Karl Janssen
janssen.kja(a)online.de
Am 21.10.2024 um 22:37 schrieb ingo_mack über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
hallo Karl,
herzlichen Dank!:)
mich faszinieren Neutrinos, schon immer, eigentlich.
dabei ist das "Wissenschaftlich erreichte Wissen" für mich vermutlich
auf Restlebenszeit ein nicht mehr erreichbares "Böhmisches Dorf".
andererseits begreife ich in ganz groben Zusammenhängen manchmal,
was mir die Vortragenden in den Beiträgen (Universitätsvorlesungen
und Diskurse <--angesehen auf YouTube und ähnlichen Plattformen)
nahebringen wollen.
zur Kohärenz:
Neutrinos werden nachgewiesen in dem sie punktgenau auf den inneren
Atomkern (auf die "Masse" von Neutron und Proton) auftreffen, abgelenkt
und dann als "Wirkung" auf dafür empfindlichen Platten nachgewiesen werden.
alle anderen (nicht nachgewiesenen Neutrinos) 'fliegen' zwischen
Kern und Elektronen'hülle' mit annähernd Lichtgeschwindigkeit
einfach durch.
das alleine ist für mich umwerfend:)
ist aber innerhalb der derzeit geltenden Naturgesetze ein vollkommen
normaler Vorgang.
Die Neutrinos zeigen also ein kohärentes Verhalten.
... solange die Naturgesetze Gültigkeit besitzen.
Jetzt kann man sich fragen, wie lange Naturgesetze ihre Gültigkeit behalten?
bis eine neue Definition von Gesetzmäßigkeiten gefunden wird?
bis "Schwächen" in den Gesetzmäßigkeiten, also "undichte" Ausnahmen
abgedichtet werden?
hier auf diesem Pfad tröpfeln meine Gedanken entlang, verlieren
gelegentlich mal
den Zusammenhang, ich verliere also die Kontrolle über mein
Gedankengebäude und
Kontrollverlust ist doch genau das, was das Gefühl für das Leben im
Jetzt und hier
auszeichnet? ich spiele zu gerne mit Begriffen, die ich meine verstanden
zu haben
und bei dieser Gelegenheit (dass die Kohärenz der universalen
Zusammenhänge durchlässig ist für instantane Neuaufnahmen von "neuen"
Gedanken entspricht doch genau der "Durchlässigkeit"
also Undichte respektive "Löchrigkeit" lokaler irdischer Ereignisse
angesichts der instantanen Verfügbarkeit ebenjener neuer Gedanken quer
über alle Galaxien hinweg (im intendierten "Möglichkeitsraums" der Leere
innerhalb der Atome zwischen Kern und Elektronenhülle)?
weiss grade nicht so recht ob dies mein Wortspiel ausreichend erklärt,
aber so in etwa
sollte es "hinhauen" :).
Zu allererst möchte ich danken! Alleine schon deshalb, weil jeder Beitrag hier in diesem
seit Jahrzehnten bestehenden Forum eine Verbundenheit zwischen Menschen schafft, die -
trotz deren bisweilen gegensätzlichen Sichtweisen auf Welt und Leben - eben genau diesem
von Dir angesprochenen „Kontrollverlust“ entgegenwirkt. Und ich glaube nicht, dass es auch
nur einen einzigen Menschen auf dieser Welt gibt, der nicht wenigstens einmal eben diesen
Kontrollverlust erlebt, ggf. sogar auf dramatische Weise durchlebt hat: Eine Art „Horror
vacui“.
Da geht es nicht um den Verlust an rationalem Denken, das uns Menschen durch den oft so
turbulenten Alltag führt, sondern um ein diese Lebenswelt hinterfragendes Denken, ein
Denken dass nach Kohärenz der universalen Zusammenhänge sucht. Es geht schlicht um das
sog. Kohärenzgefühl. Ein Gefühl, das Menschen Geborgenheit spüren lässt, im religiösen
Kontext wäre nochmal das von mir seinerzeit hier zitierte „God is a feeling“ relevant, das
Waldemar dann sehr zutreffend als „Gefühl der Allgeborgenheit“ deutete. Es ist nicht die
Art eines naiv vermittelten, resp. erlebten „Seelenfriedens“, sondern es geht um ganz
handfeste körperliche Gesundheit, wie es nach Aaron Antonovsky in seinem Modell der
„Salutogenese“ darlegt. Sicher nicht ohne Grund drückt sich das auch in üblichen
Grußformen aus, namentlich in den romanischen Sprachen: Saluto!
Ist es nicht so, dass die ehrlich und gut gemeinte Frage als Begrüßungsformel „Saluto,
come stai?“ sogleich ein Gefühl von Verbundenheit und damit Geborgenheit schafft? Bei mir
hier im Umfeld also: „Servus! Geht's da guat?“ - Das ist Vermittlung von
„Kohärenzgefühl“ auf bayrisch :-)) und natürlich auch das meines südlich gelegenen
Nachbarlandes (zweite Heimat nebenan).
Doch nun wieder zurück zu Deiner Frage, ob Dein „Wortspiel“ allgemeinverständlich
angekommen ist und ich möchte für alle in der Runde sprechen: Aber sicher doch!
Die „Löchrigkeit“ lokaler irdischer Ereignisse, wie sie sich insbes. mit der
kopernikanischen Wende, also dem Wechsel vom geo- hin zum heliozentrischen Weltbild,
erwiesen hat, hat auch diesbezügliche, bis dahin vorherrschende Vorstellungen und
Postulate in Philosophie und Religion obsolet werden lassen. Bedauerlicher- wie
gleichermaßen nicht begreiflicherweise - sind letztere dennoch weiterhin im Denken von
Menschen weltweit verbreitet, wie sich das derzeit wieder in brutaler Form bei
kriegerischen Auseinandersetzungen zeigt; Kriege, die angeblich im Namen eines Gottes
geführt werden und in wirklicher Bewusstheit von göttlicher Wesenheit nie erfolgen
würden.
Ebenso mehr als bedauerlich ist, dass diese Wende mit der darauf folgenden Epoche der
Aufklärung es nicht mit sich gebracht hat, das fatale anthropomorphe Gottesbild zu
überwinden, wie es sich immer noch hartnäckig weltweit aufrecht erhält. Die damit von
religiösen Fundamentalisten perrenierend beanspruchte Deutungshoheit steht damit
unverbrüchlich gegen alle epochalen Paradigmenwechsel, sei es die sog. linguistische oder
kognitive Wende.
So oft wir hier - zumeist von mir initiiert, wenn nicht sogar provoziert – über
Transzentalphilosophie, i.W. also Metaphysik diskutiert haben, immer sollte es dabei um
die Gewissheit gehen, dass dieser Lebensraum Erde nicht isoliert, nicht im Mittelpunkt des
(geistigen) Geschehens steht, somit etwas existiert, das ihn übersteigt. So ist es
geradewegs die „Löchrigkeit“, wie sie trotz allen wissenschaftlichen Fortschritts in
Forschung und Lebensführung immer wieder für uns aufscheint. Dieses in Art einer
Ambiguität, die einerseits der durch technischen Fortschritt möglichen Erkenntnisse über
das kosmische Geschehen die Einzigartigkeit aber auch die Fragilität unseres Lebensraums
Erde aufklärt, andererseits dieses Wissen missachtet und mit anmaßender Persistenz an
einer Lebensführung festhält, die jeglicher makroökonomischen Vernunft entgegensteht.
Es würde dringlich einer weiteren, eben der makroökonomischen Wende bedürfen,
philosophisch hätte Kant (wie liteartisch zitiert) diese als „Umänderung der Denkart“
benannt. In diesem Zusammenhang hatte ich hier von Versuch und Irrtum gesprochen
(angelehnt an Poppers „Trial and Error“), ein in meinen Augen unvermeidliches Prinzip
allen Lebens. Wir Menschen agieren gegen die Natur, gegen die Gesetzlichkeit (sic!) von
Evolution, wenn wir erkannte Irrtumswege nicht verlassen. Und es wird die Natur sein, die
zurückschlägt – ganz im Sinne von Albert Schweizer, der ebene diese Natur als dramatisch
ungnädig beschrieb. Ambiguität wiederum, wenn Goethe vom gütigen Schleier der Natur
spricht. So zeigt sich immer wieder auf's neue die unabdingbare Notwendigkeit der
Differenz allen Lebens und für uns Menschen die der Erkenntnis, den richtigen Umgang mit
Differenz zu lernen und zu beherrschen.
So spiele auch ich immer wieder mit Begriffen, die ich meine, verstanden zu haben. Und da
ist es eben diese „Löchrigkeit“, winzig kleine Löcher, die den Blick in ein Universum
ermöglichen und uns Menschen einerseits der Angst vor dem Nichts, dem „Horror vacui“
ausliefern, andererseits das Gefühl von Allgeborgenheit und damit besagtes Kohärenzgefühl
vermitteln – wir sind nicht allein!
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl