IT: "ging es Zeno mit seinen Paradoxien überhaupt nicht um die Mathematik des
Kontinuums oder des Durchlaufen einer Wegstrecke, sondern um die Philosophie des Monismus
seines Lehrers Parmenides, den er durch weitere logische Argumente stützen wollte. Und der
begann mit der Logik, bspw. in einem Widerspruchsbeweis: „Wenn es viele Dinge gibt, dann
sind sie einander ähnlich und unähnlich. Solches, das ähnlich ist, kann aber nicht
zugleich unähnlich sein. Also gibt es nicht viele Dinge.“ Klar, oder?"
Genau. Und die Sache, um die es Zeno wirklich "ging", könnte man vielleicht
nicht nur in diesem etwas achselzuckend-wegwerfenden Modus beschreiben, sondern zumindest
ein paar Augenblicke lang ernster zu nehmen versuchen, indem man Zenos eleatische
Gedankenspiele als moralisch-theologische Denkanstöße versteht. "Nur das Sein
ist" hatte ja Parmenides gesagt, und damit gemeint, alle Nicht-Sein-Aussagen (also
jedes "noch-nicht" oder "nicht-mehr") seien logisch unhaltbar, nicht
begrifflich adäquat beschreibbar. Sie halten dem Ewig-, Unverrückbar- und
Unwiderlegbarkeits-Anspruch einer allgemein-gültigen rationalen Philosophie nicht stand,
gehören also nicht zu den Aufgaben des Philosophen, lohnen sich daher nicht nur
philosophisch-denkerisch, sondern auch moralisch-praktisch nicht: sie sind verwerflich,
oder zumindest: sinn- und zwecklos. Es hat einfach für den Menschen keinen
"Sinn", will Zeno (vielleicht auch) sagen, irgendwelchen Schildkröten
nachzulaufen oder irgendwelche Pfeile irgendwohin zu schießen: kein Mensch
"überholt" in dem, was er in seinem irdischen Leben angeblich
"erreicht", auch nur eine miserable Schildkröte, kein Pfeil, den man meint,
irgendwohin zu schießen, erreicht je sein Ziel: menschliches Tun steht, aus
philosophisch-metaphysischer Warte betrachtet, unter prinzipiellem (und logisch
"nachweisbaren") Vergeblichkeitsverdacht. Zenon formuliert also, so könnte man
doch sagen, den theologischen Vorbehalt gegenüber jedweden menschlichem
Wollen/Handeln/Tun-Ideologien, zwar mit anderen Mitteln, aber prinzipiell nicht anders,
als das Kant tut, wenn er z.B. so etwas wie menschliche Moralität und
"Seligkeit" im Leben nur für eine asymptotisch annäherbare "regulative
Idee" erklärt (auch hier also: ein nie ans Ziel gelangendes
"Annäherungsverfahren"!), oder wenn Kierkegaard Glauben eben nur als
"Sprung" (und nicht als das mühsame Summieren von Teilstrecken und deren
Teilstrecken...) beschreibt. Jede Form von "Bewegung", auf die wir Menschen ja
so stolz sind ("Mobilität", politische Bewegungen, all die Leute, die immer
irgendetwas "bewegen" wollen) ist nichts als armselige Illusion: der Philosoph
hat das begriffen - und "sitzt" nur noch (wie Buddha). Denn: "Tand, Tand /
ist alles Gebilde von Menschenhand" (Fontane).
Das mal nur heute als Wort zum Sonntag. (Wir könnten ja vereinbaren, daß das leidige, hier
so leicht eskalierende Streit-Thema "Religion" immer nur sonntags angesprochen
werden darf...)
In diesem Sinn: einen schönen "monistischen" Sonntag in die Runde.
J. Landkammer
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
Gesendet: Samstag, 13. Juli 2024 15:15
An: philweb <philweb(a)lists.philo.at>
Cc: Ingo Tessmann <tessmann(a)tu-harburg.de>
Betreff: [PhilWeb] Re: Der Tod der Wahrheit (hjn)
Am 13.07.2024 um 13:10 schrieb ingo_mack über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Also ist die von Achilles gelaufene Gesamtstrecke 213,33 Meter?
Hi IM,
ja, so ist es. Und mit 4 m/s wäre Achilles 53,33 s unterwegs. In der gleichen Zeit hätte
die Schildkröte mit 0,4 m/s 21,33 m zurückgelegt.
2 Stadien sind 384 Meter?
oder hat Herr H.R. Schneebeli andere Längenangaben vorausgesetzt?
Mathematiker scheren sich zumeist nicht um Einheiten. Nehmen wir als Einheit wieder das
Stadion an, dann wird Achilles mit bloß doppelter Geschwindigkeit die Schildkröte erst
nach 384 m einholen. Mit der Summenformel gemäß 192 x 1 / (1 - 0,5) = 384.
Wie Du aber meiner letzten Mail an Claus entnehmen kannst, ging es Zeno mit seinen
Paradoxien überhaupt nicht um die Mathematik des Kontinuums oder des Durchlaufen einer
Wegstrecke, sondern um die Philosophie des Monismus seines Lehrers Parmenides, den er
durch weitere logische Argumente stützen wollte. Und der begann mit der Logik, bspw. in
einem Widerspruchsbeweis: „Wenn es viele Dinge gibt, dann sind sie einander ähnlich und
unähnlich. Solches, das ähnlich ist, kann aber nicht zugleich unähnlich sein. Also gibt es
nicht viele Dinge.“ Klar, oder?
IT
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