Hi there,
der Thread zum Fortschritt endete in Wortspielerei. Das mag an unserer Vergreisung hier
liegen, die ich im Gegensatz zu wh keineswegs so „guuuut" finde, darüber vielmehr in
Melancholie verfalle; denn Kulturen bleiben grausam und lebensfeindlich, widerwärtig und
furchtbar, solange sie nicht aufgeklärt zivilisiert worden sind. Ich war einmal so naiv,
mich darüber zu freuen, dass wir in den 1970ern die kulturellen Zwänge des Rassismus und
Religionswahns in Deutsch- und Christentum endgültig überwunden hätten!? Was für ein
Irrglaube! Islamismus und Antisemitismus kehren mit den Migranten zurück und lassen in der
wiederbelebten Deutschtümelei erneut Nationalismus und Rassismus Gedeihen.
Im Alter kann ich mir die Resignation erlauben und im Rückblick über die Jahrtausende war
es natürlich stets ein Wechsel von Krieg und Frieden, Revolution und Restauration,
Fortschritt und Rückschritt. Mal schlägt das Pendel zur einen, dann wieder zur anderen
Seite aus, bemerkte nicht nur Hesse in seiner Kritik am Fortschrittsglauben. Vielleicht
hat daraus schon einmal jemand eine angenäherte Periodizität für einige historische
Zeitmaße generiert? Die Beziehung zwischen Frequenz und Zeit im Fourierintegral gehört
jedenfalls zu den faszinierendsten mathematischen Zusammenhängen, die schon unser Gehirn
ständig bewerkstelligt.
Im Überschwang der Jugend will man die Vergänglichkeit nicht wahrhaben und bildet sich
ein, dass es immer so weiter gehe mit der Bildung, der Karriere, dem Fortschritt und — dem
Leben überhaupt. Dabei ist das Leben auf der Erde wie im Universum ein gigantisches
chaotisches Gewusel im Trüben und Rauhen, ganz so wie es sich schon die Visionäre Goethe
und Mandelbrot gedacht hatten. Klar und glatt ist es immer nur sehr begrenzt und für kurze
Zeit; ansonsten sind wir gefangen im Gestrüpp des Lebens.
Glücklich die Menschen, die nichts von ihrer Gefangenschaft im Lebensgestrüpp bemerken,
die einfach wie schlafwandelnd fröhlich in den Tag hinein leben können, ohne sich darüber
zu wundern. Reflektierende Gelehrte dagegen drohen darob in Melancholie zu verfallen,— wie
Dürer schon vor 500 Jahren, der das Gefühl ja in seinem großartigen Stich verewigte. Um
den Bogen in die Gegenwart zu spannen, bin ich gerade auf die Arbeit David Finkelsteins
aufmerksam geworden: "MELENCOLIA I: The physics of Albrecht Duerer":
https://arxiv.org/pdf/physics/0602185.pdf
<https://arxiv.org/pdf/physics/0602185.pdf>
Zwischen Euklid und Hilbert gehört jedenfalls Dürer als ein genialer Vermittler zwischen
Alltag, Kunst und Wissenschaft, der seiner Zeit weit voraus war: "Dürer discards the
Celestial Sphere, the middle world of the Neo-Platonic triple cosmos, together with
astrology, the Mathematical Philosophy of Agrippa. This is a Humanist manifesto of the
impending Reformation, the scientific revolution, and Natural Philosophy. Dürer
anticipates Descartes’ universal doubt based on the existence of optical illusions, and
also Descartes' two-fold world of matter and mind, but he is already beyond Descartes
in recognizing that our mathematical models can never exactly match reality, that because
perception is the source of all our knowledge, our knowledge is relative, not absolute. We
read these messages in the grand overall structure, the fine details, the ambiguous
perspective projections, the quadrivalent optical illusions, the orthographic variants,
and the anagram of this engraving.“
IT