Am 15.10.2024 um 19:55 schrieb ingo_mack über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Hallo IT,
eine wirklich interessante Frage;
ist es nicht zu kurz gedacht, Bewusstsein an sich messen zu können?
hängt Selbstbewusstsein von der Reizleitungsgeschwindigkeit der neuronalen
Vernetzung der Ganglien ab? ist Bewusstsein überhaupt skalierbar?
oder kann es auch sein, dass die (geschätzt) 90% ungenutzte Hirnkapazität
eines Menschen nur nicht aktiviert werden kann, weil wir rein
überlebenstechnisch
darauf angewiesen sind "eins nach dem anderen" zu erledigen?
und aus diesem Grund keine Zeit für eine "Nullzeitexistenzwahrnehmung"
haben?
was ist, wenn "Zeit" nur eine Krücke zur räumlichen Orientierung in
einem ansonsten "geordneten Chaos der Unmittelbarkeit" ist?
Dies sind tatsächlich elementare Fragen, Ingo (IM), die sich je nach Kontext immer wieder
neu auftun, erneut hinterfragt werden wollen, so als wären sie nicht längst beantwortet.
Es ist wohl wie mit der Frage nach der Zeit und der diesbezüglichen Aussage des
Augustinus, wonach dieser zuinnerst genau wusste was Zeit ist, es jedoch nicht darzulegen
vermochte, wenn er danach gefragt wurde.
Die Annahme oder der Anspruch, Bewusstsein an sich messen zu können, würde voraussetzen,
dass dessen Definition eineindeitig gegeben wäre, was nicht der Fall ist. Dieser
Mehrdeutigkeit geschuldet, muss also eindeutig festgelegt und erklärt sein, was man
bezüglich Bewusstsein messen will.
Im alltäglichen, vornehmlich medizinischen Kontext schreibt man einem Menschen Bewusstsein
zu, wenn dieser erkennbar in der Lage ist, auf mentaler Ebene mit seinem Lebensumfeld zu
interagieren, er solchermaßen bei Bewusstsein, somit sich seiner bewusst ist.
„Cogito ergo sum" - der Mensch nimmt sich demnach denkend wahr. Doch offensichtlich
nicht allein dadurch, sondern auch durch Empfindung, etwa Schmerz, der jedoch bei sehr
hoher Intensität das Bewusstsein auszuschalten vermag, etwa durch eine Ohnmacht, allgemein
als Bewusstlosigkeit bezeichnet. In diesem Fall ist Bewusstsein quasi messbar, bzw.
nachweisbar, nicht hingegen ein bewusst Gedachtes, wie sich das tagtäglich auf
Intensivstationen bei dort abgeleiteten Gehirnströmen zeigt. Somit ist Bewusstsein
durchaus skalierbar, jedoch keinesfalls das Gedachte einer Person, die messbar bei
Bewusstsein ist, ebenso kann selbstredend nicht auf diese Weise gemessen werden, ob diese
Person über Selbstbewusstsein verfügt, sofern man dieses als psychologisches Kriterium und
nicht als den Zustand bewusster Wahrnehmung des Umfelds sieht.
Sich seiner Selbst bewusst zu sein, ist ganz eindeutig mit mentalen Prozessen, i.W. mit
Denken korreliert und dazu bedarf es der entsprechenden neuronalen Vernetzungen im Gehirn.
Ob etwa langsames oder schnelles Denken von der Reizleitungsgeschwindigkeit der
Neuronenströme abhängt, dürfte auf Anhieb schwer zu beantworten sein. In unserem Forum
allemal von Thomas, dem Fachmann der Biologie.
Doch auch als med. Laie möchte man fragen: Was geschieht überhaupt im Gehirn/ZNS, wenn
Menschen denken?
Bekannt ist, dass jeder Gedanke bei Erreichen eines definierten Aktionspotentials eine
biochemische Reaktion auslöst, wobei bestimmte Botenstoffe wie Hormone, Neurotransmitter
und -peptide ausgeschüttet werden.
Neueste Forschungen zeigen, dass - i.Ggs. zu früheren Annahmen - Nervenleitungen mit
jeweils eigener Dynamik, somit die auf ihnen transportierten neuronalen Signale mit
unterschiedlicher Geschwindigkeit auf ein und derselben Nervenbahn fortlaufen.
Diesbezüglich wurden in Experimenten an Zellkulturen signifikante
Spannungs-Potentialschwankungen gemessen, womit nachgewiesen ist, dass Neuro-Signale an
verschiedenen Stellen einer gemessenen Nervenfaser unterschiedlich schnell unterwegs
waren, dieses bei einer Reizleitungsgeschwindigkeit zwischen 0,2 m/sec. und annähernd
2m/s.
Für meine Begriffe kann man aus diesen Ergebnissen durchaus auf eine unterschiedliche
Geschwindigkeit von Denkvorgängen schliessen. Die jeweilige Konstitution von Bewusstsein
im o. beschrieben Kontext ist davon unabhängig, das jedoch in Abhängigkeit von seiner
Definition. Wir hatten hier lange über Bewusstsein diskutiert, vornehmlich jedoch aus
philosophischer Sicht, etwa im Sinne von T. Nagel: "What Is It Like to Be a
Bat?" und in diesem Zusammenhang ist mir die im angloamerikanischen Sprachgebrauch
übliche Unterscheidung von "Consciousness" und "Awareness"
eingängiger. Letzterer Begriff als Bewusstheit, resp. Bewusstsein im Sinne von aktiver
Aufmerksamkeit, Wachsamkeit gesehen.
Soweit für den Augenblick.
Bester Gruß an Dich und in die Runde!
Karl