CZ: "Wie naiv muss man sein, um anzunehmen, das jemand, der in ein anderes Land
einmarschiert, plötzlich ein Friedensengel wird?"
Aber der Naivitätsvermeidung ist nicht dadurch Genüge geleistet, daß man ins Gegenteil
fällt und den Feind "dämonisiert" und ihm unendliche Macht- und Herrschsucht
unterstellt. Rationale Einschätzungen müssen davon ausgehen, daß es auch auf der
Gegenseite (politische!) "Kriegsziele" und einen demgemäß imaginativ
antizipierten Stand der "Saturiertheit" des Gegners gibt, von dem wir eben
unsererseits rational einschätzen müssen, ob wir (in Anbetracht aller Kosten, ihn zu
verhindern!) mit ihm leben könnten. Man muß Rationalitätsunterstellungen für wesentlich
halten, wenn man ein mögliches Kriegsende (wie "nachteilig" auch immer)
herbeiführen will, sonst haben wir es mit einem "absoluten Feind" zu tun, den
man nur noch "vernichten" kann (oder in dessen versuchter Vernichtung man sich
selbst vernichtet). Und das wäre - bei allem, was es sonst noch ist -
"unprofessionell".
CZ: "Abschreckung des Täters und potentieller Nachahmer ist durchaus ein Argument
dafür, ihn zu bestrafen. Er wird damit bei ansonsten menschenwürdiger Behandlung
teilweise, aber nicht vollständig verzweckt wie bei einem Arbeitsvertrag auch. Natürlich
darf niemand nur zur Abschreckung bestraft werden, ohne dass seine Schuld festgestellt
wurde."
Art und Ausmaß der Bestrafung (die ja nicht bei der ja-nein-Feststellung von
"Schuld" endet) von der erwarteten Abschreckungswirkung abhängig zu machen,
entspricht einer vormodernen Straf- und Gerechtigkeitstheorie ("Schandmauer",
"Schandpfahl", Hände/Finger von Dieben abhacken, damit alle sehen: schaut, das
passiert, wenn ihr auch... usw.). Modernes "rationales" Strafrecht
individualisiert den Fall (Vorgeschichte des Täters, mildernde Umstände, usw.), d.h. sie
versteht ihn eben nicht als "Beispiel" für ein Tun, dessen Strafbarkeit man
dadurch unter Beweis stellen will. Bzw. das (also die Gewährleistung von
"Rechtssicherheit") wird schon dadurch erreicht, daß der Fall überhaupt vor
Gericht landet: aber dort wird dann eben nur noch "einzelfallbezogen"
entschieden. (Was nichts daran ändert, daß bestimmte Urteile dann von der Öffentlichkeit
so gewertet - begrüßt oder abgelehnt - werden, weil man ihnen diese Abschreckungswirkung
zutraut bzw. sie sich erhofft: also z.B. diese sog. "Raser"-Urteile bei
tödlichen Staßenrennen. Aber keine Staatsanwaltschaft in einem Rechtsstaat hätte vor einem
solchen Urteil eine Chance, wenn sie anträte mit dem Grundsatz "da muß jetzt endlich
mal ein Exempel statuiert werden").
CZ: "Das muss jeder für sich selbst entscheiden."
Genau. Problem ist nur: das darf meist niemand für sich selbst entscheiden. Es sind immer
Entscheidungen unter dem Druck von Ideologien (Nationalismus), Moralismen
("Mut") und Gesetzen ("Wehrpflicht").
JL
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
Gesendet: Mittwoch, 17. Juli 2024 04:21
An: philweb <philweb(a)lists.philo.at>
Cc: Claus Zimmermann <mail(a)clauszimmermann.de>
Betreff: [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
Am 17. Juli 2024 01:31:09 MESZ schrieb "Landkammer, Joachim über PhilWeb"
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
CZ "Auch damit so etwas über den Einzelfall hinaus
nicht Schule macht. Und das gilt m.E. sowohl hinsichtlich der Bewertung als auch
hinsichtlich der Folgen einer Duldung eines Diebstahls auch im Verhältnis zwischen
Staaten. Wenn man die Welt den Wölfen überlässt, lassen sie sich nicht lange
bitten."
Ja, das ist das Abschreckungsargument, das aus dem Einzel- einen Präzedenzfall, den Anfang
eines slippery slope machen will, usw.
Aber ich weise daraufhin, daß es gerade deswegen dem Einzelfall eben NICHT gerecht wird,
es tendiert dazu, ihn über Gebühr und Maß aufzuladen, ihm "symbolischen" Wert zu
verleihen, ihm Wirkungen und Folgen zuzuschreiben, die nur hypothetisch sind.
Wie naiv muss man sein, um anzunehmen, das jemand, der in ein anderes Land einmarschiert,
plötzlich ein Friedensengel wird?
(Deswegen plädieren Verteidiger immer dagegen, daß ein
Fall vor Gericht als "exemplarisch" verstanden wird; niemand darf nur "zur
Abschreckung" von Folgetätern bestraft werden, weil ihn das (nach Kant) zum Mittel
für einen Zweck macht).
Abschreckung des Täters und potentieller Nachahmer ist durchaus ein Argument dafür, ihn zu
bestrafen. Er wird damit bei ansonsten menschenwürdiger Behandlung teilweise, aber nicht
vollständig verzweckt wie bei einem Arbeitsvertrag auch. Natürlich darf niemand nur zur
Abschreckung bestraft werden, ohne dass seine Schuld festgestellt wurde.
Das gilt auch bei der Frage, ob man sich per
Gewalt/Krieg gegen einen Aggressor wehren soll: es mag ja sein, daß es für die anderen,
für die Welt, für den mittel- bis langfristigen "Weltfrieden" besser wäre,
diesen Aggressor sofort zu stoppen, aber warum soll gerade ich (als zur Landesverteidigung
eingesetzter Soldat) jetzt und hier dafür mein Leben riskieren? Ich darf doch bitte hic et
nunc und nur für mich abwägen, es geht um mein Leben, und ich hab nur das eine. Die
Abschreckungswirkung ist auch so ein externes Argument wie das "Recht", das man
schön abstrakt im Seminar und an den Verhandlungstischen der Befehlshabenden diskutieren
kann; für die "Frontschweine", für den je Einzelnen, für die
"professionelle" Gewaltanwendung vor Ort ist es quasi bedeutungslos.
Das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Claus
JL
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ingo_mack über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
Gesendet: Dienstag, 16. Juli 2024 17:44
An: Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
Cc: ingo_mack <ingo_mack(a)web.de>
Betreff: [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
hallo Claus:)
bist du ganz sicher, daß sich Herr Clausewitz
sich eingehender mit dem Henne-Ei-Problem herumgeschlagen hat?
wenn Gewalttaten (konsequent) auf ihre Ursprünge zurückgeführt werden
bist du ruck-zuck beim Brudermord und der hat schlicht nur gefragt,
warum er seines Bruders Hüter sein soll.
ist Notlüge auch eine Form von Gewalt?
Am 16.07.24 um 16:58 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb:
An dem Clausewitz-Zitat gefällt mir nicht, dass,
wer sich
verteidigt, damit als Angreifer dastehen könnte. Das wird als
Täter-Opfer-Umkehr bezeichnet und wäre eine Riesenschweinerei. Man
könnte es aber auch so verstehen, dass damit ohne Schuldzuschreibung
nur gesagt wird, dass die Verteidigung in der Regel der erste
Schritt zu längeren Kämpfen sein wird, weil der Angreifer seine
Gewaltbereitschaft ja schon gezeigt hat.
_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb(a)lists.philo.at Zur Abmeldung von
dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an
philweb-leave(a)lists.philo.at
_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb(a)lists.philo.at Zur Abmeldung von
dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an
philweb-leave(a)lists.philo.at
_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb(a)lists.philo.at Zur Abmeldung von
dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an
philweb-leave(a)lists.philo.at
_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb(a)lists.philo.at Zur Abmeldung von dieser
Mailingliste senden Sie eine Nachricht an philweb-leave(a)lists.philo.at
_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb(a)lists.philo.at Zur Abmeldung von dieser
Mailingliste senden Sie eine Nachricht an philweb-leave(a)lists.philo.at
_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb(a)lists.philo.at Zur Abmeldung von dieser Mailingliste
senden Sie eine Nachricht an philweb-leave(a)lists.philo.at