Am 21.11.2020 um 07:46 schrieb Rat Frag
<rat96frag(a)gmail.com>om>:
Hier kommen wir auch zu einer auf den ersten Blick seltsamen Frage:
"Braucht ein Genie auf einer einsamen Insel Beweise?"
Der Gegenstand der Frage ist, ob Beweise lediglich dazu dienen, andere
Menschen zu überzeugen oder auch für das Individuum bedeutsam sind,
etwa weil sie einen höheren Grad an Gewissheit darstellen.
Es gibt ja durchaus den Fall, wo man selbst schon Gewissheit hat (oder
zu haben glaubt, man kann sich ja immer noch irren), etwa das ein
Medikament oder eine Hygienemaßnahme funktioniert, man dies aber nicht
absolut logisch wasserdicht gegenüber Dritten beweisen kann.
Hi Rat Frag,
romantische „Genies“ brauchen keine Beweise, aber die interessieren uns hier wohl nicht.
Wissenschaftliche Genies, wie Newton, Einstein oder Dirac beispielsweise, haben in ihrem
Kämmerlein und hätten auch auf der einsamen Insel stets Beweise ausformuliert für ihre
Intuitionen. Denn erst die Beweise machen die Tragweite des Theorems klar, zeigen seinen
Geltungs- und Gültigkeitsbereich auf.
"Absolut logisch wasserdicht“ ist natürlich nichts in den Realwissenschaften, handelt
es sich doch stets bloß um Wahrscheinlichkeitsaussagen. Und im Gegensatz zu den Physikern
sind die Prognosen der Epidemiologen und Hygieniker sehr viel vager, zumal wenn sie auf
reale Lebensverhältnisse angewandt werden.
Was auf den ersten Blick wie eine Elfenbeinturmfrage
aussieht, ist
viel ernst zu nehmender als es erscheint.
Die Coronamaßnahmen in Deutschland etwa. Da gab es durchaus, AFAIK
sogar vor Gericht, Zweifel, ob bestimmte Maßnahmen wirklich die
Ausbreitung des Virus verhindern oder ob man dabei nicht zu weit geht.
Dass Diskotheken und Co. geschlossen werden, erscheint
nachvollziehbar. Bei anderen Einrichtungen, wo es ohnehin wenige
Besucher gibt und sich Abstände leicht einhalten lassen würden (Kinos
oder Theater, wenn nicht voll), kommenwir denn wirklich in das Problem
ob man den Sinn der Maßnahme im Einzelfall nach wissenschaftlichen
Standards beweisen kann.
Auf der anderen Seite können wir davon ausgehen, dass der öffentliche
Nahverkehr eine Brutstätte für übertragbare Krankheiten ist, nur
würden wir diesen eher nicht stillegen, weil damit das öffentliche
Leben teilweise auch stillstehen würde.
Angewandt auf die realen Lebensverhältnisse kommen natürlich die politischen,
wirtschaftlichen und religiösen Interessen ins Spiel. Künstler werden offensichtlich
weniger ernst genommen als Prediger. Hinsichtlich des ÖPNV halte ich bei konsequentem
Maskentragen das Infektionsrisiko für geringer als beim ausgelassenen Feiern ohne Masken.
Interessant dürfte die weltweite Lage nach den Silvesterfeiern im nächsten Jahr werden.
Du übergehst den Punkt meines Argumentes:
Wenn ein Mensch versucht, sich anhand der Wissenschaft zu orientieren,
dann sucht er nach Antworten. Gerade in den Wissenschaften, die dafür
besonders relevant sind, wie Medizin, Psychologie usw.usf. verändert
sich der Wissensstand. Früher wurden Kinder dazu ermuntert, Spinat zu
essen, wegen den Eisen. Heute wissen wir, dass diese Maßnahme im
Grunde sinnlos war.
Manchmal sehen sogar vornehmlich auf Eigennutz zielende Anwender den Unsinn ihrer
Maßnahmen ein. Das spricht doch nicht gegen den fortdauernden Erkenntnisfortschritt in den
Wissenschaften. Ich erinnere mich auch noch daran, in jungen Jahren regelmäßig einen
Löffel Lebertran bekommen zu haben. Da wirkten die Rachitis-Erfahrungen durch
Mangelernährung in Kriegs- und Krisenzeiten nach. Heute allerdings ist es unsinnig, bei
ausgewogener Ernährung noch irgendwelche Ergänzungsmittel zu sich zu nehmen, aber dennoch
floriert das Geschäft mit ihnen. Ich vermute, dass es hauptsächlich an mangelnder
naturwissenschaftlicher Bildung liegt, weshalb so viele Menschen dem ausufernden
Schwachsinn auf den Leim gehen.
Es grüßt,
Ingo