Am Fr., 9. Aug. 2019 um 19:14 Uhr schrieb Claus Zimmermann
<Zimmermann.Claus(a)t-online.de>de>:
Am 28.07.19 um 21:06 schrieb Rat Frag via Philweb:
[Philweb]
Am Sa., 15. Juni 2019 um 18:15 Uhr schrieb Claus Zimmermann
Zeichenregeln - was bedeutet es, wenn ich zweimal pfeife; was, wenn ich dreimal pfeife -
sind ja grundsätzlich beliebig und weder richtig noch falsch. Der Gerechtigkeitsbegriff
hat allerdings die Besonderheit, daß damit eine Wertung und eine Handlungsaufforderung
verbunden ist, die man allerdings richtig oder falsch finden kann.
Können Wertungen richtig oder falsch sein?
Wesentlich für den Gerechtigkeitssinn scheint zu sein,
daß wir empört oder
zumindest mit innerem Kopfschütteln auf Unrecht reagieren. Wer das nicht
kennt, was weiß der von Gerechtigkeit? Aber wir empören uns z.B. auch
über sehr schlechte Manieren und es ist schwer, die eine Empörung von
der anderen zu unterscheiden.
Es gibt nun aber Denker, die ganz entschieden zwischen so etwas wie
kulturelle Konventionen und der eigentlichen Moral unterscheiden
würden.
Wer sich am Tisch unkultiviert verhält, der macht sich auf andere Art
Lächerlich als jemand, der jemanden absichtlich schädigt.
“Sei gerecht!” muß und darf nicht begründet werden,
wenn
es ernst gemeint ist, denn eine Begründung würde ausdrücken,
daß einem die entsprechende Pflicht oder Bindung mit dem Grund
abhanden kommen könnte.1
Das ist eine interessante Überlegung. Allerdings gibt es hierzu einen
gewissen Einwand.
Die Tatsache, dass wir einen Satz aus einem anderen Satz logisch
ableiten bedeutet natürlich nicht, dass der abgeleitete Satz
ausschließlich unter der Bedingung des Satzes gilt.
Das scheint mir eine Verwechselung zwischen hinreichender und
notwendiger Bedingung zu sein.
Natürlich kann es sich im Laufe einer Untersuchung herausstellen, dass
eine Theorie A mit einer Behauptung B identisch ist. Beispielsweise
könnte "Sei gerecht" zugleich bedeuten "Folge einem Satz von Regeln,
der die Gesellschaft, der du angehörst und die dich am Leben hält, am
Laufen hält". Demnach wäre eine Regel, die, konsequent angewandt und
nicht nur deklariert, die Gesellschaft vernichten würde, zugleich
ungerecht. Wohlgemerkt, hier ist von den REGELN die Rede, nicht von
den eigentlichen Handlungen. Es kann also sehr wohl sein, dass eine
Gesellschaft stark geschädigt oder zerstört wird, ohne dabei einer der
Regeln zu verletzen. Ein Asozialer könnte sich moralisch korrekt
verhalten, während ein Mensch im Namen der Aufrechterhaltung der
Gesellschaft alle solchen Regeln arg verletzt. Das ist wahrscheinlich
schon einige Male geschehen.
Eine hinreichende Bedingung wäre z. B. "Wenn der Hr. A. Arnold
ermordet wurde, dann muss er vorher gelebt haben". Es ist klar, dass
das Leben von Hrn. Arnold niemals unter der Bedingung gestanden ist,
ermordet zu werden. Wir erkennen den Sachverhalt anhand einer anderen
Tatsache.
Das muß man nicht so sehen. Man kann, wenn man damit
leben möchte, das
Prinzip auch komplett aufgeben und sich etwa auf den Standpunkt stellen, daß
es nicht auf Gerechtigkeit, sondern nur auf Stärke ankommt.
Das ist nicht unbedingt die logisch zwingende Schlußfolgerung, im
Gegenteil, dass man Stärke so hoch schätzt, ist sogar an viele
Bedingungen geknüpft.
Es ist vielmehr eine Art von Egoismus, "ich mache es, weil ich es
möchte", die als "Null-Standpunkt" herauskommt.
Vielleicht weil er ihn ins Herz geschlossen hat?
Das mag so sein.
Es mag aber daran liegen, dass er Mitgefühl hat und ihn der Schmerz
des anderen auch betreffen würde.
1Nietzsche, Ein Verdacht gegen die Moralbegründung,
1888: Es würde uns Zweifel gegen einen Menschen machen, zu hören, daß er Gründe nöthig
hat, um anständig zu bleiben: gewiss ist, daß wir seinen Umgang meiden. Das Wörtchen
“denn” compromittirt in gewissen Fällen, man widerlegt sich mitunter sogar durch ein
einziges “denn”. Hören wir nun des Weiteren daß ein solcher Aspirant der Tugend schlechte
Gründe nöthig hat, um respektabel zu bleiben, so giebt das noch keinen Grund ab, unseren
Respekt vor ihm zu steigern. Aber er geht weiter, er kommt zu uns, er sagt uns ins
Gesicht: “Sie stören meine Moralität mit Ihrem Unglauben, mein Herr Ungläubiger; so lange
Sie nicht an meine schlechten Gründe, will sagen an Gott, an ein strafendes Jenseits, an
eine Freiheit des Willens glauben, verhindern Sie meine Tugend...Moral: man muß die
Ungläubigen abschaffen, sie verhindern die Moralisierung der Massen.”
Nietzsche stand wohl auch vor der Entdeckung, dass keine Soll-Aussagen
aus Ist-Aussagen folgen - die logische Herleitung, die Klärung des
Gedankenganges war Nietzsches Sache nicht, darauf hat er selbst
hingewiesen - und hat daraus eine psychologisierende Folgerung
gezogen.
Moral sagt demnach nichts über eine metaphysische Realität, über
moralische Tatsachen, aus, aber ganz viel über den Menschen, seinen
Charakter, die Entscheidungen, die er ganz grundsätzlich getroffen
hat.
Die Folgerung ist logisch, aber sie setzt eine interpretation voraus.
Nämlich, dass jede Begründung die Form einer Herleitung haben muss.
Was ist aber, wenn das nicht so ist?
Empirische Wahrnehmungen lassen sich eben nicht logisch herleiten,
selbst Sinnesdatentheoretiker würde niemals so extrem urteilen.