Hier möchte ich kurz einflechten dürfen, dass "die meisten Menschen"
alleine schon deshalb an der "Umgangssprache" hängen, weil ihnen der
Zugang zur methodischen Abstraktion der Mathematik teils aus Mangel an
Ausbildung resp. Vermögen verbaut ist, teils schlichtweg nicht
erforderlich ist, da man sich neben dem Vermögen zu "einfachem Zählen"
zu Alltagszwecken praktischerweise (ebenso alltags- und
überlebenstauglich) auf die unbewusst ablaufenden Abstraktionsprozesse
im Gehirn/ZNS verlassen kann.
So reicht im Alltag die Umgangssprache hin und das führt nun mal - wie
zuletzt hier erörtert – oftmals auch zu wenig fundiertem sprachlichen
Austausch (oder eben zum "Schwafeln").
Wie ich zuletzt Hannah Arendt zitiert habe, wonach Sprache und Handeln
die entscheidende Einheit für jedes Anfangen (damit für Kreativität)
ist, könnte man in einer daran angelehnten Folgerung annehmen, dass
Sprache und Mathematik (lebenspraktisch eher Zählen) eine ebenso
maßgebliche Einheit darstellt; beide Bereiche sind offenbar - auf eine
dem Alltagsbewusstsein nicht aufscheinende Weise - miteinander verzahnt,
dass man zumeist unbewusst zählt und folgert. Glücklicherweise also ein
unterschwellig verlaufendes Prozedere, wie es die ebenso vegetativ
ablaufende mathematische Höchstleistung der Bahnberechnung beim Wurf
eines beliebigen Gegenstands ist.
Diese Verknüpfung von Sprache und Zahl findet sich sehr wohl schon beim
Kleinstkind, wie das den einschlägigen Fachpublikationen zu entnehmen
ist, wobei selbstredend die Wahrnehmung bzw. Unterscheidung zwischen
mehreren Gegenständen zunächst nicht sprachlich ausgedrückt werden kann.
Im zwischenmenschlich alltäglichen wie auch im wissenschaftlichen
Austausch fällt im gewissen Zeitverlauf natürlich eine Verschiebung
dieser Einheit aus Sprache und Zahl auf: eben durch Präferenz für eher
sprachlich begriffliche oder mathematische exakte Ausdrucksform; hinzu
kommt, dass Zahl (vornehmlich in deren abstrakt methodischer
Kompliziertheit) nun mal über die Symbolik der Sprache vermittelt werden
muss.
So beschreibt die Kreiszahl pi (als Sonderfall einer Arcustangens Reihe
dar (π/4=arctan 1)) das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser eines
Kreises. Von den Ägyptern über Archimedes bis zu Ludolph v Ceulen hat
die nach ihm benannte Zahl eine beachtenswerte „Karriere“ hinter sich.
Von der geometrischen Betrachtung auf (basierend auf n-Ecken) bis zur
Leibniz-Reihe.
Ungeachtet dessen, dass diese Reihe nicht konvergiert und sich bis heute
Mathematiker wie sonstig von pi Begeisterte an dieser Zahl abarbeiten,
kann man die im Alltag oft erforderliche Berechnung eines Kreisumfangs
oder -fläche leicht mit hinreichender Genauigkeit berechnen, indem man
für π ~ 3,1416 einsetzt.
Hier wird aber doch beispielhaft deutlich, dass die Welt der Zahl immer
auch der sprachlichen Vermittlung und damit einer diesbezüglichen
Begrifflichkeit bedarf, wenn sie nicht in der pur abstakt-gedanklichen
(zunächst immer geometrischen) Anschauung verbleiben soll.
_Hier noch für Waldemar:_
natürlich ist H.J. Niemann ein radikaler Rationalist. Mein "radikaler
Realist" war wohl ein typisch Freud'scher Fauxpas.
Ach ja, Luhmann und der Konstruktivismus!
Wiederum unter Berücksichtigung, dass sich Begriffe zumeist in
verschiedensten Ausprägungen entwickeln, muss auch hier differenziert
werden. Konstruktivismus ist bei weitem keine einheitliche Theorie und
ich erspare mir den Aufzählung seiner „Unterarten“ (wäre – als Techniker
- hingegen eher geneigt von Unarten zu sprechen :-))
Es dürfte konsensfähig sein, Luhmann als der Denkschule des sog.
operativen Konstruktivismus zugehörig zu sehen, wo man postuliert, dass
Erkenntnis keinen von ihr unabhängigen (also objektiven) Zugang zur
Realität hat. Luhmanns Ansatz bei der Erkenntnis ist das Beobachten
(unterscheiden und bezeichnen) als ein rekursiv operativer Prozess, eine
stetige Bildung einer Differenz von System und Umwelt. Menschliches
Erkennen, wie der Mensch selbst werden von Luhmann systemisch betrachtet
(Systemtheorie):
„Die primäre Realität liegt, die Kognition mag auf sich reflektieren,
wie sie will, nicht in "der Welt draußen", sondern in den kognitiven
Operationen selbst“ (Luhmann).
Das ist und war mir (schon zu Studienzeiten – im Fach SoWi) eine
zutiefst theoretisch abstrakte These, die aus der Perspektive dieser
Sozialwissenschaftler durchaus zutreffend sein mag, für meinen (als
Ingenieur eher technischen) Zugang zur realen Lebenswelt jedoch eine
unnötige, wenn nicht sogar unnötige „Verkomplizierung“: ich denke, sehe,
messe, rechne und drücke diese reale Erkenntnis - praktisch verwertbar
- sprachlich aus.
Ein Stein ist ein Stein, ist ein Stein, ist ein Stein und bleibt es (bis
auf weiteres ....);
wenn ich mich daran stoße, merke ich, dass er nicht nur eine
Konstruktion meines Gehirns ist!
Luhmann ist für mich ein (bisweilen lebensfremder) Theoretiker, der die
der Biologie entlehnten konstruktivistischen Thesen (Maturana, Varela et
al.) aufgegriffen hat und in seine Systemtheorie eingebaut hat, damit
aber durchaus plausible Beiträge für die Erkenntnistheorie beigesteuert
hat. Der von mir erwähnte Paradigmenwechsel wurde von Luhmann als
„autopoietischen Wende“ postuliert („Soziale Systeme“ 1984). Luhmann ist
mir allemal zugänglicher als ein v. Foerster et al.
Bester Gruß in die Runde! - Karl
Am 28.10.2021 um 16:00 schrieb Ingo Tessmann via Philweb:
[Philweb]
Am 27.10.2021 um 18:51 schrieb Arnold Schiller
via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
pi ist in diesem Sinne ein Wort. Nur weil du mathematische Zeichen setzt
sind die nicht unbegrifflich oder keine Worte. Atom ist die nichts
weiter als "unteilbar" im griechischen. Es wäre aber heutzutage
unzulässig Quarks oder Leptonen als Atome zu bezeichnen. Es kommt eben
sehr wohl auf die Begrifflichkeiten an. Die Sprache der Mathematik hat
den Vorteil das alle Begriffe wohldefiniert sind. Nichts desto trotz
ergeben die sich nicht einfach so. Die Axiome sind dann nicht selten in
sprachliche Begriffe gefasst. Beziehungsweise wenn wir das Auswahlaxiom
nehmen in Vorraussetzungen gedacht.
Hi Arnold,
ich wundere mich immer wieder darüber, wie stark die meisten Menschen an der
Umgangssprache hängen, dabei geht das Vermögen zum Zählen und Folgern dem zum Sprechen
voran. Und Axiome werden genau genommen rein logisch formuliert. Auch das in der
Mathematik übliche methodische Abstraktionsverfahren scheint in der Philosophie nicht
verbreitet zu sein. Wir sollten uns aber nicht ständig wiederholen, denn über die
angebliche Sprachgebundenheit der Mathematik haben wir in Philweb schon häufig ergebnislos
aneinander vorbei geschrieben.
IT
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