Am 22.10.2021 um 04:30 schrieb Joseph Hipp via Philweb:
[Philweb]
Am 22.10.21 um 01:33 schrieb Claus Zimmermann via Philweb:
Wir unterscheiden bei einfachen Handlungen nur
ausnahmsweise zwischen
Wollen und Tun (meines Wissens ist das zuerst Wittgenstein aufgefallen).
Hat Wittgenstein nun mit dem Wort "Wollen" ein neues Lemma eingeführt
oder ein neues Vermögen? Wenn das erstere, dann hatte er keinen Erfolg
damit. Wenn das zweite, dann genügt es nicht, wenn du oder ich verstehe,
was Wittgenstein damit meinte. Siehe zuerst
https://de.wikipedia.org/wiki/Wille_(Begriffskl%C3%A4rung) Fange mit
Volition an, dann fahre weiter mit den anderen. Entschuldige bitte, wenn
du meinst, ich würde das so von oben herab schreiben.
W. hat hier nichts eingeführt. Es geht nur darum, wie man das Wort
verwendet. Das hat man ja mal gelernt, mit einiger Unschärfe, die es von
genau definierten Ausdrücken unterscheidet, und man kann es sich im
Nachhinein bewusst machen, um sich selbst nicht misszuverstehen.
Es geht hier nicht um Geheimwissen, Überbetrachter oder sowas, sondern
um die Erinnerung an allgemein Bekanntes, das man nur vielleicht
durcheinanderbringt.
Deshalb, nimm es mir bitte nicht übel, brauche ich keine
Wikipedia-Begriffserklärung. Das kann ich und jeder andere selbst.
Wenn jemand
gefesselt ist, kann er ohne Erfolg versuchen, die Fesseln
zu sprengen und sich zu bewegen.
Diese Situationsbeschreibung kann nur vom Betrachter ausgehen. Der
Gefesselte kann zwar Qualia haben, die vielem entsprechen, etwa den
Fesseln, der Befreiung, des Versuchens, und doch hat er dann keinen
Zugang zu der Gesamtsituation, die nur der Betrachter hat.
Dieser Jemand könnte auch ich sein. Ich kann mich selbst betrachten
(ohne irgendwelche philosophischen Implikationen gesagt), mich in dieser
Situation vorfinden und sie so beschreiben.
Wenn wir
hören, jemand hätte so eine einfache Handlung ausführen
wollen, es sei ihm aber nicht gelungen, fragen wir nach den Umständen.
Hier würde ein Überbetrachter denken: Was weiß der Betrachter mehr als
die Person, wenn ich dich richtig verstehe.
--
Nimm das doch einfach wörtlich.
Wenn wir hören "ich wollte den Arm heben, konnte es aber nicht" - wie
reagieren wir dann? Wir fragen doch wohl: Wieso denn nicht? Was war denn
los?
Wenn wir nun finden, daß wir, von Ausnahmesituationen abgesehen, hier
nicht zwischen wollen und tun unterscheiden oder gar nicht von wollen
reden, müssen wir uns vielleicht von der hartnäckigen Zwangsvorstellung
verabschieden, daß einer Handlung, die man nicht als ungewollt
bezeichnen würde, nicht unbedingt ein Willensakt oder eine Entscheidung
zugrundeliegen muss (oder eine Volition, wie es bei Wikipedia so schön
heisst) und daß sie trotzdem von einem Reflex - Arzt klopft mit dem
Hämmerchen aufs Knie - unterschieden und der Person, wie man sagt,
zugerechnet werden kann.
Vielleicht tust du dich ja mit dem Wort "zurechnen" schwer. Man sagt das
etwa statt: tu doch nicht so, als ob du damit nichts zu tun hättest!
Ich hoffe, daß das nicht auch unverständlich ist.
-
Du siehst vorhin, wie ich mit den bei mir üblichen Wörtern vorgehe.
Jedes Mal jedoch, wenn neue Wörter und Sätze mir zukommen, muss ich
diese in meinen Sprachgebrauch übersetzen, und wenn es zu viele sind,
bin ich überfordert. Deinen Satz, der folgt, verstehe ich nicht ganz,
entschuldige, vielleicht bin ich schon damit überfordert.
Ich versuche, mich umgangssprachlich und nicht fachsprachlich
auszudrücken oder mir eine neue Terminologie auszudenken. Das erscheint
mir angemessen, wenn es um die Bewusstmachung von allgemein Bekanntem geht.
Wird uns dann
gesagt, die seien ganz normal gewesen, verstehen wir das
nicht. "Wollen" bedeutet hier nur in bestimmten Ausnahmesituationen
etwas, wenn wir unterscheiden möchten, wie jemand auf sie reagiert.
---
Wenn wir hier also meist gar nicht von wollen
oder entscheiden reden,
welchen Sinn hat dann die Frage an den Versuchskandidaten, wann er
sich entschieden habe, den Finger zu heben? Man sieht ja, wann er es tut.
Dieser Satz ist für mich höchst interessant, aber ich kann nicht bei mir
ansetzen, um ihn anders zu sagen. Es gibt mindestens zwei Vorgänge in
der Versuchsperson, das geben die Versuchsleiter ja auch zu. Und zwar
den Vorgang des Bekanntgebens des Entscheidungsmoments, und den des
Entscheidens selbst. Und ich suche, die entsprechenden Probleme zu
bedenken, zu verstehen, oder einfach nur zu denken. Hierbei versuche ich
jedoch an der Versuchsanordnungs-Sprache zu bleiben, ohne etwas von mir
oder von irgend welchen anderen Bereichen hinzu zu fügen. Dem
entsprechen Prinzipien der Hermeneutik. In diesem Fall verweise ich
jedoch an den gut geschriebenen Text, den ich schon angegeben habe:
https://www.zhb.uni-luebeck.de/epubs/ediss2097.pdf, es ist vermutlich
unerlässlich, auf die Sprache der Versuchsanordnung einzugehen.
Zu meiner Ansicht über den "Entscheidungsmoment" bei einfachen
Handlungen wie dem Heben eines Fingers s.o.
Man könnte
immer noch zeigen, daß bestimmte "Erregungspotentiale", die
vielleicht, wie man durch Befragung des Kandidaten herausfindet, denn
man sieht es den Potentialen nicht an, mit Lust und Unlust
korrespondieren, erfahrungsgemäß vor der Fingerbewegung festzustellen
sind.
Wäre das eine Widerlegung der Willensfreiheit? Daß unsere Handlungen
einiges mit Lust und Unlust zu tun haben und daß fast alles erzwungen
werden kann, wussten wir schon vorher. Undenkbar sind Gegenbeispiele
aber nicht und es gibt sie sogar tatsächlich, was für die Geltung des
Arguments aber nicht entscheidend ist. Allerdings könnte man sich auch
Gehirnstimulationen vorstellen (und es gibt sie vermutlich auch
tatsächlich), gegen die wir nichts tun können. Das wäre dann ein
ähnlicher Fall faktischer Unfreiheit wie der der Fesselung oder des
Einsperrens. Aber es sollte doch um prinzipielle Unfreiheit gehen.
Das mag alles
gut gedacht sein, aber es berücksichtigt die Sprache der
Versuchsanordnung nicht.
Das sollte doch mit dem Libet-Experiment gezeigt
werden.
Ob das stimmt, weiß ich nicht. Siehe die Geschichte in der Pdf an, dann
siehst du, dass es erst einmal darum geht, wie der Aufbau der BP
zustande kommt. Worum es mir geht, habe ich genau in der Mail von
gestern geschrieben: "Dann interpetiere bitte du, Waldmar, oder jemand
anders die Grafik des BP, dh. stelle die korrekte Beschreibung, das
korrekte Wort an die jeweilige Position der Zeitlinie, denn darum geht
es. Hierbei ist es nicht wichtig, ob diese Grafik mit dem Namen BP
bezeichnet wird oder nicht."
Ähnliche Bedenken könnte man anmelden, wenn von
prinzipieller, statt
von faktischer Freiheit die Rede ist. Soll mir doch mal jemand
beweisen, daß er rechts statt links hätte abbiegen können oder
umgekehrt. Was sollte man sich hier unter einem Beweis oder einer
Widerlegung vorstellen? Und verstehen wir, was behauptet wird, oder
sind es nur leere Worte, wenn wir nicht wissen, wie es bewiesen oder
widerlegt wird?
Frei sind wir m.E. in dem Sinn, daß wir bis zu einem gewissen Grad und
mehr als andere Tiere unsere eigenen Drehbücher schreiben können.
Und hier, bei der Verfolgung von Zielen in mehreren Handlungsschritten
unterscheiden wir auch immer zwischen Absicht und Erfolg, weil so viel
dazwischen kommen kann.
Wie vor (Das mag ...). Übrigens bin ich selbst noch nicht über die
pdf-Seite 14 hinaus gekommen. Einerseits ist es mir nicht so wichtig,
andererseits ist hier ein wirkliches Problem, das vielleicht korrekt
gelöst werden kann, sonst bleibe ich in deinem Beispiel gefesselt.
Mit Dank und Gruß
Joseph
Grüsse zurück
Claus
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