Am 08.12.2023 um 06:53 schrieb Joseph Hipp über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 08.12.23 um 00:43 schrieb Karl Janssen über PhilWeb:
... neurobiologischen Konstruktivismus ...
Im Kern geht es dabei doch um eine Abkehr von der metaphysisch angelegten Annahme einer
absoluten Wahrheit,
Hat sich Platon schon mit dem Höhlengleichnis von der absoluten Wahrheit
abgekehrt? Wenn nein, wo fängt die Abkehr an? Gehört "der Konstruktivismus"
"der Metaphysik" an, und wenn nicht, in welchem Bereich befindet er sich? In
"der Wissenschaft", in "der Mathematik" oder "der MINT"? Wer
bestimmt, wo was hin gehört? Etwa der große Leviathan?
Hi JH,
Elisabeth Stachura hat über neurobiologischen Konstruktivismus in Soziologie promoviert,
insofern gehört ihr Beitrag in die Humanities und entsprechend arbeitet sie an der Uni
Osnabrück im Fachbereich Humanwissenschaften. Was mich als Einstein-Fan an ihrem
Promotionstext stört, ist die mangelnde Quellenangabe für das Einstein-Zitat, denn kommt
es doch zumeist auf den Kontext an.
Einstein schreibt zum 300. Todestag von Johannes Kepler in der Frankfurter Zeitung am 9.
November 1930: „Es scheint, daß die menschliche Vernunft die Formen erst selbständig
konstruieren muß, ehe wir sie in den Dingen nachweisen können. Aus Keplers wunderbarem
Lebenswerk erkennen wir besonders schön, daß aus bloßer Empirie allein die Erkenntnis
nicht erblühen kann, sondern nur aus dem Vergleich von Erdachtem mit dem Beobachteten.“
Damit hat sich Einstein nicht als Konstruktivist geoutet, sich lediglich gegen reinen
Empirismus wie Rationalismus ausgesprochen.
Heinrich Hertz hatte die Haltung seiner Kollegen 1894 in „Die Prinzipien der Mechanik in
neuem Zusammenhange dargestellt" so formuliert: "Wir machen uns innere
Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher
Art, dass die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder Bilder seien von den Folgen
der abgebildeten Gegenstände.“ Daran knüpfte Wittgenstein ja mit seinem Tractatus an, der
seinen Kontext aber erst mit seinen Philosophischen Untersuchen erhielt.
Fehlt noch der Kontext des Hertz-Zitates: „Es ist die nächste und in gewissem Sinne
wichtigste Aufgabe unserer bewußten Naturerkenntnis, daß sie uns befähige, zukünftige
Erfahrungen vorauszusehen, um nach dieser Voraussicht unser gegenwärtiges Handeln
einrichten zu können. Als Grundlage für die Lösung jener Aufgabe der Erkenntnis benutzen
wir unter allen Umständen vorangegangene Erfahrungen, gewonnen durch zufällige
Beobachtungen oder durch absichtlichen Versuch. Das Verfahren aber, dessen wir uns zur
Ableitung des Zukünftigen aus dem Vergangenen und damit zur Erlangung der erstrebten
Voraussicht stets bedienen, ist dieses: Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole
der äußeren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher Art, daß die denknotwendigen
Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der
abgebildeten Gegenstände. Damit diese Forderung überhaupt erfüllbar sei, müssen gewisse
Übereinstimmungen vorhanden sein zwischen der Natur und unserem Geiste. Die Erfahrung
lehrt uns, daß die Forderung erfüllbar ist und daß also solche Übereinstimmungen in der
Tat bestehen. Ist es uns einmal geglückt, aus der angesammelten bisherigen Erfahrung
Bilder von der verlangten Beschaffenheit abzuleiten, so können wir an ihnen, wie an
Modellen, in kurzer Zeit die Folgen entwickeln, welche in der äußeren Welt erst in
längerer Zeit oder als Folgen unseres eigenen Eingreifens auftreten werden; wir vermögen
so den Tatsachen vorauszueilen und können nach der gewonnenen Einsicht unsere
gegenwärtigen Entschlüsse richten. Die Bilder, von welchen wir reden, sind unsere
Vorstellungen von den Dingen; sie haben mit den Dingen die eine wesentliche
Übereinstimmung, welche in der Erfüllung der genannten Forderung liegt, aber es ist für
ihren Zweck nicht nötig, daß sie irgend eine weitere Übereinstimmung mit den Dingen haben.
In der Tat wissen wir auch nicht, und haben auch kein Mittel zu erfahren, ob unsere
Vorstellungen von den Dingen mit jenen in irgend etwas anderem übereinstimmen, als allein
in eben jener einen fundamentalen Beziehung.“
IT