Am 03.04.2021 um 17:48 schrieb Joseph Hipp via Philweb:
[Philweb]
Am liebsten würde ich sagen: Spaß bei Seite, zudem mit Osterhase,
Lamm, Eiern, Stellungnahmen für oder gegen Botschaften, hier sind mal
ein Paar Fragen, mit denen ich eine unbeantwortete Frage wiederhole:
War Toscanini am Ende, als er ein letztes Mal dirigierte? Scheiterte
an seinem Perfektionismus? War dieser am Ende? Oder war er eben alt
geworden?
Servus Joseph,
immer wieder stelle ich fest, wie schwierig es für mich ist, einen Bezug
auf Deine Fragen herzustellen; so müsste ich eigentlich passen, sie zu
beantworten, möchte diese aber auch nicht einfach im Raum stehen lassen.
Also versuche ich‘s mal (zunächst mit Toscanini):
Wenn Du mit dieser Frage insbesondere auf seinen sog. „Blackout“ 1954 in
der Carnegie Hall abhebst, war Toscanini damit als Dirigent „am Ende“,
es war sein letzter Auftritt. Alt war er sicher geworden mit nahezu neun
Dekaden eines Lebens voller „Action“ (wie man heute sagt).
Was hat ihn als Dirigent so herausragend gemacht? Sein obsessiver Hang
zur Perfektion hat ihn sehr spezifisch als Orchesterleiter qualifiziert,
ganz bestimmt zum Leidwesen der Musiker, denen schon mal Partituren und
Taktstöcke um die Ohren flogen – sicher auch von cholerisch, verbalen
Ausbrüchen begleitet. Ich denke, er hat sich und seine Orchester damit
oftmals an Grenzen gebracht, womit jeweils eine enorme psychische
Belastung einher gegangen ist (Jeder, der hier als Musiker oder Sänger
unterwegs ist, weiß wie nervtötend Proben sein können).
Wenn Du, Joseph mit Deiner Frage darauf hinweisen wolltest, dass mit dem
Hang zum Perfektionismus letztlich ein Scheitern (an welchen Aufgaben
und Zielen immer) verbunden ist, dann muss diesbezüglich die Frage nach
der Art des Scheiterns gestellt werden und darüber hinaus, ob denn
Perfektionismus überhaupt zu einem Ziel (zu einem „guten Ende“) führen
kann.
Womöglich stellst Du die Frage im Zusammenhang der hier geführten
Debatten, die bisweilen ebenso von einer gewissen Obsession geprägt
sind, nämlich dem kompromisslosen Beharren auf jeweiligen Vorstellungen,
Weltbildern, Thesen etc.
Derartiges Bestreben, die eigene (perfekt geglaubte) Sicht der Dinge,
die man auch um jeden Preis argumentativ missionieren möchte, kann nicht
zu einem einvernehmlichen Abschluss, sondern letztlich nur zu einem Ende
der Debatte ohne Übereinstimmung führen. Damit sei natürlich nicht
gesagt, dass alle Debatten im Konsens enden müssten!
Auf Toscanini bezogen, sieht die Sache für meine Begriffe so aus: Er
glaubte nicht nur an die perfekte Darbietung im Sinne eines letztlich
nicht zu erreichbaren Ziels (eben Musik in höchster Perfektion
darzubieten), sondern er setzte diese Perfektion trotz aller Widerstände
nahezu manisch durch, weil er aufgrund seiner Qualifikation (legitimiert
durch herausragendes Musikverständnis und absolute Werktreue), absolut
sicher war, dieses Ziel zu erreichen; diesbezüglich kam er definitiv
nicht an (s)ein Ende!
Damit könnte man schlussendlich sagen: Wenn ein Sachverhalt absolut
objektive Gültigkeit hat, kann dieser mit allen Mitteln vertreten bzw.
zu einem Ziel (zu einem Ende) gebracht werden, welchen Aufwand dieses
Bemühen auch immer mit sich bringen wird.
Soweit für den Augenblick - Bester Gruß an Dich und in die Runde!
Zudem noch der Wunsch für ein paar festliche Stunden zu dieser Osterzeit!
Karl
PS: Zu Nietzsche demnächst ein Antwortversuch