Am 31.05.2021 um 14:03 schrieb waldemar_hammel:
lieber karl,
ich sollte meine ansicht zu "emergenz" vielleich präzisieren:
es ist damit wie mit "gott" = es gibt emergenz UND es gibt sie nicht, ...
Nun habe ich wieder eine PC- Tastatur unter den Fingern und einen Screen
vor Augen und kann somit etwas ausführlicher auf Deine Überlegungen
eingehen, Waldemar; sie bieten in Teilen nämlich die von mir vermisste
Diskussionsbasis zwischen uns, denn diese Denkansätze sind definitiv
nicht „unsinnig“!
/wh: „man kann eben leider nicht noch-nicht-wissen zu wissen ummünzen
(meta-physik als untauglicher versuch physik über den "stand of the art"
hinaus zu betreiben) ...//
//jetzt frage ich mich ernsthaft, kann man das wirklich nicht ? //
//ich kann doch zb minus zwei durch einfache inversion in plus 2 umwandeln“/
Folgendes hatte ich hierzu zuletzt schon geantwortet:
Erinnerst Du Dich an unsere Diskussion über Emergenz (die Du als nicht
existent erklärst).
Das „noch-nicht-wissen“ ist eben genau der Inbegriff von schwacher Emergenz!
Gemäß klasssisch wissenschaftstheoretischer Auffassung bleibt absolutes
Nichtwissen schlichtweg solange Nichtwissen, bis dieses bislang nicht
Gewusste zu einem wissbaren Sachverhalt resp. zur konkreten Tatsache
geworden ist. Dieser Prozess des Übergangs von Nichtwissen zu Wissen
kann üblicherweise nicht durch eine einmalig durchgeführte
Transformation (mathematische) Operation erfolgen.
Nun hast Du, Waldemar, inzwischen noch einmal Deine Ansicht zum
Emergenz-Begriff präzisiert und das sollte ich auch noch einmal
vornehmen, denn mein (oben zitierter) Hinweis auf schwache Emergenz in
Bezug auf „noch-nicht-wissen“ ist genau genommen „schwammig“:
Ein „Noch-nicht Wissen“ liegt demnach auf dem Weg irgendwo zwischen
grundsätzlichem Nichtwissen (im Sinne von du Bois-Reymonds „ignoramus et
ignorabimus“) und eindeutig allgemeingültig angenommenem Wissen über
einen angenommenen bzw. feststehenden Sachverhalt. Dieses
„Zwischenspiel“ mit der Begrifflichkeit von „schwacher Emergenz“ zu
benennen, erscheint mir insofern vage, als man damit für dieses
„noch-nicht-wissen“ ein diesbezüglich zukünftig zu erwartendes Wissen
annimmt (also etwas antizipiert, was nicht unbedingt eintreten wird/muss).
Ebenso wie sog. schwache Emergenz (zur Benennung vorläufiger
Nichterklärbarkeit) erscheint mir die sog. starke Form der Emergenz (als
Ausdruck von angenommen genereller Nichterklärbarkeit) in ihrer
Begrifflichkeit auch unklar definiert, da gleichermaßen vorweggenommen
wird, grundsätzlich kein faktisches Wissen über einen Sachverhalt
erlangen zu können.
Nun wird man fragen, auf welche Art Emergenz ich mich denn bislang in
meinen Beiträgen hier bezogen habe. Dazu nehme ich zunächst Bezug auf
Deine Festlegung hinsichtlich Sprachregelung:
/wh: „"emergenz" und sprachregelung://
//natürlich kann ich sprachlich weiter von "emergenz" reden, wenn ich
über dinge rede, deren eigenschaften sich vermeintlich "unvorhersehbar"
verändern, dies führt aber in ein labyrinth von problemen, die ich
allesamt vermeiden kann, wenn ich sage ding a' ist nicht ein ding a +
emergenz, sondern ding a' ist einfach ein vollgültiges neues ding b,
denn damit zerfällt die ganze "meta-physisch behauchte" emergenz-sache
zu nichts.“//
/
Abgesehen von Deiner auch hier wieder aufscheinenden Aversion gegen
Metaphysik (dazu weigere ich mich, auch nur noch eine Zeile zu
schreiben) möchte ich Dich darauf hinweisen, dass es bei Emergenz nicht
vordergründig um „unvorhersehbare Veränderungen“ eines Systems geht,
sondern eben darum, dass bei hochkomplexen Systemen (insbes. auch
Bio-Systeme) neben Evolutionskriterien (also mehr oder weniger
quantifizierbare Veränderungen) vor allem emergente Eigenschaften als
qualifizierende Merkmale (etwa eine bestimmte Wertigkeit, Nutzen, sog.
Qualia etc.) aufscheinen, die sich naturwissenschaftlicher
Erforschung/Erfassung nahezu entziehen.
Es handelt sich dabei auch nicht vornehmlich um „ein epiphänomen =
scheinphänomen“ wie Du schreibst und ebenso nicht um "dinge" als „summen
von eigenschaften“, die „planck-wechselwirkend alle 10 hoch minus 44 sec
ihre eigenschaften verändern“.
Vielmehr handelt es sich dabei um das Aufscheinen von
Strukturen/Phänomenen eines betrachteten Systems, die nicht auf
Eigenschaften seiner Elemente zurückführbar sind.
Im weiteren Sinn handelt es sich also um einen holistischen und zudem
auch philosophisch belegten Begriff insoweit man sich auf Aristoteles‘
Ganzheitslehre (Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile) bezieht.
Holismus ist in deutlicher Gegenposition zum Reduktionismus und damit
erklärt sich auch unsere (offensichtlich nicht auflösbare)
unterschiedliche Auffassung von Ganzheitlichkeit.
Bezüglich Deiner Sicht der Dinge als Eingenschaftensumme (die im Grunde
keinesfalls abwegig ist, aber die „Dinge“ eben nicht allumfänglich zu
beschreiben vermag) möchte ich noch auf Manfred Eigen hinweisen:
Bei der Betrachtung/Erforschung hochkomplexer Bio-Systeme spielt die
Anwendung von Komplexitätsmaßen auf Bio- und Informationsequenzen eine
tragende Rolle. M. Eigen sieht in der (frühen) biologischen Evolution
deren „Spiel“ mit eben solchen Sequenzen und diesbezüglicher Selektion.
Somit kam/kommt es bei der evolutionären Entwicklung dieser
Bio/Informationssequenzen eben nicht auf (formale) Eigenschaften an.
Die entscheidende Rolle spielt der kontextbezogene Informationswert der
Zelle. (it‘s all about information“ - wie ich hier immer sage).
Emergenz an sich zu leugnen bzw. unzutreffend zu definieren, würde
demnach von einer stark verengten Sicht auf ein diesbezüglich Ganzes
zeugen resp. zu dieser führen.
Das wollte ich seinerzeit mit meinem (an Tegmark angelehntes) Beispiel
von den Wassermolekülen zeigen:
Bei Anblick und Genuss eines mit frisch sprudelndem Wasser gefüllten
Glases wird man nicht vordergründig an Milliarden H2O-Moleküle denken
(es sei denn, man ist Bio-Chemiker) sondern dieses Wasser in seiner
charakteristischen Ganzheit wahrnehmen und genießen.
Diese charakteristische Ganzheit des gewählten Beispiels entspricht real
jedoch nicht einer starken oder schwachen Emergenz, da sie aus ihren
Teilen vollkommen erklärbar ist; vielmehr ist das letztlich nur
literarisch oder bildlich und nicht formal erklärbare „Feeling“ als
emergente Erscheinung zu werten.
Das gilt selbstredend auch für die in der Philosophie des Geistes
thematisierten Qualia (z.B. die oft zitierte Rot-Empfindung, wobei die
Wellenlänge – und damit der Farbton - einer bestimmten Rotfärbung
eindeutig durch Spektralanalyse bestimmbar ist).
Diesbezüglich abschließend möchte ich meine Sicht auf diese
Zusammenhänge zum Ausdruck bringen, wonach sich Evolution offenbar
mehrschichtig vollzieht/auswirkt (ähnlich dem Schichtenmodell der IT):
In der basalen Ebene dominieren physikalische Prozesse (Thermodynamik),
in der obersten sind Informationsfelder als Ordnungsstrukturen
vorherrschend.
Alle Ebenen sind durch Entropieflüsse verbunden. Dieses holistische
Prinzip bestimmt die Dynamik des „Gesamtsystems“.
Soweit mein Beitrag zur Emergenz und damit zunächst ein „break“ bis ich
dann auf Dein eigentliches Thema der Transformation von (noch)
Nicht-Wissen in Wissen zurückkommen möchte.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl