Am Mi., 8. Dez. 2021 um 03:29 Uhr schrieb K. Janssen <janssen.kja(a)online.de>de>:
Diesen Zusammenhang muss ich zu meinem Verständnis
hinterfragen.
Aus meiner persönlichen Sicht ist die Sache relativ simpel:
"Ich glaube, X" oder "Ich glaube nicht, X" bezieht sich auf den
psychologischen Aspekt. Ist das Individuum faktisch davon überzeugt,
dass das, was X aussagt, der Fall ist?
Solche Konstruktionen machen natürlich hauptsächlich in Szenarien mit
Lügen oder dergleichen Sinn. Ist das Individuum z. B. überzeugt, dass
ein bestimmter Stoff in Überdosis (Hypervitaminose!) tödlich ist, dann
kann die Verabreichung desselben ein untauglicher Mordversuch sein,
auch wenn die Überdosis diesen Effekt nicht haben kann, weil sie vom
Körper normal ausgeschieden wird.
Das ist ein reales Beispiel aus der Justiz und wirklich strafbar. Hier
kommt es aber darauf an, dass das Individuum wirklich daran glaubt und
die Überdosis deshalb verabreicht.
"Ich glaube nicht, X" wäre in diesem Zusammenhang eine Aussage über
die Abwesenheit des subjektiven "Für wahr haltens".
Auf die Praxis heruntergebrochen könnte man hier etwa an einen
grundsätzlichen Agnostiker denken (eine Person also, die davon
ausgeht, dass die Gottesfrage nicht zu beantworten ist), die aber
keiner Religion glaubend angehört, also nicht z. B. in die Kirche geht
oder moralische Gebote subjektiv aus religiösen Gründen anhängt.
Als Gegenbeispiel - es ist schließlich erkenntnisfördernd, explizit zu machen,
was man ausschließen wollte - dient dann der "theistische Agnostiker".
Der stimmt mit dem anderen Agnostiker darin überein, dass man nicht
erkennen kann, ob Gott existiert oder nicht. Nur glaubt er trotzdem
daran. Eben unabhängig oder sogar trotz der Vernunft.
So ein Agnostiker geht selbst vielleicht in die Kirche und hält
subjektiv die moralischen Gebote ein, weil Gott dies so will. Es ist
aber unwahrscheinlich, dass er oder sie sich öffentlich auf die 10
Gebote bezieht. Er ist sich ja dessen bewusst, dass sein Glaube eine
reine Privatangelegenheit ist.
Dass aus dem Glauben dieses oder jenes folgt, das wäre für ihn nur ein
hypothetischer Konditionalsatz ("Wenn X wäre, dann hätte..."), dessen
Prämissen aber nicht jeder vernünftige Mensch einsehen muss. Deshalb
wäre jede Begründung auf Basis von religiösen Glauben subjektiv, nicht
verallgemeinerbar.
Der Satz "ich glaube, dass nicht" dagegen impliziert in diesem
Zusammenhang einen philosophischen Atheisten. Also eine Person, die
positiv daran glaubt, dass da kein Gott ist.
Das hat dann (meines Erachtens) zwei interessante Konsequenzen, die
man meines Wissens als "Atheologie" bezeichnet. Sie geht schon auf
Epikurs Philosophie zurück:
1.) Wäre so ein Atheist wirklich in der Beweisnot, die Existenz von
einer Art göttlichen Superwesen auszuschließen.
Das ist natürlich trivial möglich, wenn dieser Atheist behauptet, dass
er die metaphysische Wirklichkeit schon kennt. Beispielsweise erklärt
Epikur, so habe ich damals gelesen, dass die Götter in einem ständigen
Zustand des Glücks gefangen wären und sich deshalb überhaupt nicht
mehr um uns Menschen kümmerten. Sie haben auch weder die Welt
geschaffen, noch moralische Gebote aufgestellt, geschweige denn setzen
sie solche durch.
Schopenhauer, um ein anderes Beispiel zu nennen, wusste ("Glaubte
erkannt zu haben"), dass die Welt nichts anderes als Wille und
Vorstellung ist. Das heißt auch, in der Welt, wie er sie sah, gab es
keinen Platz für einen klassischen Gott, höchstens für ein höheres,
aber nicht vollkommenes Wesen. Letzte Realität war der Wille.
Man erkennt das Problem daran schon: Hier müssen wir Epikur oder
Schopenhauer einfach folgen. Doch warum sollten wir ihnen mehr glauben
als irgendeinen Vertreter der Religion?
Die modernen Atheisten sind vielmehr "Naturalisten"/Materialisten. Das
heißt, sie leugnen die Existenz einer Welt jenseits des physikalisch
detektierbaren.
Die Aufgabe besteht nun darin, dass man hier einen Beweis formulieren
muss, dass es eben doch keine zusätzliche metaphysische Welt gibt.
Selbst wenn man innerhalb der "materiellen Welt" alles zu 100% mittels
naturalistisch-materialistischer Modelle erklären könnte, wäre das
kein strenger Beweis. Es wäre ja widerspruchslos mit dieser
Feststellung vereinbar, dass es noch eine Zusatzwelt gibt. Oder eben
einen Gott, der sich der Welt bisher nicht offenbart hat.
Für den Gläubigen ist das keine wirkliche Alternative. Der Atheist,
wenn er mehr als Glaubender sein will, muss das aber irgendwie
ausschließen können.
Eine harte Nuss zu knacken.
2.) Der zweite, vielleicht interessante Punkt ist der folgende:
Auch die Inexistenz eines Gottes hat gewisse Implikationen. Wenn man
also diese Annahme als gegeben setzt (und die Logik nicht einfach
leugnet), dann nimmt man sämtliche daraus folgenden Konsequenzen in
Kauf.
In den meisten Fällen ist das nicht sehr schwerwiegend, weil (a) diese
Konsequenzen meistens nur negativ sind ("es gibt keinen Gott, daher
gibt es keine Offenbarungen des Gottes", um ein triviales Beispiel zu
nehmen) und (b) wegen der hinreichend/notwendig Unterscheidung. Es
kann ja sein, dass A hinreichend für B wäre, aber A nicht der Fall ist
und trotzdem B gilt. Ein lächerliches Beispiel: Wenn Bob Alice
betrügt, dann kommt er immer spät von der Arbeit nach Hause. Bob
betrügt Alice aber nicht. Dennoch kommt er später von der Arbeit nach
Hause, weil er Überstunden machen muss.
Das Nichtzutreffen von B schließt zwar A aus, aber nicht umgekehrt. A
kann falsch und B dennoch wahr sein.
Meine Behauptung wäre jedoch: Ein konsequenter Atheist im
philosophische Sinne (also ein Individuum, das von der Inexistenz
Gottes überzeugt ist) müsste sich theoretisch auch mit Gottesbeweisen
und solchen Schlussfolgerungen aus der Existenz Gottes befassen.
Wenn er hier im Gottesbeweis keinen logischen Fehler findet (Non
sequitur), dann wäre er rein logisch dem Modus Tollens verpflichtet.
Der lautet bekanntlich:
1. Aus A folgt B
2. Nicht-B
3. Schluss: Nicht-A
Da der Atheismus in diesem Sinne Nicht-B voraussetzt, muss er auch
Nicht-A folgern, sofern der Beweis logisch stimmig ist. Und es gibt
durchaus Beweise, deren rein logische Stimmigkeit angenommen werden
darf, etwa der berühmt-berüchtigte gödelischen Beweis:
https://arxiv.org/abs/1308.4526
Man könnte das als die "metaphysische Hintertür" (oder doch:
"Falltür"?) des Atheismus bezeichnen. Wenn der obige Beweis nämlich
logisch schlüssig ist (es hat allen Anschein) und man als Atheist von
der Falschheit der Schlussfolgerung überzeugt ist, dann muss man eine
Prämisse oder eine Definition des Beweises zurückweisen.
Damit begibt sich der Atheist zwangsläufig in metaphysische oder
transzendentalphilosophische Gebiete.
Einen anderen Weg kann man natürlich mit Nietzsche einschlagen, der
die Gültigkeit der Logik generell in Frage stellt. Lustigerweise gibt
es auch dazu bereits ein Gedankenspiel, allerdings aus dem Bereich
Literatur:
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=What_the_Tortoise_Said_to_Achill…
Ich glaube, dass nicht ein Gott, sondern ein Dämon die
Welt beherrscht
Das wäre dann ja wieder Gnostizismus. (Man denke sich ein Zwinkern dazu.)
Womöglich kommen Atheisten (sofern sie sich die
Lebenswelt für ihre
Belange ausschließlich naturwissenschaftlich erklären) gar nicht in die
Notwendigkeit, darüber hinaus nach Erklärungen für Phänomene zu suchen,
die sich ihnen schlichtweg nicht zeigen;
Ich hoffe, oben gezeigt zu haben, dass es nicht ganz so einfach ist.
Es sei denn man bedient sich Logik und Rationalität nur selektiv, was
aber den Atheisten genau zu dem führt, was er oder sie dem Theisten gerne
vorwirft.
Er oder sie kann nicht gleichzeitig die drei Dinge haben:
1.) Den Gläubigen vorwerfen, er bedienen sich der Vernunft nur
selektiv und schalte diese in metaphysischen Fragen letztlich aus.
2.) Selbst keine Atheologie im Sinne von atheistischer Metaphysik betreiben.
3.) Kein Heuchler sein.
Das Problem des selektiven Vernunftgebrauches haben wir aber auch an
anderen Stellen und man könnte das Thema noch mal tiefer aufrollen aus
neuropsychologischer Sicht.
Die meisten Atheisten lassen dabei, so meine Beobachtung,
stillschweigend (1) unter den Tisch fallen.
Wenn Atheisten jedoch Gläubigen deren religiöse
Überzeugungen bzw. einen
Gott absprechen, gestehen sie diesen Menschen nicht das gleiche Recht
auf Gesinnung (religiös oder atheistisch) zu.
Hier werden, glaube ich, zwei Dinge durcheinander geworfen:
Religionsfreiheit und Anspruch auf Korrektheit.
Wir haben eine analoge Situation in Bezug auf die Meinungsfreiheit.
Es kommt gelegentlich vor, dass Menschen falsche oder wahrscheinlich
falsche Äußerungen machen und sich bei Kritik dann auf die
Meinungsfreiheit zurückziehen. Eigentlich ist das dann ein Abbruch der
Diskussion, weil man quasi die Ebene wechselt.
In der Diskussion ging es darum, welche Meinungsäußerung richtig im
Sinne von wahr ist, in der nun anschließenden Diskussion geht es
darum, ob jemand berechtigt ist solch eine Meinung überhaupt zu haben
und/oder sie zu äußern. Letzteres ist eine ethische und juristische
Frage. Meistens lautet die Antwort aber trivialerweise "ja" und das
wissen beide Seiten auch. Auf diese Ebene zu wechseln hat dann andere
Gründe...
Die Absprache des Gottes fällt dabei, meines Erachtens, in die
sachliche Diskussion.
Hier in der Liste sind da einige Aussagen getroffen worden, die schon
relativ eindeutig in eine andere Richtung gehen: Der überzeugte
Atheist will den Glaubenden wirklich gewisse Dinge beschneiden.
Hier müssen wir dann aber auch tatsächlich die Ebenen wechseln und
eine neue Figur ins Drama einführen: Den Anti-Theisten.
Soweit ich das beurteilen kann ist das Wort erst mit der Debatte um
Dawkins et al. aufgetaucht. Die damit bezeichnete Geisteshaltung ist
aber wesentlich älter:
Im Grunde ist die Dechristianisation während der Tugendterrorphase der
französischen Revolution ein historisches Beispiel dafür.
Nun ja, ich denke, dass Kant diesbezüglich schlicht
keine Rücksicht auf
Atheisten genommen hat. Insoweit er sein Postulat jedoch auf seine
Sichtweise bezog, spielt es keine Rolle für deren Akzeptanz durch
Atheisten.
Ich erinnere mich, dass manche Interpreten meinen, nur weiß ich nicht mehr wo
und wann, eher Kants Rücksicht auf die Strafprozessordnung seiner Zeit
genommen hat.
Wir reden im 18. Jahrhundert von einer Zeit, die zwar schon Toleranz
kannte, aber in der offener Atheismus zu rechtlichen und
gesellschaftlichen Problemen führen konnte.
Beispiele dafür ist David Hume und eben Kant nach Erscheinen von
Fichtes "Kritik der Offenbarung". Da musste er sich schnellstmöglich
distanzieren.
Wobei ich nicht tief genug in Kants Werk eingestiegen bin, um mir
selbst ein Urteil zu erlauben.
Die 10 Gebote würde ich tatsächlich eher als
Normensystem, die
Bergpredigt hingegen als Beschreibung eines Ethos.
Im katholischen Bereich gibt es ergänzend, bzw. auslegend zu den
Normen des Alten und Neuen Testamentes noch so etwas wie die
kirchliche Sittenlehre, bzw. dem Naturrecht.
(Um letzteres noch mal zu veranschaulichen. Es gilt: "Du sollst nicht
lügen". Für den fundamentalistischen Protestanten reicht aus, dass
dieser Befehl in der Bibel steht, um Geltung zu beanspruchen. Es ist
der Wille Gottes, der soll getan werden.
Der katholische Naturrechtler kann aber weitergehen: Gott hat die
Sprache erschaffen, damit die Menschen Wahrheiten austauschen. Zu
lügen ist damit eine missbräuchliche Verwendung der Sprache. Gott hat
sie eigentlich für etwas völlig anderes erschaffen.)
Sowohl für den Agnostiker ("Ich glaube nicht, dass..."), gleichgültig
in welcher Variante, als auch für den Atheisten gibt es jedenfalls
starke Antriebe, eine Begründung der Moral jenseits von "Gott will es
so" zu finden.
Für den Gläubigen kann es aus verschiedenen Gründen ähnliche Antriebe
geben, etwa weil er an ein von Gott unabhängigen Bereich ethischer
Gebote glaubt oder dergleichen, aber er hat zumindest theoretisch eine
Rückzugsmöglichkeit.
P.S.: Eine für mich sehr interessante Fragestellung, um die ja nicht
umsonst zahllose Beiträge von mir hier in der Liste (und anderswo)
kreisen, ist die Frage der Moralbegründung.