Am 27.02.2024 um 18:44 schrieb K. Janssen über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Du wertest Dich als Konstruktivist und „Possibilist“. Das erscheint mir in dieser
Kombination tatsächlich als fragwürdiges, weil widersprüchliches Konstrukt, da sich beide
Denkrichtungen eigentlich entgegen stehen: Während der Konstruktivist dem Menschen
grundsätzlich das Vermögen abspricht, die Lebensrealität (an sich) zu erkennen, damit
potentiell nicht zu deren konstruktiver Gestaltung befähigt wäre, steht der Possibilist
für das Gegenteil, nämlich für eine zukunftsweisende Vision individueller Lebensgestaltung
und damit auch jener der Gesellschaft, vor allem aber für die Möglichkeit, Missstände zu
beseitigen.
Moin Karl,
Ich hatte mich ja zuletzt u.a. als ökoliberaler Possibilist und methodischer
Konstruktivist geoutet. Ein Gemeinsames beider Haltungen wäre die „konstruktive Deutung
des Dualismus in der Wahrscheinlichkeitstheorie“, die wir hier wiederholt thematisierten:
https://www.ingo-tessmann.de/Wahrsch/node2.html
<https://www.ingo-tessmann.de/Wahrsch/node2.html>
Um die Realität (an sich) geht es in der Politik und der Stochastik nicht, eher um den
Erhalt der Lebensbedingungen hier auf der Erde. Und methodisch lässt sich Realität
annähern bzgl. dessen, was wirkt, ohne sie metaphysisch als substanziell voraussetzen zu
müssen. Methodich-empirisch sind nur die Quantitäten. Damit sehe ich die Beziehung
zwischen Wirklichkeit und Realität ähnlich wie die zwischen potentieller und aktueller
Unendlichkeit.
Letztere Motivation kann aber nicht
gesellshaftsübergreifend wirken, wenn man in diesem Zusammenhang einerseits mit Begriffen
wie Populismus und Simplifizierung abwertend argumentiert, andererseits geradewegs mit
simplifizierenden, unrealistischen - nicht minder populistischen, wie auch
emotionalisierenden - Postulaten und dem implizit darin verborgenen Appel aufwartet, wie
eben hier, dass 87% der Bevölkerung dieses Landes schon heute auf ihr Auto verzichten
könnten.
Auch das ist Possibilismus, da es sowohl technisch als auch gesellschaftlich und
ökologisch möglich ist. Eine Wählermehrheit fehlt allerdings, aber das könnte sich in den
nächsten Jahrzehnten ändern.
Das ist schlichtweg realitätsferner Intellektualismus,
der exakt dem Prinzip von „actio = reactio“ folgend, diese abstrusen Ausformungen eines
Antiintellektualismus provoziert, die man nun verstärkt in Teilen der Bevölkerung erkennen
kann. Das wird auch - wie schon erwähnt - noch dadurch gefördert, dass gerade von der
Grün-Partei der polarisierende Impetus gesetzt wird,jede nicht politisch links gegrichtete
Einstellung sei selbstverständlich rechts überdies nicht nur nicht einfach rechts, sondern
eben faschistoid.
Und schon simplifizierst Du wieder verallgemeinernd in populistischer Weise und scheinst
IMs zustimmend zitierte Polemik nicht gelesen zu haben. „Sein Zielbild ist die
Planwirtschaft, die Ökodiktatur, und hat er das einmal geschafft, die Reichsdenunziatur.“
Das ist faschistoide Polemik der Werte-Union und nicht die Grün-Partei hält „jede nicht
politisch links gerichtete Einstellung" für faschistoid.
So richtig weiß ich nicht, in welchem Kontext Du mir
die Frage stellst: „Warum immer wieder diese schwarz/weiß-Malerei?“, daher möchte ich Dich
fragen, ob Deine defätistische Attitüde in Anbetracht der Annahme eines bedrohlichen,
alles beherrschenden fossilen Imperiums und dem daraus resultierenden „Auto- und
Fossilwahn“, sowie das Heraufbeschwören einer „beginnenden Katastrophe“ etwas anderes als
„Schwarzmalerei“ ist?
Zwischen Autowahn und Ökowahn liegen unendlich viele Übergänge, sie zu ignorieren ist
schwarz/weiß-Malerei. Schwarzmalerei meint nur die eine Seite des falschen Dilemmas im
Repertoire der Populisten:
"Ad-hominem: Statt sachlich zu argumentieren, greifen Populisten persönlich an. Es
geht nicht darum, WAS gesagt wird, sondern WER es sagt! Dahinter steckt der Versuch, dem
Gegenüber die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Falsches Dilemma: Populisten stellen Streitfragen so dar, als gäbe es dazu nur zwei
gegensätzliche Positionen - von der eine besonders abwegig erscheint. So zwingen sie die
Gegenseite zu einer Wahl zwischen zwei konstruierten Extremen, statt über die vielen
Möglichkeiten dazwischen zu diskutieren.
Motte-and-Bailey: Stoßen Populisten mit einer besonders kontroversen Aussage auf Kritik,
schwächen sie ihr Argument so sehr ab, dass es einfacher zu verteidigen ist. So erscheint
auch die ursprüngliche Aussage schwerer angreifbar. Die Metapher: Auf dem Burghof (Bailey)
darf man schon mal eine große Klappe riskieren, bei Gegenwehr kann man sich ja auf den
sicheren Turm (Motte) zurückziehen.
Schweigende Mehrheit: Populisten unterstellen, dass es eine schweigende Mehrheit gibt, die
von der Politik nicht gehört wird. Die einzigen, die die Interessen der vermeintlichen
Mehrheit angeblich kennen und vertreten können, sind (natürlich) die Populisten selbst.
Strohmann: Statt gegen das tatsächliche Argument der Gegenseite zu diskutieren,
unterstellen Populisten ihr ein Argument, das leichter zu widerlegen ist. Sie kämpfen also
gegen einen Strohmann, einen erfundenen Gegner, der leichter zu besiegen ist.“
Quelle:
https://populismus.online/ <https://populismus.online/>
Mai-Thi's mailab gefiel mir besser als ihre Show, aber unterhaltsam seriös erreicht
sie auch Kinder. Und die werden zu erleiden haben, was wir ihnen hinterlassen werden. Die
bereits eintretenden überdurchschnittlich häufigen Wetterextreme als Folge des
Temperaturanstiegs müssen nicht heraufbeschworen werden, sie sind bereits die beginnende
Katastrophe.
In diese Richtung geht doch auch die
emotionalisierende Darstellung von einer Energie- und Ressourcenverschwendung durch die
vielen Tieresser. Du gehörst also auch in die Fraktion derer, die den Menschen die Wahl
ihrer Ernährung vorsorglich abnehmen wollen und im selben Atemzug ein Diktat zu
fleischloser Ernährung erheben. Ich selbst esse sehr wenig Fleisch, was mir durchaus gut
bekommt. Letzteres würde der Masse der Bevölkerung auch gut tun, wie auch den Finanztöpfen
der Krankenversicherer und -kassen.
Und schon wieder schwarz/weiß-Malerei; denn es geht nicht um ein „Diktat zu fleischloser
Ernährung“, sondern um den Appell, mehr Effizienz zu wagen und weniger Ressourcen zu
verschwenden. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Deshalb aber „militante Bauern- vs friedfertige
Klebedemos“, in einen fragwürdigen Zusammenhang zu stellen, zeugt von einer frappanten
Einseitigkeit, die insbesondere mit der intendierten Vermittlungsidee des Possibilismus
wahrlich nichts mehr gemein hat, sondern einzig mit populistischer Polarisation!
Ich halte den selbstlosen und friedfertigen Einsatz der Klimaklebenden für das Gemeinwohl
nicht in einen fragwürdigen Zusammenhang gestellt gegenüber den selbstbezogenen und
militanten Bauerndemos für den Eigennutz. Warum ist den Klimaklebenden nicht ebenso
entgegengekommen worden wie den Bauern? Das D-Ticket wäre für alle billiger geworden und
auf den Autobahnen hätte es weniger Verkehrstote, entspannteres Fahren, einen
gleichmäßigeren Verkehrsfluss und weniger Spritverschwendung gegeben.
IT