Am 7. November 2021 02:05:31 MEZ schrieb Claus Zimmermann via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
Am 5. November 2021 09:14:06 MEZ schrieb Rat Frag via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
>[Philweb]
>Am Di., 2. Nov. 2021 um 01:17 Uhr schrieb K. Janssen
<janssen.kja(a)online.de>de>:
>> Der jeweils bereits vorhandene
Erfahrungsfundus ist modellhaft
angelegt,
>> wobei sich diese Modelle gemäß spezifisch
(phylo-)genetischer
>> Disposition, vor allem jedoch infolge sozialisierter Prägung
entwickeln.
>Aber, impliziert das nicht eine milde Form des Relativismus?
>> Welche Instanz sollte qua (von
Konstruktivisten behaupteter)
>> ausschließlich individueller Subjektbezogenheit, somit bar jedem
>> Realitätsbezug, paradoxerweise die Unterscheidung zwischen Subjekt-
>> Objekt resp. Realitätsbezogenheit vornehmen?!
>Damit hast du ein sehr heißes Eisen
ausgepackt.
>Denn diese Frage kann man ja durchaus zurückspielen. Wie ist die
>Verbindung zwischen objektiver, betrachterunabhängiger Realität und
>erkennenden Beobachter zu verstehen?
>Anscheinend besitzt die sog. "Korrespondenztheorie" für die meisten
>Menschen eine hohe intuitive Plausibilität. Diese besagt, kurz gesagt,
>dass Wahrheit im Übereinstimmen von X mit der Realität besteht. Wobei
>für X dann jeweils Aussagen, Gedanken oder "Urteile" eingesetzt werden
>können.
>Soweit mein Gedächtnis mich nicht im Stich lässt hat der junge
>Wittgenstein hier eine Art Abbildungstheorie vertreten. Er postulierte
>also eine, durchaus auch mathematische Abbildung zwischen den
>Tatsachen und Aussagen. Wobei Wittgensteins Ontologie eben bereits auf
>Tatsachen basiert.
>Das hat dann Quine kritisiert als "Propositionalismus".
>Für ihn war "Es ist wahr, dass schnell weiß ist" nur eine Aussage über
Aussagen.
Dagegen finde ich nichts einzuwenden. Aussagesätze können wahr oder
falsch sein.
Das ist keine Theorie. Das weiss jeder, der lernt, wie
Beschreibungen und Aussagen funktionieren. Als eine Art Bild-Ersatz, könnte
man doch sagen. Und das Bild kann den Sachverhalt richtig oder falsch
wiedergeben. Wahrheit und Falschheit in diesem Sinn sind Eigenschaften von
Aussagesätzen, um diesen alten Hut zu zitieren.
Der Einwand dagegen scheint zu sein, daß, was wir für die Realität
halten, nicht
real sein muss. Man möchte vielleicht schreiben "wirklich
real" oder so. Was könnte damit gemeint sein? Daß wir uns täuschen könnten,
oder? Dazu muss man wissen, was Täuschung und Irrtum sind. Und lernt man
das nicht erst, indem man beschreiben und aussagen lernt? Um dann im
nächsten Schritt die eine der beiden Möglichkeiten als einzige auszugeben?
Das stimmt so nicht ganz. Man kann sich auch vorsprachlich irren. Ein
Tier, das freiwillig auf einen Baum klettert, nimmt an, daß die Äste es
tragen werden. Dann gibt es die beiden Möglichkeiten der Übereinstimmung
oder Nichtübereinstimmung dieser Annahme mit der Realität.
Mit "betrachterunabhängiger Realität" hat das nichts zu tun (falls man nicht an
einen Gegensatz zwischen Erleben und Quantenphänomenen denkt). Wie soll man ein Bild und
einen Sachverhalt oder eine nichtsprachliche Annahme und einen Sachverhalt vergleichen,
ohne ihn zu betrachten oder Erfahrungen damit zu machen?
Zu Quine: In einem Kalkül werden Zeichen durch Zeichen definiert. In der
menschlichen Sprache aber auch hinweisend durch nicht zeichenhaftes, z.B.
Farbmuster. Man möchte ja, daß die Sprache etwas mit dem Leben zu tun hat.
Wahrheitswerte sind also Eigenschaften von Aussagesätzen. Aber diese
beziehen sich nicht unbedingt nur auf andere Sätze. "Schnee ist weiss" ist
keine Aussage über eine Aussage. (Das hat Quine ja vielleicht auch nicht
behauptet.)
>>Der radikale Konstruktivist, so würde
ich mutmaßen, müsste eine Form
>>von Kohärenztheorie der Wahrheit vertreten. Wahr ist demnach diejenige
>>Aussage, die eine Sinneswahrnehmung am Sinnvollsten in das System des
>>bestehenden Wissens einsortieren kann. Eben das ist das "Konstruktive"
>>daran.
>
>>Ein RK könnte also antworten: "Die
Korrespondenzthese ist nur ein
>>Vorurteil. Die naive Wahrnehmung einer Sache ist nicht immer richtig.
>>Sie hat sowieso unlösbare Probleme. Beispielsweise kann kein
>>Korrespondenztheoretiker die Frage nach der Wahrheit der Realität
>>akzeptieren, aber genau diese Frage ist stellbar. Beispielsweise
>>könnten wir ja ein Gehirn im Tank oder die Welt nur eine Simulation
>>sein. Das mag vielleicht eine abwegige Idee sein, aber sie ist nicht
>>bereits aus philosophischen Gründen unsinnig. Müsste sie das für einen
>>KT nicht sein?
>Wenn es sich um eine Hypothese handelt, wird man doch nach Beweisen
fragen dürfen und diese akzeptieren, wenn sie stichhaltig sind. Sonst liegt
m.E. der Verdacht nah, daß die Aussagen immanente Irrtumsmöglichkeit
verabsolutiert wurde.
>Grüsse, Claus
>>Und die Übereinstimmung zwischen Realität und subjektive Bewusstsein,
>>da lässt sich auch wieder ewig philosophieren, weil das total unklar
>>ist.
>>Demgegenüber hat der RK den Vorteil, dass man nur zwei Dinge
>>akzeptieren muss: Ockams Rasiermesser und die Existenz von
>>Sinnesdaten".
>
>>> Konstruktivismus in seiner
radikalen Ausprägung, als eine mit jeder
>>> gesellschaftlichen Konvention brechenden Erkenntnistheorie, ist und
>>> bleibt, sowohl wissenschaftlich wie in populistischer Auslegung,
>>> seinerseits ein lächerlich, weltfremdes Konstrukt!
>
>>Ich würde es z. T. "medialer
Populismus" nennen.
>>Wenn ein Wissenschaftler oder Denker (die weibliche Form immer
>>mitgedacht) aufsteht und eine besonders überraschende These vertritt,
>>dann weckt das Interesse. Es hat Neuheitswert. Bestenfalls reden die
>>Leute in Online-Foren oder früher vielleicht Kaffeehäusern darüber und
>>schreiben ebenfalls etwas dazu.
>
>>Eine Zeitung oder ein TV-Sender tut also
gut daran, darüber zu berichten.
>>Zudem die Philosophen-Community und selbst die Wissenschaftler nicht
>>wirklich besser sind.
>
>>Auf dem Wege kommt es dann dazu, dass
ein Neurowissenschaftler, der
>>öffentlich philosophiert (oft in Unkenntnis der schärfsten Argumente
>>der Gegenseite), dass ein freier Wille nicht existiert und über
>>Implikationen auf unser Strafrechtsregime spricht, sehr viel
>>Aufmerksamkeit bekommt, während sein vorsichtigerer Fachkollege
>>ignoriert wird.
>>Zudem in der öffentlichen Wahrnehmung der Philosoph nur spekuliert,
>>während der Neurologe ja wohl echte Erkenntnisse zur Hand hat.
>
>>Der radikale Konstruktivismus scheint
mir dabei in seiner öffentlichen
>>Wahrnehmung z. T. auf genau diesen Mechanismus aufzubauen. Für die
>>meisten heutigen Philosophen war es trivial, dass während der
>>Wahrnehmung auch etwas im Gehirn passiert. Und viele Neurologen
>>formulieren das dann so, dass das Gehirn ein Bild aus den Sinnesdaten
>>"konstruiert" - was wohl auch korrekt sein mag.
>>In der Debatte im Feuilleton kann man das dann vereinfachend als ein
>>Indiz für die Korrektheit des Konstruktivismus hinstellen und das
>>Publikum nimmt dann mit "ah, Konstruktivismus ist praktisch bewiesen".
>
>>> „Wenn ein Mensch sagt, dass er die
Wahrheit gefunden hat, wird er zu
>>> einem gefährlichen Tier!“
>
>>Das ist ja kein Wahrheitsbegriff. So
eine Warnung finden wir auch bei
>>anderen Denkern.
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