Am 09.11.2024 um 12:25 schrieb Dr. Dr. Thomas Fröhlich
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Leib und Seele
Im Deutschen werden ja Körper und Leib unterschieden. Der Leib ist der beseelte Körper,
und mit der Beseelung ist auch seine Subjektivierung verbunden. Die Seele / Psyche im
aristotelischen Sinn strukturiert den Stoff, und sie tut das aus einem Vermögen heraus,
und der Möglichkeit nach. Sie schöpft aus einem Vermögen, und kombiniert dieses weiter
bestehende Vermögen mit seiner zeitweiligen Verwirklichung, dem ins Werk setzen,
griechisch der energeia. (Der qualitative Energiebegriff der Antike wurde durch Leibniz,
Thomas Young, Joule etc. auf quantitative Aspekte des Qualitativen fokussiert und so zum
modernen Energiebegriff).
Moin Thomas,
Du nimmst immer wieder Bezug auf Aristoteles, gehst aber kaum über ihn hinaus. Denn der
qualitative Energiebegriff der Antike wurde nicht nur quantifiziert, sondern von Helmholtz
bis Noether als Erhaltungsgröße auf Symmetrien bezogen. D.h. der moderne Energiebegriff
ist qualitativ auf quantitativer Grundlage. Engels hätte darin einen dialektischen
Dreischritt gesehen.
Der strukturierende Grund strukturiert, indem er
Möglichkeitsbahnen bereitstellt. Das ist die Aufgabe der dem Fortdauern zu Grunde
liegenden Instanz, der potentia. Somit ist das, was mit Seele assoziiert, wird eine
Instanz der ermöglichenden Zeit, alias der potenziellen Zeit. Sie ist, wie schon
Aristoteles sagt nur aus der erlebten Verwirklichung heraus zu vermuten, indem geschaut
wird, was ein Etwas tut, und daraus auf ein vermutendes, zu Grunde Liegendes geschlossen
wird. (Sinngemäß: Ein Jedes wird danach beurteilt, was es zu leisten vermag. Vermag:
Vermögen, potentia, Potenzial, Zu Leisten: Verwirklichung, actus, Aktualität).
Helmholtz hatte ja nicht nur die Physik, sondern auch Physiologie und Psychologie
voran gebracht. In einem Brief an seinen Freund Emil Du Bois-Reymond schrieb er den
wegweisenden Satz: „Die Annahme ist, dass jeder Organismus versucht, Überraschung zu
vermeiden.“ Peter Dayan et al. führen dazu in "The Helmholtz Machine“ aus:
"Following Helmholtz, we view the human perceptual system as a statistical inference
engine whose function is to infer the probable causes of sensory input.“ Daran hat ua. der
Neurowissenschaftler Karl Friston angeknüpft, über den wir uns hier ja schon mehrfach
austauschten.
Kann nun der strukturierende Grund nicht in der "statistical inference engine“
gesehen werden, die ja gleichsam die Möglichkeitsbahnen bereitstellt? Du bleibst mir
Aristoteles folgend zu vage, wenn Du aus der erlebten Verwirklichung heraus vermutest, was
ein Etwas tut und daraus auf ein vermutendes, zu Grunde Liegendes schließt. Helmholtz ging
es noch darum, Psychologie und Physik zusammenzudenken. Aus der erlebten Verwirklichung zu
vermuten, was etwas bewirkt, kann auch als ein durchgeführtes Experiment verstanden
werden, demzufolge von Teilchenwirkungen auf zu Grunde liegende Möglichkeitswellen
geschlossen werden kann. Dabei ist die ermöglichende Zeit kontinuierlich, die
verwirklichte diskret. Darüber haben sich ja auch von Weizsäcker, Barad und Kastner
Gedanken gemacht.
Mir schwebt eine Synthese der verschiedenen Ansätze vor, um von der erlebten Einheit der
Natur zu einer Einheit der Wissenschaften zu gelangen. Das wäre eine genuine Aufgabe der
Philosophie, die sich aber nicht auf Metaphysik und Phänomenologie beschränken sollte.
IT