(Vorbemerkung: doppelte Unterstriche sollen für Absätze stehen. Die werden leider
plattgemacht, wenn ich hier mit dem Tablet poste.)____Ich frage statt "was ist
gerecht?" lieber nach der Bedeutung des Worts. Wenn ich die zweite Frage beantworten
kann (was ich nicht kann, ich überlege nur), kann ich auch die erste beantworten. Aber
während die Antwort auf die erste irgendwie in den Sternen zu stehen scheint, geht es bei
der zweiten darum, wie wir ein selbstgebasteltes Zeichen handhaben. Wie wir es handhaben,
können wir, wenn ich mich nicht irre, aus den genannten Gründen nur erklären, wenn die
Erklärung irgendwann damit zu einem Ende kommt, daß man ein Beispiel zeigt - es könnte
sich z.B. um ein Farbmuster handeln - das dann entweder verstanden wird oder die Erklärung
scheitert. Bevor die Erklärung zu diesem Ende kommt, sind Erklärungen des Zeichens durch
andere Zeichen möglich, z.B. "Schimmel"=weisses Pferd. Bei "weiss"
geht das dann nicht mehr.____Wenn man den Gerechtigkeitssinn durch eine
Gerechtigkeitsregel ersetzen möchte, die man dann nur noch strikt anzuwenden hat und die
Gerechtigkeit nimmt unfehlbar ihren Lauf - ich glaube, dann macht man sich was vor. Denn
man würde doch bei keiner Regel ausschließen, daß ihre Anwendung zu ungerechten
Resultaten führen kann, sondern immer sagen "das wollen wir doch mal sehen"
(trotzdem sind Regeln ja sinnvoll, solange sich die ungerechten Resultate in Grenzen
halten und korrigierbar sind). Das scheint mir die Parallele zu Farburteilen zu sein, die
bloße Behauptungen sind, wenn man sich nicht selbst durch Augenschein von ihrer
Richtigkeit überzeugt (und sie sind natürlich alles andere als willkürlich, obwohl es
keine Erklärung für die Anwendung des Musters gibt). So wie das Farburteil auf dem
Prüfstand des Augenscheins steht, steht das Gerechtigkeitsurteil auf dem des
Gerechtigkeitssinns.____Andererseits sollte man die Parallele nicht überstrapazieren, denn
während ein Farbenblinder völlig verständnislos vor dem Muster steht und sagt "tut
mir leid, ich sehe keinen Unterschied zwischen diesem Muster und einem angeblich davon
verschiedenen" könnte es bei Meinungsverschiedenheiten in einer Gerechtigkeitsfrage
heißen: ich sehe die Besonderheiten des Falls, die du hervorhebst, halte sie aber
gegenüber anderen Aspekten letztlich nicht für entscheidend oder vielleicht sogar für
unerheblich. Er versteht die Erklärung der Unterscheidung, akzeptiert sie aber nicht. Da
ist ein Unterschied zwischen Wahrnehmung mit den Sinnen und Bewertung von
Handlungen.____Was für Muster könnten wir denn mit dem Wort "gerecht" verbinden?
Die Urszene ist, glaube ich, die Erfahrung von Ungerechtigkeit am eigenen Leib. Dadurch
versteht man, worum es geht. Wer diese Erfahrung nicht kennt, der könnte zwar vielleicht
auch zwischen gerechten und ungerechten Handlungen anhand bestimmter Handlungs- und
Situationsmerkmale entscheiden, aber wüsste er, wozu das Ganze eigentlich gut sein soll?
Ungerecht ist eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund. Dadurch wird das
Selbstwertgefühl verletzt, denn es stellt sich die Frage "bin ich denn weniger
wert?". Später gesteht man diese Empfindlichkeit auch anderen zu und nimmt darauf
Rücksicht, wenn man keine Sonderrechte für sich in Anspruch nimmt, was Kant ja mit seinem
Imperativ, den man vielleicht auch als nicht-narzisstischen bezeichnen könnte, ja verboten
hat.____Soweit mein heutiger Bericht aus dem Labor der Ratlosigkeit.____Claus
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag <rat96frag(a)gmail.com> Datum:
15.06.19 10:25 (GMT+01:00) An: Claus Zimmermann <Zimmermann.Claus(a)t-online.de> Cc:
philweb <Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: Eine Kritik an 'Eine Theorie der
Gerechtigkeit?', neben einigen Bemerkungen Am Di., 11. Juni 2019 um 16:10 Uhr schrieb
Claus Zimmermann<Zimmermann.Claus@t-online.de>:> Von einer Theorie der
Gerechtigkeit oder einer Definition des Begriffs> erhoffen wir Orientierungshilfe bei
der im Einzelfall nicht immer> leichten und eindeutigen Beurteilung von
Gerechtigkeitsfragen."Von einer Theorie der Wahrheit oder einer Definition des
Begriffs erhoffenwir uns Orientierungshilfe bei der im Einzelfall nicht immer leichten
undeindeutigen Beurteilung von Wahrheitsfragen."Frage: Es ist wahrscheinlich eine
Wahrheitsfrage, ob auf der Rückseitedes Mondes Mondkäse ist, hilft z. B. Tarskis Theorie
der Wahrheit oderQuines Ausführungen dazu uns, diese Frage besser zu beantworten?Ich
glaube nicht. Die Frage ist, ob man eine Analogie zur Gerechigkeitziehen will. Was mich
auf einen anderen Gedanken bringt:Die Analogie zwischen Gerechtigkeitstheorie und Ethik
und Gesetzgebung.Der Gedanke, den ich jetzt vorstellen will, wirkt auf den
ersten,oberflächlichen Blick komplett absurd und vielleicht ist er das auchtatsächlich,
aber ich versuche ihn ein wenig gründlicher unter dieLupe zu nehmen:Betrachten wir den
Fall, dass jemand Extremsport treibt und sich dabeiwissentlich und willentlich selbst in
Gefahr bringt. Er sagt zu einemFreund, er wird heute aus der oberen Atmosphärenschicht auf
die Erdespringen und tut dies auch. Dabei stirbt er leider.Ist der Freund der
unterlassenen Hilfeleistung schuldig? Er hätte ihnja aufhalten können.Es hilft uns nichts,
zu wissen, dass es z. B. moralisch gut ist, wennjemand anderen Menschen hilft. Wir
brauchen eine allgemeine, abstrakteRegel für die Situation. Also nicht "Laura hat
grüne Augen", sondern"Jedes X hat grüne Augen".Ist es nicht spätestens seit
Kant so, dass wir die selbe Regel in derEthik suchen?„Handle nach der Maxime, die sich
selbst zugleich zum allgemeinenGesetze machen kann.“Das ist schon die Aufforderung ein
allgemeines Gesetz vorzulegen, dassfür möglichst viele Fälle bereits entscheidet, wie
richtig vorzugehenist.> Wir können Worte durch Worte erklären oder durch Beispiele, die
dem> entsprechen, das die Worte beschreiben. Am Ende der Erklärung muss aber> ein
Beispiel stehen, das nicht durch Worte erklärt oder beschrieben,> sondern nur
präsentiert werden kann. Sonst müssten wir immer> weiterfragen, was denn die
erklärenden Worte bedeuten und wüssten daher> nie, was das zu Erklärende bedeutet.
Falls es sich bei "gerecht" um> einen Ausdruck dieser Kategorie handeln
sollte - wie sollte dann eine> Definition oder Theorie möglich sein?Wir landen bei
einem komplizierten Fall von Induktion. Wenn ich weiß,dass es gerecht ist, wenn jemand für
etwas bezahlt wird, wie kann ichdann z. B. eine Regel finden für Ehescheidungen,
Kränkungen usw?Es geht hier darum von den Einzelfällen auf eine allgemeine Regel zu
folgern.> Wenn wir dagegen überlegen, ob die Erklärung in allen Konsequenzen>
unserem Gerechtigkeitsempfinden entspricht, ist das eher so, als ob wir> einen
Gegenstand betrachten, um festzustellen, ob er auch wirklich rot> ist, nachdem uns das
Zeichen anhand eines ähnlichen Beispiels erklärt> wurde. Wir würden damit zeigen, daß
wir sie nicht wirklich als Maßstab> akzeptieren, sondern einen anderen Maßstab an sie
anlegen, selbst wenn> wir sie nicht durch Gegenbeispiele entkräften könnten.>>
Der Gerechtigkeitssinn ist, wenn vorhanden, formbar und umkämpft, da es> um Interessen
geht.Hier in der Liste haben wir also drei (3) mögliche Sichtweisen präsent:1.
Gerechtigkeit als letztendlich willkürliche Entscheidung. Wirkönnen uns austauschen und
diskutieren, aber wenn jemand ernsthaft beider Überzeugung bleibt, etwas sei eben Gerecht,
dann können wir danichts ändern.2. Gerechtigkeit als etwas, auf das Bezug genommen wird.
"Du sollstnicht stehlen" ist demnach eine Art Wegweiser, ein Zeichen.3.
Gerechtigkeit als etwas zu erkennendes, das durch "Interessen"verzerrt wird.
Demnach könnten wir in Gerechtigkeitsfragen eigentlichalle übereinstimmen, aber
dummerweise haben wir verschiedeneInteressen, die sich entgegenstehen.