Am 30. November 2017 um 00:57 schrieb K. Janssen <.@.>:
Nun ja, zumindest haben seine Schriften, einem
außergewöhnlich
scharfsinnigen, unverstellten Blick auf Welt und Mensch entsprungen, meine
Weltsicht nachhaltig beeinflusst.
Ich erwähne Schopenhauer hier wiederholt. Man sollte das bitte nicht
so interpretieren, dass ich Schopenhauerianer bin und das quasi mein
Glaubensbekenntnis sei, nur habe ich diesen Autor sehr früh gelesen
und finde ihn bis heute noch der Auseinandersetzung wert.
Das bedeutet selbstredend nicht, dass ich ihn in allem zustimmen
würde. Ich unterscheide zwischen "Er liegt falsch, doch lohnt sich die
Auseinandersetzung mit seinen Gedanken" und "Er liegt richtig, daher
kann man etwas lernen". Grade in jener Tätigkeit, die man
"Philosophie" nennt, ist diese Unterscheidung sehr wichtig.
Es würde wahrscheinlich nur eine Hand voll teilweise eher trivialer
philosophischer Texte geben, wenn man die Philosophie auf die "nackten
Tatsachen" reduzieren wollte. Ich mutmaße, Schopenhauer wäre sogar
darunter...
Zudem seine entlarvende, meist schonungslos
vorgebrachte Gesellschaftskritik
ein höchst willkommenes Korrektiv in unseren Tagen wäre; doch besser nicht!
Ehrlich gesagt, kann ich dem nicht ganz folgen. Schopenhauers
Willensmetaphysik, seine Mitleidsethik und sein pessimistisches
Menschen- und Gesellschaftsbild sind bekannt. Seine
Gesellschaftskritik jedoch kenne ich kaum. Sie soll auch eher
konservativ (im Wortsinne) gewesen sein.
(allein schon anzunehmen, seines gehegten Frauenbildes
wegen, welches er
jedoch, diesbezüglich auch janusköpfig, angesichts der erlebten Harmonie mit
Elisabeth Ney auf seine alten Tage zu korrigieren hätte).
Hierzu sind folgende Dinge zu sagen. Erstens war er in dieser Hinsicht
eben ein "Kind seiner Zeit". Heute hätte er wahrscheinlich andere
Ansichten, nicht weniger pessimistisch, aber in Teilen anders.
Zweitens habe ich das irgendwie immer auf seine persönlichen
Verhältnisse zurückgeführt. Das mag psychologisierend sein, schien mir
aber angebracht.
Trotz aller höchst wertvollen Denkimpulse, seiner
Vermittlung pragmatischer
Weltklugheit wie insbesondere auch der Einsicht, dass Metaphysik durchaus
gültig neben (Natur)Wissenschaft existieren kann, wollte ich mich nicht
bedingungslos seiner Gedankenwelt, gleich seiner ihm ergebenen Apostelschar,
ausliefern.
Was die Apostel Schopenhauers angeht, so muss ich partielle Unkenntnis
eingestehen.
Die wenigen Personen, die mir durch öffentliche Beschäftigung mit ihn
aufgefallen waren, sind, aber das ist ein rein subjektiver Eindruck,
eher auch die Leute, die sich für buddhistische Praxen und Ideen
begeistern, Tierschutz und ähnlichen.
Unmöglich kann aus Erkenntnissen einiger
neurophysiologischer
Versuche auf ein grundsätzlich nicht vorhandenes Willenspotential im Sinne
eines unserem Selbstbewußtsein (sich über das eigene Ich-Sein bewusst sein)
innewohnenden Freiheitsempfinden geschlossen werden.
Die Versuche müssen interpretiert werden. Darin stimmen wir überein.
Dennoch wäre es fatal, auf die großartige Möglichkeit
wissenschaftlicher
Erforschung menschlicher Denk-/Verhaltensweisen zu verzichten bzw. diese zu
behindern.
Ich glaube, das Thema sollten wir hier besser ausklammern.
Im Gehirn ist demnach die „Weisheit unzähliger
Generationen“ gespeichert,
mitnichten also gilt das „tabula rasa“ der Vertreter des Behaviorismus und
somit rückt in der Frage von (an den sog. Freien Willen geknüpften)
Verantwortlichkeit menschlichen Handelns der (eingeborene) Charakter in den
Fokus der Betrachtung.
Hier muss ich DEUTLICH widersprechen:
Schon bei Skinner findet sich die eindeutige Bezugnahme auf die Evolution.
Er spricht davon, dass durch die Evolution und durch die
Konditionierung (Erfahrungslernen) das menschliche Verhalten an die
Umweltbedingungen angepasst wird.
Keineswegs glaubt er an eine "tabula Rasa", die dann mit beliebigen
Inhalten gefüllt werden könnte.
Es handelt sich also (leider) um einen populäre Fehldarstellung des
Behaviorismus. Man könnte, ja müsste, den Vorwurf erheben, dass hier
Strohmänner abgebrannt werden. Ein klassischer inhaltlicher
Argumentationsfehler.
Weiterhin lässt sich klar argumentieren, dass zumindest einige
wichtige Verhaltensweisen des Menschen sehr wohl "erworben" sein
könnten.
Das ist keine rein ideologische Spekulation. Für einen Hund ist es
sicherlich nicht natürlich oder gar angeboren, dass er beim Klingeln
einer Glocke Speichel in seinem Maul sammelt. Dennoch ist er
offensichtlich in der Lage, so einen pawlowschen Reflex zu erlernen.
insbesondere zu Schopenhauers Ontologisierung eines
empirischen
und intelligiblen Charakters, was seinen Ursprung (wie o. erwähnt) nicht
bei ihm hat, sondern vielmehr i.w. auf Kant‘schen Annahmen fußt.
Schopenhauer hatte zwei wesentliche Quellen. Kant (und mit ihn die
englischen Empiristen und Idealisten!) und die ihn vorliegende
Übersetzung altindischer Veden.
Wobei letzteres sicherlich viel stärker _seine_ Interpetation
darstellt als Kant und die Empiriker. Das ergibt sich, einmal mehr,
aus der Zeit, in der er lebte.
Kant war Quasi-Zeitgenosse und die englischen Empiristen lagen grade
einmal ein oder zwei Generationen zurück und haben ihr Werk via
Buchdruck und Übersetzung über Europa verbreitet. Die Veden dagegen
sind daamsl für die Europäer eben erst entdeckt worden und,
korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, sie waren niemals für die
Masse der Gläubigen bestimmt gewesen.
Indien scheint, was Religion angeht, ein bedeutend vielfältigeres Land
zu sein als die Sphäre der großen Weltreligionen. Früher habe ich das
pauschal darauf zurückgeführt, dass der Polytheismus bedeutend
toleranter gegenüber andersgläubigen war als der Monotheismus. Das
stimmt wohl nicht.
Man sollte die Reigionsphilosophie der alten Inder weder idealisieren,
noch ignorieren, wie es im Westen getan wurde und wird...
PS:
Rat: „Nun frage ich mich, welche Begriffsbestimmung der Diskussion wirklich
förderlich ist. Ist uns nicht im Grudne allen klar, auf welche Vorstellungen
ich mit diesen scheinbar so einfachen Wörtern bezug genommen habe? Oder
haben wir ernsthaft die Vermutung, dass hier eine hinderliche Unklarheit
herrscht?“
Unklarheit herrscht notwendigerweise (streng determiniert!), da es immer
(mindestens zwei) voneinander getrennte Erfahrungsbereiche bei der
Betrachtung bzw. Bewertung von Lebenswirklichkeit gibt. Es bleibt und ist
die (mehr oder weniger lustvoll anzunehmende) Aufgabenstellung, sinnhafte
Zuschreibungen im Kontext unserer Wertesysteme sowie sozialer Realitäten zu
erarbeiten.
Ich denke, darauf können wir uns auf jeden Fall einigen.