Moin Joachim,
ich hatte „sollten“ und nicht „müssten" geschweige denn „müssen“ geschrieben; denn
alle überlieferten Schriften lassen sich mehr oder weniger plausibel weiterspinnen. Dabei
sind wir geradezu komplementär vorgegangen. Ähnlich wie Du Zenon habe ich Grass ausweitend
interpretiert hinsichtlich der Absurdität allen Tuns.
IT
Am 14.07.2024 um 12:42 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
IT: "...wohl aber, dass Zenos Gedankenspiele nicht moralisch, sondern
erkenntniskritisch verstanden werden sollten"
Aber lieber Ingo,
seit wann lassen wir uns denn bitte vorschreiben, wie wir etwas "verstehen
müssen"? Und von wem? Ich halte das für eine akademisch-fachwissenschaftliche
Verengung, die nicht nur hier (und nicht nur an "Sonn- und Feiertagen")
keinesfalls zwingend ist. Wenn wir irgendeinen beliebigen (Text-)Baustein der
Philosophiegeschichte auf irgendwie plausible, nachvollziehbare Weise nutzen können, auch
wenn das vom Ursprungskontext weit entfernt sein sollte, dann tun wir das doch bitte
einfach. Wer auch nur halbwegs bewandert ist in der Philosophiegeschichte (also anders als
ich, der ich mich kaum auskenne), dem fällt doch auf Anhieb ein Dutzend von solchen
ursprungsfern weitergedachten, weiterverwendeten, produktiv "mißverstandenen"
Philosophemen ein, oder? (ich sage nur spontan: Unschärfeprinzip, historisiertes
Kant-Apriori, Platons Ideenlehre als Begriffs-Logik, Plotinos Emanationslehre als
soziologische Theorie, Leibniz´ prästabilierte Harmonie als Astrophysik usw. usw.).
Das (ja mittlerweile relativ häufig zitierte) Grass-Gedicht (das ja praktisch nur mit dem
angedeuteten Witz des "gelben Trikots" wirklich funktioniert) hat hingegen in
meinen Augen einen etwas anderen "Twist" als das, was ich (bzw. mein
Pseudo-Zenon) meinte. Grass macht sich, in gut alt-linker Manier, über den
Wettbewerbsgedanken, über den Wunsch, "Erster" und "vorn dran" zu
sein, lustig. Mir ging es hingegen eher um eine pessimistische Lebenshaltung im Ganzen,
den Gedanken der Vergeblichkeit von JEGLICHEM Tun (was ein Linker nie sagen würde).
Deswegen ja tritt Achilles ja gegen eine Schildkröte (!) an, was ja von vornherein kein
sinnvoller Wettbewerb ist. Es geht bei Zenon also um viel mehr als nur allzumenschliche
"competition".
JL