Allen "armseligen würstchen" zur Relativierung untenstehender
Überzeugungen des Waldemar angeboten:
Bewusstsein ist kein (selbstreferenziell hermetisch abgeschlossener)
Zustand, sondern ein stetig prozessualer Abgleich der sensorisch
einlaufenden Information aus dem physischen und affektiven Umwelt
(Intraception, soziale Interaktion) mit dem bereits im Gehirn abgelegten
Erfahrungspotential (relativer Wissensstand, Annahmen, Vorstellungen,
etc.); es ist damit ein Prozess permanent erneuter Bewusstwerdung.
Die nachhaltige Verarbeitung im Gehirn hinsichtlich der Relevanz
eingehender Information (Interaktion mit der Außenwelt) orientiert sich
am ausschließlich Neuen in der Wahrnehmung (Überraschung); die daraus
resultierende Zunahme an Information resp. Entropie wird durch oben
benannten Abgleich (vornehmlich auch hinsichtlich subjektiv
propositionaler Annahmen, Überzeugungen, Präferenzen mit (noch)
unzureichendem objektiven Kohärenzanspruch) gemindert.
Derart subjektiv graduierte Einstellungen bzw. Überzeugungen entsprechen
selbstredend einem unterschiedlichen Maß an Kohärenz und sind daher
nicht ohne weiteres mit propositionalen Einstellungen eines Kollektivs
(im Sinne einer synchronen Kohärenz) kongruent; Dazu ist primär eine
subjektiv zu schaffende diachrone Kohärenz durch Verarbeitung neuer
Informationen und damit ggf. verbundenen Abänderung der propositionalen
(a-priori vs a-posteriori) Konditionierung erforderlich.
Der jeweils bereits vorhandene Erfahrungsfundus ist modellhaft angelegt,
wobei sich diese Modelle gemäß spezifisch (phylo-)genetischer
Disposition, vor allem jedoch infolge sozialisierter Prägung entwickeln.
Aus der Perspektive solchermaßen individuell angelegter Wertemodelle
erklären sich die grundsätzlich subjektive und damit potentiell fehlbare
Wahrnehmung der Außenwelt bzw. der Realität und vornehmlich der daraus
abgeleiteten Inferenz.
Damit wird deutlich, dass die aus unumgänglich individuell im Gehirn
angelegten Wertemodellen erzeugten Schlussfolgerungen nicht objektiv
sein können.
Daraus kann jedoch keinesfalls abgeleitet werden, dass die damit in
Verbindung stehende Interpretation des Wahrgenommenen grundsätzlich
falsch ist und damit die in Betrachtung stehende Gegenständlichkeit
nicht einer objektiv gültigen Realität entsprechen könnte.
Wenn also Protagonisten des radikalen Konstruktivismus (wie etwa v.
Foerster +2002) behaupten, die Objektivität des Bewusstseins sei eine
Wahnvorstellung, ist das nicht mehr, als eine populistisch überzeichnete
und beliebig im Boulevardjournalismus beschriebene Halbwahrheit, ähnlich
jener, die behauptet, die sog. Willensfreiheit sei mit dem
Libet-Experiment widerlegt.
Die unweigerlich daraus resultierende Frage ist, wie denn eine - aus
subjektiver Einschätzung abgeleitete - Behauptung über das Bewusstsein
(als offenkundig objektiv neurowissenschaftlich bewiesene Realität)
postuliert werden kann, wenn dieser Aussage rekursiv jeglicher
subjektive Realitätsbezug abgesprochen wird.
Welche Instanz sollte qua (von Konstruktivisten behaupteter)
ausschließlich individueller Subjektbezogenheit, somit bar jedem
Realitätsbezug, paradoxerweise die Unterscheidung zwischen Subjekt-
Objekt resp. Realitätsbezogenheit vornehmen?!
Wenn jeder subjektiven Aussage ohne zugestandenem Objektivitätsanspruch
ein hinreichender Realitätsbezug abgesprochen wird, müsste alle bisher
erworbenen Erkenntnisse als fallibel subjektive Erfahrungen
individuellen Erlebens entsprungen einzustufen sein und damit
grundsätzlich jeder ontologischen Wirklichkeit entbehren (wie von
Glaserfeld beschrieben).
Konstruktivismus in seiner radikalen Ausprägung, als eine mit jeder
gesellschaftlichen Konvention brechenden Erkenntnistheorie, ist und
bleibt, sowohl wissenschaftlich wie in populistischer Auslegung,
seinerseits ein lächerlich, weltfremdes Konstrukt!
Radikale Konstruktivisten haben einen (ihrer eigenen These zufolge)
abnorm verstellten Blick auf die Prozesse der Erkenntnisgewinnung.
Vermutlich eher aus ideologischen, denn aus wissenschaftlich fundierten
Motiven übersehen sie entscheidende Kriterien im Bereich der kognitiven
Wahrnehmung von Welt und Leben. Man vermischt (mehr oder weniger
bewusst) Argumente bezüglich wissenschaftlich gesicherter Aussagen zum
Erkenntnisprozess mit weltanschaulich begründeten Behauptungen. Anders
kann man v.Foersters Stellungnahme zum Wahrheitsbegriff nicht deuten:
„Wenn ein Mensch sagt, dass er die Wahrheit gefunden hat, wird er zu
einem gefährlichen Tier!“
Mit hinreichendem Abstand zu den (längst nicht nur) mir krude anmutenden
Thesen des radikalen Konstruktivismus möchte ich mich wieder den mir
ungleich bedeutsameren Denkmodellen moderner Kognitionswissenschaften
zuwenden:
Jeder individuelle Erfahrungsvorrat hat ein dementsprechendes
Entropie-Maß, d.h. einen anzunehmenden Unsicherheitsgrad bezüglich
seines objektiven Wahrheitsgehalts.
Dieser – infolge zunächst unzureichend interpretierter
Gegenständlichkeiten bzw. Sachverhalte der realen Außenwelt –
entstehende Unsicherheitsfaktor kann durch graduell neues Erschließen
von Informationen und deren Abgleich mit bereits im Gehirn angelegtem
Wissen stetig vermindert werden, wie ebenso durch den Abgleich mit
kollektiv erfolgter, wissenschaftlich gesicherter Wahrnehmung.
Durch dementsprechend gesellschaftlich interaktiven Austausch bilden
sich kohärente Überzeugungssysteme und führen somit zu einer
hinreichenden Objektivierung von Tatsächlichkeit der Lebenswelt.
Derartige Überzeugungssysteme unterliegen bezogen auf ihre Kohärenz
natürlich gewissen Kriterien, wie etwa dem Vernetzungsgrad, mit dessen
Anstieg die Zahl der inferentiellen Beziehungen (Folgerungen,
Erklärungsmodelle etc.) wächst und damit die Kohärenz der „vernetzten“
Überzeugungen zunimmt wie ebenso auch die Qualität der Erklärungen.
Entscheidend sind zudem Faktoren wie etwa die Widersprüchlichkeit
(Inkonsistenzen, Anomalien) sowie die Anzahl konkurrierender
Aussagen/Erklärungen und deren historische Stabilität.
Solchermaßen mittels kollektiver Abstimmungsprozesse geschaffene
Überzeugungssysteme führen zum Aufbau gesellschaftlich allgemein
akzeptierter Wirklichkeiten.
Damit ist die entscheidend unumgängliche Voraussetzung für konsensuelle
Kommunikation gegeben, aus der sich subjektives wie kollektives Wissen
resp. gesicherte Erkenntnis konstituiert, dieses mit eindeutigem
Realitätsbezug ohne Abhängigkeit von subjektiver, potentiell fehlbarer
Beobachtungen.
Beste Grüße! - Karl
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Am 01.11.2021 um 17:05 schrieb waldemar_hammel via Philweb:
wer will denn ernsthaft bestreiten, dass alle wahrnehmungen, gedanken
usw ausschließlich hirngemacht sind?
das hirn ist unser adapter, der außenwelt mit unserer innenwelt
konnektiert,
ABER dieser adapter spielt, wie jeder auch technische adapter, nach
eigenen regeln = autopoiese,
indem er schon aufgrund der art unserer sinne als detektoren "signale"
aufnimmt und in autopoietische "information" umwandelt,
die dann im hirn ebenfalls wieder autopoietisch zu "nachricht"
aufinterpretiert wird, und zwar speziell deshalb diese hirntätigkeit,
weil wir, wie alle lebewesen, selbst-referente systeme sind (= die nur
ihr eigenes ding machen können =
aufgrund evolutionärer mechanismen können wir garnicht anders, als
(nur) selbst-referent zu sein)
unsere vom hirn aus den signalen der aussenwelt und den daraus
abgeleiteten informationen unserer detektoren aufinterpretierte realität
ist unsere realität-an-sich und ausschließlich,
und stimmt keineswegs mit der naturvorgebenen realität 1:1 überein
(beide realitäten "korrespondieren" lediglich, und zwar so,
dass für lebewesen meist keine tödlichen fehler resultieren),
einer meiner hunde hat eine ratte erwischt, weil deren hirnlichen
autopoiesen in dem moment nicht fähig waren, die tödliche klippe
erfolgreich zu umschiffen = diskrepanzen
hunderealität-rattenrealität-natürlich-vorgegebene-realiät =
semantische abstände dazwischen =
"missverständnisse" also vorprogrammiert, wie bei uns, wenn wir zb
versuchen quantenwelten zu "verstehen"
wir haben (alle lewesen) keinerlei zugriffsmöglichkeit auf die
wirkliche wirklichkeit (objektive realität), und müssen daher und
machen das auch
die hirnerzeugte realität für die wirklichkeit-an-sich halten,
schein-objektive wirklichkeit, mit allen verwerfungen, die sich daraus
ergeben,
weil hirnwirklichkeit mit natürlich-vorgebener wirklichkeit nur sehr
teilweise korrespondiert, und keineswegs 1:1 übereinstimmt
letztlich wir (alle lebewesen) armselige würstchen, eingebettet in ein
fluidum "natur", dass sie selbst aber niemals wirklich erkennen können
wh.