Lieber Arnold,
ich Danke Dir für Deine Überlegungen, und Deine Kritik trifft, finde ich, ins Schwarze,
bzw. in das jeweilige Eigen-Sein.
Indem Du schreibst: „...muss zwangsläufig die Worte in meinem sozialen Kontext und meinem
Bildungsgrad feststellen und Feststellungen vornehmen,“ weist Du auf die Besonderheiten
Deines (und damit jedes jeweiligen) In-der-Welt-Seins hin (ein In-der-Welt-Sein, auf
dessen Sein alias Qualität von Äußerlichkeiten her - wie es ein, zwei, drei, vier
Doktortitel sind - nur bedingt oder nahezu garnicht geschlossen werden kann).
Du weist nicht nur auf die Besonderheit auch im Sinn des besonderen Eingebettetseins hin,
sondern auch auf dessen jeweilige Einmaligkeit („.. und gleichzeitig wiederholt sich da
nichts…“).
Damit markierst Du den Unterschied von existenzieller Ebene (des jeweiligen, besonderen,
Augenblick für Augenblick einmaligen Seins) und dem, was von Beobachtung dieser Ebene in
Abbildungen, Zeichensysteme, Messwerte übertragen werden kann - hinein in die Abbildungs-
alias Wiedergabe- alias Wiederholungs-Ebene.
Die finde ich jetzt allerdings nicht lächerlich, sondern - wie Du schreibst, unumgänglich.
Wie sonst soll sich das eine Sein dem anderen Sein einprägen? Der Punkt ist in meinen
Augen der, dass auch das, was sich dem anderen Sein einprägt ein jeweils eigenes Sein hat
- so wie Dein Beispiel auf kyrillisch gegenüber dem weiteren Text ein eigenes Sein hat,
und das im Sinn einer zu vermutenden Binnenordnung und Systematik, auf die man aus dem
wiederholten Auftreten bestimmter Linien-Anordnungen schließen kann.
Das Gebilde ist also ein inneres Zusammenhängen für sich, es ist eine eigene Ordnung,
gemacht aus eigenem Material, es ist ein Sein neben anderem Sein.
Wenn man jetzt dem Gebilde, etwa dem russischen Text ein Eigen-Sein zugesteht, so kann man
ihn unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Als angesprochener oder angehörter oder
angesehener steht er im Fokus eines (selber kohärierenden und kohärenten) Zugangs von
außen, somit in einem Zentrum, einer Mitte, die aus „kugelförmig" verteilten Winkeln
/ Perspektiven betrachtet werden kann.
Jede der genutzten Perspektiven ergibt eine andere, eigene Beziehung / Interaktion
zwischen Betrachtetem Sein und betrachtendem Sein.
Das lineare Übertragen vom einen Sein in einen Zustand des anderen Seins - dargestellt
durch eine durchgehende Linie oder zwei parallele Linien, sprich durch das
Gleichheitszeichen = stellt nur eine der möglichen Perspektiven dar, und ist nur eine von
vielen Arten, wie sich das eine Sein dem anderen Sein einprägen kann.
Keine Einprägung des einen (betrachteten) Seins in das andere (betrachtende) Sein enthält
das eine betrachtete Sein vollständig, beide „Welten“ existieren weiter, nur dass die eine
„Welt" eine Delle bekommen hat, eben eine Einprägung, womit ihr Sein sich
interaktionell verändert hat.
Zum russischen Text ist daher zu sagen: sein mit fragendem, nicht verstehendem Blick (auch
vier Doktortitel würden mir da nicht helfen…) aus einer bestimmten Perspektive
betrachtetes Sein hat mein Sein verändert: es ist um ein paar Fragezeichen und Rätsel
bereichert, es ist verunsichert, destabilisiert, damit zugleich dynamisiert, was ja
Neugierde wecken kann etc…
Die Tatsachen der möglichen Multi-Perspektivität ebenso wie die der Multi-Kontextualität
gemeinsam veranschaulichen, dass eindeutiges Abbilden einen (unbestreitbar möglichen)
Sonderfall darstellt, der dem sprachfähigen, erinnerungsfähigen (Wiederholungen…) Menschen
erst nach vielen dekontextualisierenden Schritten zur Verfügung steht. Diese Schritte
führen zu einer Abstraktionsebene, die sich in der Mathematik auf ästhetisch-wunderbare
Weise verselbständigen kann, so dass die Relationen von Zeichen in ihr ein Eigenleben
führen, das weit über das bloße Abbilden von jenseits dieser Welt Liegendem (wie in der
Physik geschehend) hinausführt.
Zusammengefasst: Dein Hinweis, „.. sie enthalten ja eigentlich nicht die Welt, sondern
sind nur…“ zielt genau auf das, was wir (damit meine ich unsere Arbeits- und
Autorengruppe…) auch für die Physis „in den Raum stellen“, nämlich das Eigen-Sein, das
Eine-Welt-Sein, und zwar das Eine-Welt-Sein als In-der-Welt-Sein - geltend für alles, was
durch wiederholtes Beobachten als Identität vermutet werden kann.
Wir versuchen diese Argumentationslinie auf die „ganze Natur“ auszudehnen und wollen sie
nicht (wie z. B. bei Heidegger) auf unser menschliches Sein beschränkt sehen. Zu Letzterem
aus dem web kopiert am Schluss ein Text, der auf das Problem des Repräsentationalismus
eingeht (ich werde mir für 3,99 € den kurzen Text wohl besorgen..).
Viele Grüße,
Thomas
Am 26.01.2021 um 00:56 schrieb Arnold Schiller via
Philweb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
Am 25.01.21 um 21:45 schrieb "Dr. Dr. Thomas Fröhlich" via Philweb:
Die Messungen, Beobachtungen und Feststellungen,
die an Verwirklichtem erfolgten führen, wenn sie wiederholt zu denselben Ergebnissen
führten zu der - bis auf weiteres plausiblen - These, dass dem festgestellten Verhalten
ein selber nicht direkt greifbares „Programm“ unterlegt sei.
Nun ist mein Programm die deutsche Sprache und die deutsche
Sozialisation. Letztlich erreichen mich die Zeilen messbar durch
Eintritt in mein Auge und triggern dann chemische Prozesse in meinem
Gehirn. "wiederholt zu denselben Ergebnissen führten" würde nun
bedingen, dass in allen Hirnen genau das gleiche abläuft bei dem lesen
dieser Zeilen. Das aber wird garantiert nicht der Fall sein. Wäre meine
Muttersprache russisch und wäre meine Schrift kyrillisch, erreichte die
Nachricht nicht annähernd auf die gleiche Art und Weise mein Hirn. Aber
lassen wir die landeskulturelle Hürde mal beiseite. Selbst wenn ich
davon ausginge, das alle beteiligten deutsche Muttersprachler wären, so
halte ich auch dann ein gleiches Ergebnis für unmöglich.
"Die Messungen,"(bei mir mit technischer Hilfe Brille, weil ich sonst
blind wie ein Maulwurf bin und die Messung der Buchstaben gar nicht
durchgeführt werden können) " Beobachtungen " beobachte den Thread seit
dem Betreff schon eine Weile und fand auch die Kohärenz durchaus
spannend und entschuldige mich für meine Einmischung schon im vorhinein
"und Feststellungen," muss zwangsläufig die Worte in meinem sozialen
Kontext und meinem Bildungsgrad feststellen und Feststellungen
vornehmen, da sonst alles bedeutungslos würde " die an Verwirklichtem
erfolgten führen," und betrachte obige Zeilen als verwirklicht - und
somit ist letztlich die Einschränkung wichtig "wenn sie wiederholt zu
denselben Ergebnissen führten" denn mit mir als Exemplar meine ich den
Beweis geführt zu haben, dass die Ergebnisse unvorherbar sind. Aber
warum sollte das Programm "nicht direkt greifbar.." sein? Als Beispiel
Измерения, наблюдения и выводы, сделанные по фактическим данным,
приводят, если они многократно приводят к одним и тем же результатам, к
- на данный момент правдоподобному - тезису о том, что наблюдаемое
поведение подкрепляется "программой", которая сама по себе не является
непосредственно ощутимой.
Und nähmen wir mal an, dass wären jetzt unsere Planungen unserer
Messungen, leider wären lateinische Buchstaben noch nicht erfunden,
warum auch immer. Sind die Ergebnisse dann immer die gleichen?
Nun bin ich sozial das exakte Gegenteil eines Dr. Dr. - da ich
Schulabrecher bin und noch nicht einmal die Hochschulreife besitze. Bin
also theoretisch gänzlich unqualifiziert mich in eine philosophische
Welterklärung einzumischen, es könnte also durchaus sein, dass ich
nichts verstanden habe. Mein IQ sollte mich zwar ein bisschen davor
bewahren ein gänzlicher Idiot zu sein, allerdings hindert er mich nicht
doch ein Idiot zu sein.
"- bis auf weiteres plausiblen -" hat mich nur gereizt. Ja die Physik
ist insbesondere aufgrund dieser Widerholbarkeit und feststellen von
Wahrheiten erfolgreich. Vergisst aber allzugerne dass Vorsokratiker
nicht die Möglichkeiten eines CERN gehabt hätten, selbst wenn sie so
klug gewesen wären, die gleichen Schlüsse zu ziehen. Ohne ein gewisse
Episteme wäre gewisses Wissen unerreichbar.
Das Wiederholbare und Gleiche ist zwar einerseits Bedingung zum
sinnvollen Austausch und gleichzeitig jedoch wiederholt sich da nichts.
Ohne dem Sternenstaub zerfallener Sonnen würden uns die grundlegenden
Atome fehlen um überhaupt zu existieren. Jede unserer Beschreibungen
sind eigentlich lächerlich. Sie enthalten ja eigentlich nicht die Welt,
sondern sind nur unser Austauch über Alles, was wir als Einzelne sowieso
schon lange nicht mehr erkennen können.
Viele Grüße,
Arnold
_______________________________________________
Philweb mailing list
Philweb(a)lists.philo.at
http://lists.philo.at/listinfo/philweb
Kopiert aus:
https://www.grin.com/document/142964
Mark Wernsdorfer, Hidegger zu Repräsentationalismus, 22 Seiten, Hausarbeit
[...] innerhalb einer Generation ... [werden] nur noch wenige Bereiche des menschlichen
Intellekts außerhalb der Möglichkeiten eines Computers liegen [...] - das Problem der
Schaffung »künstlicher Intelligenz« wird dann im großen und ganzen gelöst sein.1
Die moderne Kognitionswissenschaft sieht sich in ihren Möglichkeiten, menschliches Denken
zu modellieren vor einer Hürde. Nach anfänglichem Optimismus in den sechziger Jahren des
letzten Jahrhunderts hat der Zuwachs an Rechen- und Speicherleistung 50 Jahre später nicht
die erwarteten, intellektuell menschen- ähnlichen Computer hervorgebracht. Die Annahme,
dass man sich hier einem prinzipiellen Problem gegenüber sieht, resultiert daraus, dass
selbst unerwar- tete, quantitative Sprünge in der Leistungsfähigkeit
informationsverarbeitender Systeme keinen grundsätzlichen Fortschritt haben erbringen
können. Menschli- che Kompetenzen scheinen sich hier nicht lediglich an einem bisher
unerreichten Punkt auf einem Kontinuum zusammen mit Programmen zur Problemlösung, wie dem
„Allgemeine Problemlöser“2, zu befinden. Wo zunächst nur ein Mangel an
Verarbeitungskapazität vermutet wurde, hält nach und nach die Überzeu- gung Einzug, man
müsse sich weg von der ausführlichen Explikation aller rele- vanter Faktoren, hin zu einem
lebenspraktischeren Ansatz bewegen.3
Bis zur ersten Anwendung neuronaler Netze und daraufhin allgemein konnektio- nistischer
Ansätze wurde der Versuch, ein handlungsfähiges Modell des menschlichen Geistes zu
entwerfen, stets von der Annahme begleitet, dies könne nur durch ein Verfahren der
Repräsentation von Objekten in einem Modell der Au- ßenwelt von Statten gehen. Eine
geeignete Modellmanipulation im „Geiste“ hat tatsächlich Erfolge in der zielgerichteten
Bearbeitung von Mikrowelten gezeigt.4 Daher nahm man an, Erfolge in Laborsituationen
ließen sich auf lebensweltliche, komplexe Situationen ausweiten. Es wurde davon
ausgegangen, es sei lediglich eine Erweiterung des betrachteten Gegenstandsbereiches von
Nöten, um den Kontext einer Situation hinreichend zu berücksichtigen. Das Problem, dass es
sich hierbei um besonders große, schwer handhabbare Datenmengen handelt, schien durch die
anhaltende Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit der ver- arbeitenden Systeme nur eine
Frage der Zeit zu sein (siehe Zitat).
Diese Tendenz der Kognitionswissenschaft ist sicherlich zu einem großen Teil der
erfolgreichen naturwissenschaftlichen Methode zu verdanken, die sich seit jeher mit
Elementen und den sie bestimmenden Kräften befasst. Hier hat ei- ne zunehmde Auflösung im
Modell des Gegenstandsbereichs zu einer Verbes- serung der abgeleiteten Prognosen geführt.
Die Ursprünge dieser Ausprägung der rationalistischen Tradition liegen bereits in der
Antike und finden sich in jeder Epoche der Philosophiegeschichte von namhaften Denkern
vertreten. Die klassische Auffassung, Wissen sei eine Abbildung von Objekten im Geiste und
Erkenntnis sei der Prozess des Entstehens dieser Abbilder wurde in den frühen Versuchen
kognitiver Modellierung als konkurrenzlos betrachtet und übernom- men. Daran geübte Kritik
(durch Umberto Maturana5 oder Hubert Dreyfus6 ) lässt sich jedoch auf eine Basis stellen,
die bereits von Martin Heidegger in „Sein und Zeit“ formuliert wurde. Heideggers Konzepte
der Geworfenheit und dem durch Unzuhandenheit verursachten Bruch7 lassen sich auf das Ziel
moder- ner Kognitionswissenschaften anwenden: der Modellierung künstlicher Vernunft - oder
nach Heidegger: der Erschaffung von Dasein.