der sich
mit deutlichen Tendenzen begnügt und verlangen keine Ausnahmslosigkeit
der Korrelation.
Aber die Aussage des Artikels ist wohl, daß eine Kausalbeziehung mehr
als eine durch Erfahrung bestätigte Korrelation ist. Da müsste man
dann zurückfragen, was denn hinzukommen muss. Als Antwort würde nicht
ausreichen, das "weil" mit besonderer Betonung zu wiederholen. Es
müsste wie jedes Zeichen erklärt werden, durch eine
Gebrauchsanweisung, Beispiele, eine Demonstration oder Ähnliches.
Das war ja die Annahme und das Lebensgefühl der Renaissanceforscher,
daß man endlich die Natur nicht mehr nur an der Oberfläche studiere,
sondern ihr unter die Haube sähe und da die Kausalitäten am Werk
beobachten könne. Und dazu war Humes ernüchternder Einwand: unter der
Haube seht ihr auch nur Korrelationen.
Claus
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